Eigentlich ist schon alles gesagt

Eigentlich ist schon alles gesagt

Wenn Jüdinnen und Juden von einer Sache müde sind, dann davon, sich ständig wiederholen zu müssen. Es ist schwer zu zählen, wie oft wir in den vergangenen Jahren versucht haben, den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antizionismus und ebenso, dass das eine nicht ohne das andere existieren kann, zu erklären. Es ist schwer zu zählen, wie viele Interviews wir gegeben und wie viele Artikel wir darüber geschrieben haben, dass alles, was in Israel und Palästina passiert, Auswirkungen auf die Diaspora hat. Jedes Mal, wenn Krieg im Nahen Osten ist, steigt der Antisemitismus weltweit exponentiell. Eigentlich ist schon alles gesagt. Alles Wissen ist bereits in der Welt und dieser Artikel hier ist obsolet. Eigentlich. Denn wenn Jüdinnen und Juden eines in den vergangenen drei Wochen erneut schmerzhaft erleben  mussten, dann ist es, dass all unsere Bemühungen und all die unbezahlte Bildungsarbeit nichts gebracht haben.

In den frühen Morgenstunden des 7. Oktobers beging die islamistische Terrororganisation Hamas den größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. In ihrer Grausamkeit ließen sie kein Detail aus. Kleinkinder wurden ermordet, Frauen neben ihren toten Freund:innen vergewaltigt und Shoa-Überlebende nach Gaza verschleppt. Währenddessen bangten Familien in der Diaspora um ihre Angehörigen vor Ort. Sie sahen Bilder, die an das Unvorstellbare grenzen. Am 7. Oktober konnten Jüdinnen und Juden weltweit weder schlafen noch essen oder klar denken. Dieser Tag hat uns für immer verändert.

Bei all dem Horror und Leid, das wir gesehen haben, hätte man annehmen dürfen, Jüdinnen und Juden würde wenigstens  Empathie entgegen gebracht werden. Man hätte denken können, uns würden wenigstens ein paar Tage des Trauerns und Verarbeitens zustehen. Und dennoch wussten wir es von Anfang an besser. In zahlreichen Gemeinden wurden die Sicherheitsvorkehrungen noch am selben  Tag drastisch erhöht. Alles, was in Israel passiert, trifft die Diaspora.

Noch während der Massaker der Hamas und der darauffolgenden Befreiung der Kibbuzim und Moschawim durch die IDF, wurden in Berlin Neukölln Süßigkeiten von der antisemitischen Organisation Samidoun verteilt, um „den Widerstand“ zu feiern. Nur wenige Stunden nachdem die verstörenden Bilder um die Welt gegangen waren, veröffentlichte die Organisation „Palästina Spricht“ einen Post, in dem das Massaker des 7. Oktobers als „Folge des Siedlerkolonialismus“ bezeichnet  wurde. Wenige Wochen später ist die Situation noch schlimmer geworden. In mehreren europäischen Großstädten wurden Häuser, in denen Jüdinnen und Juden leben, mit Davidsternen markiert. Viele Gemeinden wurden Opfer antisemitischer Anschläge – auch in Wien und  Berlin. Junge Jüdinnen und Juden verstecken ihre Davidstern-Ketten und jüdische Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Wir erleben eine Realität, von der selbst die Pessimist:innen unter uns nicht dachten, dass sie möglich wäre.

Doch so traurig diese Realität auch sein mag, Jüdinnen und Juden weigern sich, in ihrer Opferrolle zu verharren. Seit dem 7. Oktober arbeiten jüdische Aktivist:innen härter als je zuvor. Sie arbeiten durch den Schmerz, weil für die Community da zu sein und nicht aufzugeben, das Einzige ist, das hilft. Und auch weil sie wissen, dass dieser Alptraum noch lange nicht vorbei ist. Jedoch ist der naive Glaube daran, dass Diplomatie und Kompromissbereitschaft uns schützen würden, vergangen. Den Kopf zu ducken und kostenlose Bildungsarbeit zu leisten, bringt nichts mehr. Jetzt ist der Zeitpunkt, um jüdische Resilienz und Wehrhaftigkeit zu leben. Wir werden nicht mehr verhandeln, was unverhandelbar ist. Zum Mitschreiben:

  1. Die Hamas ist eine Terrororganisation, die ihre eigene Zivilbevölkerung als Schutzschilder missbraucht und deren Ziel es ist, alle Jüdinnen und Juden auszulöschen.
  2. Antizionismus ist Antisemitismus.
  3. Jüdisches Leben ist ohne den Staat Israel nirgendwo auf der Welt sicher.

Wie jedes Mal hoffe ich, dass es das letzte Mal ist, dass ich das wiederholen muss. Doch Lebenserfahrung und Bauchgefühl sagen mir leider etwas anderes.

Hanna Veiler 

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