Der freche Podcast von Avia Seeliger beschäftigt sich mit jüdischen Stimmen aus Kunst und Kultur.
NOODNIK: Hallo Avia! Danke fürs kommen. Magst du uns über deinen Podcast und seine Entstehungsgeschichte erzählen?
Avia Seeliger: Ich mache den Podcast “Chuzpe, jung und irgendwie jüdisch” seit ca. einem Jahr. Das Projekt ist ursprünglich aus der Covid-Situation entstanden. Viele Kulturveranstaltungen, welche die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien ansonsten macht, konnten nicht stattfinden. Die Vizepräsidentin der IKG, Claudia Prutscher ist auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich mir Online-Projekte für die Gemeinde überlegen würde, welche man in der Covidzeit starten könnte. Man wolle nicht in die Inaktivität fallen. Daraufhin habe ich mir überlegt, was man denn machen könnte. Was gibt es noch nicht? Was passt vielleicht auch in den Zeitgeist? Dann habe ich mir das Projekt “Chuzpe, jung und irgendwie jüdisch” überlegt und ihnen vorgeschlagen.
Der Podcast ist eigentlich ein Kultur-Podcast, wo ich Kunst- und Kulturschaffende zu mir einlade, oder Leute die sich in diesem Umfeld bewegen. Kunst und Kultur soll als Brücke fungieren, um Menschen zu erreichen, die sich noch nicht so viel mit dem Judentum und den verschiedenen Facetten des Judentums beschäftigt haben. Da bietet sich dieser Podcast gut an, weil das sehr niederschwellig ist und Menschen, egal welche Hintergründe sie haben, über dieses Thema einen Zugang finden können. Zudem war es mir wichtig mit dem Podcast ein aktives junges jüdisches Leben zu portraitieren. Nicht mehr nur im Zusammenhang mit dem Holocaust oder der Geschichte Österreichs und auch nicht immer nur im Negativkontext so wie z.B. im Nahostkonflikt. Judentum und jüdische Menschen haben viel mehr anzubieten. Wir sind aktiver Teil einer europäischen Gesellschaft und sind hier zuhause. Wir wollen nicht, dass man nur über das Leid, das wir erlebt haben, sprechen. Wir machen coole Sachen, die erwähnenswert sind!
N: In deinem Podcast wird Kunst ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Welche Bedeutung hat Kunst für die jüdische Kultur oder die jüdische Sozialisierung?
AS: Jüdinnen und Juden hatten schon immer eine Ader dafür, sich auf allen möglichen Ebenen auszudrücken. Kunst und Kultur ist natürlich immer ein super Medium, um über seine Gefühlswelt zu sprechen. Man kann sich ausdrücken ohne immer explizit zu sein und vielleicht auch Dinge bearbeiten, über die man gar nicht so gern so spricht. Das ist ein großer Wert, den Kunst und Kultur hat. Ganz abgesehen davon, dass sich Menschen eigenständig damit beschäftigen können. Sie erarbeiten sich das selber durch Betrachtung und durch Diskussion.
N: Was bedeutet es, dass der Podcast von einer Frau geführt und moderiert wird bzw. eine Frau stellvertretend für die IKG in der Öffentlichkeit steht?
AS: Es gibt überall, auch innerhalb jüdischer Gemeinden, natürlich einen Bedarf, sich Themen der Gleichberechtigung, der Gleichstellung usw. zu widmen. Für mich ist es natürlich extrem schön zu sehen, dass ich die Möglichkeit habe etwas zu gestalten und mitzuprägen durch meine Ideen und die Gäste die ich einlade.
Die jüdische Gemeinde ist genauso von gesamtgesellschaftlichen Problemen. wie Sexismus, Rassismus, etc. betroffen. Wir haben diese Konflikte in unseren eigenen Reihen und ich finde es sehr cool, dass da jetzt Schwung reinkommt, indem wir neue Inhalte und Personen suchen und diese auch zu Wort kommen lassen.
N: In jeder Folge diskutierst du unterschiedliche Themen mit verschiedenen Künstler:innen. Nach welchen Kriterien wählst du deine Gäste aus?
AS: Wenn irgendwo Kultur gelebt wird, dann ist das für mich natürlich relevant und freue ich mich sehr, diese Menschen einzuladen. Deswegen habe ich auch den NOODNIK für meine nächste Folge eingeladen! Ich freue mich schon sehr, dass wir dort die Rollen tauschen und ich euch interviewen werde.
N: Welches Narrativ von Jüdinnen und Juden besteht in der Mehrheitsgesellschaft und inwiefern versuchst du, es aufzubrechen? Und welchen Stellenwert hat dein Podcast für die Mehrheitsgesellschaft?
AS: Ich glaube, dass die Mehrheitsgesellschaft sich mit Themen des Judentums immer nur über den Diskriminierungsaspekt beschäftigt. Es wird sehr oft über das Negative gesprochen. Ich glaube, dass da ein Podcast eine sehr selbstermächtigende Sache ist, weil man von sich aus Dinge anbieten kann, den Fokus auf gewisse Themen lenkt und damit die Art und Weise, wie sich die Mehrheitsgesellschaft mit dem Judentum beschäftigt, einfach bricht. Man setzt die Themenschwerpunkte und spricht über das Judentum in neuen Zusammenhängen und Kontexten, das ist sehr wertvoll.
In meiner letzten Podcastfolge habe ich z.B. mit jüdischen Rapper:innen darüber gesprochen, ob ihre Identität für sie in ihrer Kunst relevant ist und wie es ihnen als Jüdinnen und Juden im Rap geht. Auch da ging es ganz viel um Feminismus. G-UDIT, die meine Interviewpartnerin war, hat ganz viel über das Dasein im Rap als Frau geredet. Die Folgen sind sehr interdisziplinär und da verschwinden oft die Grenzen, was meiner Meinung nach erstrebenswert ist.
N: Man könnte sagen der Chuzpe-Podcast und die NOODNIK-Zeitschrift sind Namensgeschwister. Das Brechen von Erwartungen und Klischees, das Ansprechen von wichtigen Themen erfordert viel Mut, aber auch eine Portion Frechheit. Wie gehst du damit um?
AS: Ich glaube, dass das ganz gut zu meinem generellen Charakter passt. Ich würde mich als nicht unbedingt hundert Prozent angepasste Person beschreiben und eine Portion frech sein ist in mir verankert. Ich bin der Meinung, dass das Judentum, vor allem wenn man sich die Geschichte Österreichs anschaut, es sich auch verdient hat, manchmal ein bisschen frech zu sein. Wir sind nicht nur die stillen Opfer, sondern können frech, eckig und kantig sein, uns sehr gut zur Wehr setzen und für uns selbst sprechen. Wir brauchen es nicht, dass uns irgendwer unter seine Fittiche nimmt; das können wir schon ganz gut selbst. Ich bin mir sicher, dass es immer Leute gibt, die es ärgern wird, wenn man sich als Jude oder Jüdin in die Öffentlichkeit begibt, stark ist, seine Meinung äußert, sich nicht unterkriegen lässt und sich vor allem auch keine Angst machen lässt. Es wird immer Leute geben, die dafür Hass entgegenbringen. Und auch das meine ich mit frech sein. Dass das einem nichts anhat und man sich vielleicht sogar davon eher angespornt fühlt, nochmal extra mehr zu machen anstatt aufzugeben. Das, finde ich, passt ganz gut zum Selbstverständnis von Jüdinnen und Juden.