Die UG-Novelle erschwert Studierenden die politische Teilhabe. Mark und Elias reflektieren über dessen Folgen und verraten euch, was ihr dagegen tun könnt.
Seit Beginn der 2. Republik gibt es ein Tauziehen um die Grenzen der Mitsprache Studierender in den Hochschulen, und umgekehrt um den Einfluss der Verwaltung und (Partei-) Politik innerhalb der ÖH, ebenso um Studiengebühren. 1950 wurde das erste Hochschüler:innenschaftsgesetz der 2. Republik, welches die ÖH zu einer politischen Interessenvertretung analog zu den Kammern mit dem Recht auf Begutachtung im Gesetzesprozess machte, verabschiedet.
Die ÖH-Wahlen im Pandemie Sommersemester 2021 sind nun eine Weile her. Die Wahlbeteiligung befindet sich auf einem Rekordtief. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn sich die meisten Studierenden gar nicht in ihrer Uni Stadt aufhalten, das Angebot zur Briefwahl auch nur spärlich angenommen wurde, und eine Online-Wahl, nachdem sie schon einmal vom VfGH gekippt wurde, auch nicht durchgeführt werden konnte. Warum die „übliche“ Wahlbeteiligung, die sich irgendwo zwischen zwanzig und dreißig Prozent befindet, kein Grund zur Sorge ist, habe ich bereits in einem Gastkommentar für den Standard dargelegt.
Die Relevanz und damit die demokratische und politische Legitimation der ÖH speist sich in meinen Augen aber aus den Möglichkeiten, die diese zur Mitbestimmung hat. Mit Mark von der studentischen Initiative „Uns Reichts“ habe ich darüber gesprochen wie die Bundespolitik der ÖH das Leben durch UG Novellen zunehmend schwer macht, aber auch darüber was die ÖH besser machen könnte, um die Studierenden wieder für politische Basisarbeit zu begeistern.
Elias Weiss: Was ist „Uns Reichts“, für alle, die es verpasst haben?
Mark Elias Napadenski: Wir sind eine fraktionsübergreifende Studierendenorganisation, die sich im Herbst 2019 während der Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen gegründet hat. Unser Ziel war es, die ÖH mit einem sanften Druck von der Basis dazu zu bringen, ihr Versprechen einer linken Koalition einzulösen. Deshalb agieren wir auch explizit als überparteiliche Vereinigung engagierter Studierender. Darüber hinaus wollten wir eben die Bemühungen der ÖH, direkten Einfluss auf die bildungspolitischen Verhandlungen zwischen Grünen und Türkisen mit unserer Stimme und unseren Aktionen unterstützen. Mit Sigrid Maurer im Verhandlungsteam der Grünen, dachten wir eine gute Verbündete für unsere Anliegen, die in unserem Forderungskatalog zusammengefasst sind, zu haben, immerhin startete ihre politische Karriere in einer spontanen studentischen Bewegung wie der Unsrigen. Der Verband von „Uns Reichts“ ist schnell gewachsen, es gab dann Plena, bei denen Vertreter:innen aller ÖH-Fraktionen anwesend waren. Sogar AG und JUNOS beteiligten sich anfangs, verließen die Initiative aber wieder schnell. Inzwischen sind, von den in Studierendenfraktionen organisierten Personen, nur mehr solche aus linken Parteien da. Davon abgesehen sind wir aber vor allem an der Basis, also oftmals in Studienvertretungen, aktiv. Im Grunde ist jede:r willkommen, der/die, die Universitäten und ihre Räume wieder demokratisieren will.
EW: Und wieso meinst du, engagieren sich Studierende nicht einfach innerhalb der bestehenden Möglichkeiten?
MN: Das Problem ist, dass es zwar Partizipationsmöglichkeiten gibt, diese aber nicht gut kommuniziert werden. Gerade die höheren Ebenen der ÖH sind ein exklusiver politischer Raum, in den man schwer ohne Kontakte hineinkommt. Auch die Studienvertretungen sind je nach Institut mal mehr, mal weniger exklusiv.
