Die JewFace-Debatte und Maestro
Falsche Nase von Bernstein-Darsteller sorgt für Kontroverse
Der 2023 erschienene Biopic „Maestro“ über den weltberühmten jüdischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Leonard Bernstein hat eine Kontroverse vom Zaun gebrochen, die schon älter ist als der Film selbst. Was dem italo-irischen Regisseur und Hauptdarsteller Bradley Cooper nämlich vorgeworfen wurde, ist die Performanz von Jewface. Cooper habe nämlich für seine Darstellung Bernsteins eine falsche Nase getragen, bzw. seine Nase durch Make-Up vergrößern lassen. Dies unter dem Vorwand, Bernstein so detailgetreu wie möglich darzustellen. Immerhin hatte er ja einen nicht ganz unbeträchtlichen Zinken.
Was ist Jewface?
Der Begriff Jewface mag vielen unbekannt sein, doch es kennen wohl die meisten den ähnlich klingenden Begriff Blackface. In beiden geht es darum, einen
stereotypisierten Charakter auf einer Bühne zur Schau zu stellen, damit sich das Publikum über ihn lustig machen kann. Im Zuge sogenannter Minstrel Shows wurden Afroamerikaner:innen bereits im 18. Jahrhundert auf diese stereotypische und rassistische Weise dargestellt.
Als im späten 19. Jhd. die Welle von über zwei Millionen jüdischer Migrant:innen aus Osteuropa in die USA strömte, wurden nun diese in den Vaudeville Shows auf ähnliche Weise verspottet. Der „Stage Jew“ wurde geboren, indem sich Nicht-Juden und Jüdinnen mithilfe grotesker falscher Bärte, schäbigem Gewand und einer großen falschen Nase als stereotype Juden ausgaben, ein stark gejiddelter Akzent inbegriffen. Eines der dabei vorgetragenen Lieder heißt “When Mose with His Nose Leads the Band” (1906). Wie der Name schon erahnen lässt, geht es um einen jüdischen Dirigenten, der mit seiner überproportionalen Nase die Band dirigiert.
Sobald sich diese jüdischen Migrant:innen jedoch langsam akkulturierten, waren es die Juden und Jüdinnen selbst, die sich die Shows ansahen, den „Stage Jew“ mitsamt Jewface spielten und die Lieder sangen, die immer noch stark mit jüdischen Stereotypen belastet waren. Auch damals war die ganze Angelegenheit nicht unproblematisch, so wollte die „Central Conference of American Rabbis“, dessen Mitglieder meist alteingesessene Juden und Jüdinnen waren, diese Shows 1909 verbieten. Was für jene vielleicht pietätlos war, bedeutete doch für einen großen Teil der jüdischen Bevölkerung Amerikas einen lustigen Abend, indem sich die neue Generation über eigene Stereotype lustig machen konnte. Deutlich problematischer ist es jedoch, dass viele der prominentesten jüdischen Performer:innen jener Vaudeville Shows auch diejenigen waren, die in den bereits erwähnten Minstrel Shows gespielt haben, Blackface inklusive.
Das neue Jewface
Die „Stage Jews“, inklusive gewisser Formen von Jewface, gibt es aber immer noch, sie haben sich nur im Laufe der Zeit verändert. Eine traditionelle Form des „Stage Jews“ findet man etwa in den meisten Werken von Mel Brooks, inklusive neuer Elemente wie „Jews in Space“. Eine weitere Form finden wir in der Darstellung des schwachen, kränklichen und unsportlichen Juden, wie etwa Kyles Cousin Kyle in South-Park (2001) oder Woody Allen in seinen meisten Filmen. Die lustige und neurotische Version lässt sich etwa bei Sarah Silverman sehen. Hierzu hat sich der neue israelische Stage Jew hinzugesellt, wie man in etwa vom Zohan (2008) oder Sacha Baron Cohen´s Eran Morad (2018) kennt.
