Freitagnacht Jews – endlich ein Format jenseits von Vorurteilen und Stereotypen
Wer als Außenstehende:r nach der jüdischen Identität befragt wird, hat wahrscheinlich zunächst reflexartig eine Reihe von Begriffen im Kopf: Antisemitismus, Shoah und Vertreibung. All diese Assoziationen teilen die Vorstellungen vom Judentum als einer kollektiven Gemeinschaft, deren jahrtausendelange Geschichte von mannigfachen Schicksalsschlägen gezeichnet ist. Doch was bedeutet Jüdischsein in Deutschland heute?
Freitagnacht Jews wird geboren
Die Produzenten David Hadda und Martin Danisch vom Westdeutschen Rundfunk haben es sich zum diesjährigen Jubiläum “1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zum Auftrag gemacht, ein Format zu inszenieren, welches die moderne Lebenswirklichkeit von Jüdinnen und Juden in Deutschland realitätsgerecht abbildet. Am 21. April 2021 ist Freitagnacht Jews als erste jüdische Late-Night-Show Deutschlands viral gegangen und wird seitdem jeden Freitag im Spätprogramm des WDR ausgestrahlt.
Moderator der Talkshow ist der 31-jährige Schauspieler und Musiker Daniel Donskoy. Als Kind von sowjetisch-jüdischen Kontingentflüchtlingen weiß er von positiven und negativen Alltagserfahrungen in Deutschland zu berichten. Doch ebendiese multikulturelle Sozialisation war für Daniels Identität so formgebend, dass er sich für Pluralismus auch mit Freitagnacht Jews einsetzen will.
Ein Abend in Daniels Höhle
Der Ablauf der Sendung ist folgender: Jeden Freitagabend, zum rituellen Feiertag Schabbat, lädt Daniel in der Regel ein bis zwei Gäste zu sich ein, um sich mit ihnen über die Bandbreite an Themen zu unterhalten, welche das Judentum so offen hält. Seine Gäste zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine unterschiedlich gefärbte Sichtweise auf das Judentum haben und einen ebenso individuellen Zugang zu ihm erfahren. Wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, lässt Daniel seine Gäste selbstverständlich keinen Hunger erleiden. Er tischt seinen Gästen traditionelle Schabbatgerichte auf, die anschließend beim gemeinsamen Gespräch am Tisch verzehrt werden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Sendung diene vornehmlich der Unterhaltung, denn die Inszenierung folgt nicht dem konventionellen Rahmen, den man üblicherweise von Talkshows kennt. Anstelle einer sterilen Bühne, ausgestrahlt von grellem Scheinwerferlicht, ist Daniels Wohnung selbst der Drehort für die Produktion, welche mit ihrer wonnigen Atmosphäre zum Verweilen einlädt. In dieser Atmosphäre fällt auch die Aufarbeitung von schwerfälligen Themen, wie dem Antisemitismus, der unweigerlich ins Gespräch einfließt, ein kleines Stück leichter. Auch wenn Daniel zunächst zu Beginn der Sendung eingeräumt hat, sich hiervon distanzieren zu wollen, so kam er alsbald zu der Erkenntnis, dass, wenn man über das Jüdischsein redet, vor ungemütlichen Themen kein Halt zu machen ist. Die Thematisierung ist wichtig und bedarf einer ständigen Sensibilisierung, da Deutschlands Gegenwart sich leider nicht gänzlich vor antisemitischen Vorfällen gefeit sieht.
Das jüdische Narrativ im modernen Fernsehen: zwischen Fortschritt und Rückschritt
Die Darstellung des jüdischen Narrativs in der deutschen Medienöffentlichkeit folgt in der Sprache meist konventionalisierten Stereotypisierungen, die sich aus beharrlichen Vorstellungen darüber speisen, wie das Judentum auszusehen vermag. Vor allem die Filmkultur ist noch viel zu stark von klischeehaften Rollenbildern vereinnahmt, wenn es um die Attribution von jüdischen Spielfilmfiguren geht. Zwar unterliegen negative Darstellungsformen, wie sie zu Zeiten des propagandistischen NS-Apparats instrumentalisiert wurden, weitgehend einer medialen Zensur, jedoch wird die Verwendung von positiven Stereotypisierungen weiterhin als unproblematisch bis affirmativ bewertet. So wird in der rezenten Filmindustrie oft das charakterologische Bild von geschäftstüchtigen oder humorvollen Jüdinnen und Juden inszeniert. Dies erweist sich insofern als problematisch, als jede Art von gruppenbezogenen Vereinheitlichungen Rückgriff auf historisch tradierte Vorurteile nimmt, die dazu neigen, Menschengruppen willkürlich zu homogenisieren. Unter diesem Vorzeichen können sich auch vermeintlich positive Stereotypisierungen schnell in ihr virulentes Gegenteil verkehren und für antisemitische Polemik anschlussfähig werden. Generell ist es als kritisch zu bewerten, wenn außenstehende Medienschaffende einen Daseinsbefund über die jüdische Identität ausstellen, denn damit wird die subjektive Sichtweise der Betroffenen schlichtweg übergangen. Zur Überwindung des Status Quo leistet Freitagnacht Jews einen wichtigen Beitrag und das nicht nur mit der inhaltlichen Programmatik. Allein schon durch das heterogene Auftreten der Gäste, welche größtenteils jüdischer Abstammung sind, wird die unterschätzte Vielschichtigkeit des Judentums plakativ demonstriert.
Und auch für die jüdische Community war es endlich an der Zeit, in den öffentlichen Medien durch eine Stimme ihresgleichen repräsentiert zu werden, die an einen ähnlichen Erfahrungshorizont anknüpfen kann. Ein Format, das vor allem Jüdinnen und Juden anstelle der breiten Mehrheit als Zielgruppe hat, sucht in der bisherigen Medienindustrie vergeblich seinesgleichen.
Message: Das einzig wahre Judentum existiert nicht
Vordergründig verfolgt die Produktion also ein Ziel: Vorurteile über das Judentum endgültig zu durchbrechen und das Bild einer eindimensionalen Identität mit dem einer mehrdimensionalen zu ersetzen. Die immer noch weit verbreitete Annahme vom Judentum als homogene Gemeinschaft, welche in stromlinienförmiger Gleichheit an denselben Wert- und Lebensvorstellungen festhält, ist überholt. Wie Jüdinnen und Juden ihre Wurzeln wahrnehmen und ihr Judentum ausleben, ist zugleich divers und individuell, wie unsere modern-westliche Gesellschaft selbst. Mit genau dieser Botschaft will das innovative Format Freitagnacht Jews sich seinen Zuschauer:innen mitteilen. Als Vermittlungsagent eignet sich hierfür niemand besser als Daniel Donskoy, der mit seiner charismatischen Art die Herzen des Publikums für sich gewinnt.
Mirjam Epstein