EW: Der Einstieg in die ÖH ist für Außenstehende schwierig. Hier stimmst du ja mit der AG überein. Wie hast du die Zeit, als die AG den Vorsitz gestellt hat, erlebt?
MN: Allein die Nähe zur ÖVP ist programmatisch mit linker ÖH Politik schwer vereinbar, immerhin haben sie auch gegen unseren Forderungskatalog gestimmt. Aber selbst, wenn wir bei Forderungen, wie mehr physischen Raum an den Universitäten oder Kindergärten, übereinstimmen, kommt man schnell an eine Grenze, wenn es z.B. um die Forderung nach einem höheren Budget für die Unis geht, oder auch bei der Drittelparität in den Gremien.
EW: Die Drittelparität gab es ja schon einmal.
MN: Genau! Wir wollen zurück zu einer Uni, in der Studierende aktiv an Entscheidungsprozessen teilhaben. Inzwischen handelt es sich eher um eine passive Rolle. Und das merkt man an der UG-Novelle. Es handelt sich um den autoritärsten Umbau der Universität seit Langem: Die Mitspracherechte der Studierenden im Senat wurden noch weiter eingeschränkt! Es ist wirklich wichtig, auf dieses Problem der potenziellen politischen Einflussnahme aufmerksam zu machen. Leider findet keine breitenwirksame Diskussion zu dem Thema statt. Wir sollten uns auch fragen, warum die UG Novelle ausgerechnet in einer Pandemie durchgedrückt wurde: Welche Rolle spielte die Tatsache, dass studentischer Protest schwieriger zu organisieren war?
EW: Geplant war eine Reform des Universitätsgesetzes aber schon länger?
MN: Ja, das stimmt. Aber plötzlich hatten es alle eilig. Die Begutachtungszeit ist genau in die Pandemie gefallen. Da waren Studierende aber mit anderen Sorgen belastet. Die ÖH hätte zwar öffentliche Stellungnahmen abgeben können, war aber unter Hanger regierungsblind. Und die traditionellen Protestformen von Uni Bewegungen, man erinnere sich nur an „Unibrennt“, waren nicht möglich. Das halte ich für ein Kalkül der Regierung. Und dadurch werden die Existenzängste von Studierenden nur noch weiter geschürt.
EW: Welche Rolle spielt Mitbestimmung für Partizipation?
MN: Ich glaube, die Forderung, Partizipation an politischen Prozessen öffentlicher und transparenter zu machen, ist immer und überall gültig. Aber es gibt zwei Ebenen: Erstens, Leute dazu zu bringen, sich aktiv an der ÖH zu beteiligen. Das erfordert unter anderem, dass sich die Parteien, Fraktionen und Basisgruppen der ÖH mehr öffnen. Gerade bei studentischen Ablegern von Großparteien gibt es klare Karrierewege. Zuerst ist man in der Jugendorganisation, dann kommt man zu den Studierenden, um anschließend in der Partei Karriere zu machen. Hier ist es schwer für Außenstehende anzuknüpfen.
Zweitens, interessiert Studierende vor allem, wie die ÖH konkret ihren Alltag beeinflusst. Leider können sich viele das Interesse für die aufwendige Gremienarbeit schlicht nicht finanzieren, weil sie berufstätig sind. Hier wäre es z.B. Aufgabe der ÖH, die Studierenden besser über die Prozesse zu informieren.
EW: Die Drittelparität wurde ja ursprünglich in den 1970er-Jahren von einer parteiübergreifenden Studierendenbewegung wie „Uns Reichts“ durchgesetzt, bevor sie wieder abgeschafft wurde. Tatsächlich haben ja derzeit noch die Studienvertretungen, also die unterste Ebene der ÖH, am meisten Mitbestimmungsmöglichkeiten, da sie am Institut in die Bestellung von neuen Lehrpersonen und der Erstellung des Curriculums mitwirken können. Ich selber saß diesen Sommer für meine Studienvertretung in einem Hearing für eine Tenure Track Stelle.