Die Kehrseite erfolgreicher „Stage Jews“, so viel Spaß es Juden und Jüdinnen auch macht, ihnen zuzuschauen, existiert jedoch. So helfen sie dabei, jüdische Stereotype zu verbreiten. Die Vaudeville Shows haben nicht dazu beigetragen, gegen das antisemitische Stereotyp vom großnäsigen und geizigen Juden vorzugehen. Den Performer:innen der „Stage Jews“ wurde damals gar vorgeworfen, selbst hauptverantwortlich für antisemitische Stereotype zu sein.
Wer darf wen spielen?
In der aktuellen Debatte um Jewface geht es jedoch weniger um die Verbreitung jüdischer Stereotypen als um die Repräsentation von Minderheiten in Film und Fernsehen. Im Grunde ist es die jüdische Antwort auf den Diskurs um cultural appropriation. Es geht um die Frage, wer wen spielen darf und darum, wie weit man gehen soll, um einen Juden „akkurat“ auf der Leinwand darzustellen.
Cooper erntete für seine Verwendung der Nasenprothese harsche Kritik in den sozialen Medien. Ihm wurde vorgeworfen, im Grunde dasselbe zu tun, wie Leute die Blackface anwenden und das antisemitische Stereotyp des Juden mit großer Hakennase zu verbreiten. Cooper sähe durch die Nase nicht einmal Bernstein ähnlicher, sondern nur, wie der stereotype Jude.
Der Film Golda (2023) wurde ähnlich kritisiert, da Golda Meir von einer Nicht-Jüdin gespielt wurde, die für ihre Rolle auch Make-Up und Prothesen benutzte. Steven Spielberg wurde dafür kritisiert, in seinem semi- autobiographischen Film The Fabelmans (2022) nicht-jüdische Schauspieler:innen für die Rollen seiner Eltern gecastet zu haben. The Marvelous Mrs. Maisel (2017) mit Rachel Brosnahan oder Oppenheimer (2023) mit Cillian Murphy wurden ebenso kritisiert. Zwar gab es für diese Protagonist:innen keine falschen Nasen, aber die Besetzung der jüdischen Rollen mit nicht-jüdischen Schauspieler:nnen, war bereits genug, um öffentliche Kritik zu ernten.
Im Falle Coopers lässt sich feststellen, dass es sich nicht um eine echte Form von Jewface handelt, zumal Coopers Bernstein kein „Stage Jew“ ist. So meinte selbst die Tochter Bernsteins, kein Problem mit der Darstellung zu haben und fand es lächerlich, dass sich Leute darüber aufregen. Immerhin habe er eine schöne, große Nase gehabt. Die Idee, nur ein Jude dürfe ihren Vater spielen, sei schwachsinnig.
Würden wir den Gedanken weiterspinnen und sagen, es dürften nur mehr Juden und Jüdinnen jüdische Rollen übernehmen, gelangten wir an einen recht prekären Ort. Neben der höchst problematischen Frage, wie jüdisch denn jemand sein müsste, um eine jüdische Rolle zu übernehmen und wie das festgestellt werden kann, würden jüdische Schauspieler:innen nämlich ebenso in eine Falle tappen. Müsste es nicht im Umkehrschluss dann ebenso sein, dass Juden und Jüdinnen nur noch jüdische Rollen annehmen dürften und keine anderen mehr? Wäre dies der Fall, wären etliche jüdische Schauspieler:nnen arbeitslos.
Conclusio:
Man sollte es zumindest vermeiden, sich eine falsche Nase aufzusetzen, um einen jüdischen Charakter zu spielen, immerhin gibt es jüdische Nasen aller Formen und Größen. Doch gibt es manche Fälle, in denen es durchaus berechtigt ist, eine anzufertigen. Etwa wenn die dargestellte Person einen wirklich großen und vor allem auch bekannten Zinken hatte, sodass gecastete Schauspieler:innen mit natürlicher Stupsnase (man stelle sich vor, so jemand spielt Barbra Streisand) jegliche Glaubwürdigkeit verlieren würden. Selbst das ließe sich jedoch recht einfach vermeiden, immerhin gibt es genügend talentierte und großnasige Schauspieler:nnen, die in die jeweilige Rolle schlüpfen könnten. Ob sie nun jüdisch sind oder nicht, sollte egal sein.
Joni Davidowicz