MN: Also Mitbestimmung ist es nicht wirklich, die Studienvertretungen können inzwischen nur mehr eine Stellungnahme abgeben. Wir werden also beteiligt, aber richtig mitentscheiden dürfen wir dann nicht.
EW: Na ja, wenn es eine völlige Fehlbesetzung sein sollte, kann ich das ja zumindest publik machen und Druck von der Straße und über die Medien aufbauen.
MN: Genau, es bleibt den Studierenden unter den derzeitigen Bedingungen auch nichts anderes übrig, als auf die Straße zu gehen, das wird meiner Meinung nach zu wenig genutzt. Und das ermöglicht dann ja das allgemeinpolitische Mandat.
EW: Das wird leider auch viel zu oft in Frage gestellt. Lass uns eventuell noch ein paar Worte zur Verschulung der Universitäten sprechen. Die Politik fordert ja immer wieder mal, die Wirtschaft mehr in die Hochschulpolitik einzubinden.
MN: Der „Wirtschaft“ noch mehr Platz auf den Hochschulen einzuräumen, wäre absurd. Die Präsenz von Unternehmen an den Unis ist ja jetzt schon problematisch, da gibt es dann einen Red Bull Hörsaal und eine Glock Bibliothek als Nächstes. Aber am problematischsten ist dabei die Einflussnahme auf die Lerninhalte, das gefährdet massiv die Freiheit der Unis. Diese Entwicklung verweist auf eine mangelnde Finanzierung der Universitäten.
EW: Aber was macht das mit den Studierenden? Ich merk das ja gerade bei mir, ich ärgere mich eigentlich, dass ich bei diesem Hearing zugesagt habe, da ich Zeit darauf verwende, die ich besser damit verbringe, meine Masterarbeit zu schreiben, um schnell den nächsten Abschluss zu machen.
MN: Politische Partizipation muss man sich auch heute noch leisten können. Gerade bei der ÖH stehen die Aufwandsentschädigungen, die man da so bekommt, in keinem Verhältnis zu der Arbeit, die geleistet werden muss. Es ist aber auch wichtig, sich als gesamte Gesellschaft zu überlegen, welche Rolle Hochschulen und Universitäten haben sollen. Derzeit wirken sie auf uns Studis nämlich nur mehr wie Titelfabriken. Jedes Semester, das man dabei für politische Arbeit verwendet, ist dieser Logik entsprechend reine Verschwendung. Absurd wird es, wenn man sich anschaut, wer Gesetze, wie das zur Mindestleistung, schreibt: allesamt Politiker:innen, die selber 10, 20 oder 30 Semester für ihren ersten Abschluss, wenn sie ihn denn jemals gemacht haben, gebraucht haben. Realistisch wäre daher nicht nur die Nichteinführung, bzw. die Abschaffung, der Mindest-ECTS Anzahl, sondern auch die Anhebung der sogenannten Mindeststudiendauer auf die tatsächliche Regelstudiendauer von 9 Semestern für den Bachelor.
EW: Das Problem hier, sind doch viel mehr die Gebühren und andere Unannehmlichkeiten, die in Kraft treten, sobald man diese Fristen überschreitet. Macht es nicht mehr Sinn, diese abzuschaffen?
MN: Ja, da stimme ich dir zu. Die beitragsfreie Zeit soll auch auf die tatsächlich notwendige Anzahl an Semestern, die es braucht, um ein Studium abzuschließen, angepasst werden. Viel wichtiger ist in diesem Kontext aber darauf aufmerksam zu machen, dass sich die Universitäten nun herausnehmen wollen, mit den Studierenden zukünftig privatrechtliche Leistungsvereinbarungen abzuschließen, die Tür und Tor für Missbrauch öffnen. Von bezahlten Masterprogrammen fangen wir jetzt gar nicht erst an.
Das Gespräch wurde geführt von Elias Weiss, Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien, mit Mark Elias Napadenski, Aktivist bei „Uns Reichts“.