Nicht mitgemeint
Laura Cazés über die fehlende Solidarität mit jüdischen Frauen nach dem 7. Oktober
NOODNIK: Man könnte meinen, der 7. Oktober sei in der breiten Masse weltweit als Massaker anerkannt worden. International sehen wir jedoch ein Anzweifeln und Relativieren der geschlechtsspezifischen Gewalt und die Verwendung von Vergewaltigung als Kriegswaffe gegen Frauen. Sowohl am 7. Oktober als auch in der Geiselschaft wurde dies weitestgehend totgeschwiegen, wenn nicht sogar verleugnet.
Könntest du unseren Leser:innen einen kurzen Einblick in die Ereignisse des Schwarzen Shabbat in Bezug auf sexualisierte Gewalt geben und erläutern, wie diese schrecklichen Akte gegen Frauen die Dynamik des Konfliktes beeinflusst haben?
Laura: Was ich definitiv schildern kann, ist, wie ich die Berichterstattung erlebt habe. Als Person, die sich professionell mit Erfahrungen von Antisemitismus und jüdischen Gegenwartsperspektiven beschäftigt und israelische Medien verfolgt, war mir sehr früh klar, dass in dieser speziellen Situation am 7. Oktober auch sexualisierte Gewalt Teil des Terrors gegen die israelische Zivilbevölkerung war. Und das war schon am 7. Oktober selbst klar, nicht nur weil Augenzeug:innen oder Überlebende darüber berichtet haben, sondern weil die Hamas diesen orchestrierten Terrorakt dokumentiert und auch über soziale Medien verbreitet hat. Ganz konkret sind zwei Videos besonders viral gegangen, die am 7. und 8. Oktober verbreitet wurden: In einem war Shani Louk zu sehen, von der wir leider wissen, dass sie mittlerweile tot ist. Sie wurde auf grausame Weise ermordet, ihr Körper auf der Ablagefläche eines Hamas-Pick-up-Trucks halbnackt leblos von Männern tangiert und geschändet. Auf dem anderen Video war Naama Levy zu sehen, wie sie mit blutverschmierter Jogginghose von einem Hamas-Terroristen ins Auto gezerrt wurde. Direkt war klar: Hier sind gezielt Übergriffe an Frauen als Terrorwaffe eingesetzt worden. Und auf einer grausamen Art und Weise war das logisch, denn die Hamas erinnert in ihrer Vorgehensweise – in welcher Menschen auf offener Straße exekutiert werden und dies im Netz dokumentiert wird – an den IS, von dem wir wissen, dass er sexualisierte Gewalt beim Völkermord gegen Jesid:innen eingesetzt hat.
Doch nun wurden die meisten von uns wohl zum ersten Mal Zeug:innen davon, wie Antisemitismus zum Motiv für sexualisierte Gewalt in diesem Ausmaß geworden ist. Gewalt gegen jüdische Frauen ist per se nichts Neues, aber in einer solchen Sichtbarkeit, in einer solchen Perversion und in einer solchen Grausamkeit war so etwas seit der Shoa bisher nicht bekannt. Das heißt für die meisten jüdischen Personen und vor allem Frauen war schnell klar, was passiert, dass wir damit auch gemeint sind, und das stand im extremen Kontrast dazu, wie in der Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde.
NOODNIK: Wir sehen eine Überschneidung von Antisemitismus und Antifeminismus in der Idelogie der Hamas. Die Verschränkung aus islamistischem Frauenhass und antisemitischen genozidalen Fantasien führten zur öffentlichen Misshandlung israelischer Frauen, um letztendlich zu demütigen und einen bildlichen Sieg über Israel zu demonstrieren und die Bevölkerung zu traumatisieren.
Doch interessanterweise ist die Welt nicht komplett entsetzt darüber, was Frauen am 7. Oktober widerfahren ist. Die Intersektion von Frau- und Jüdisch- Sein hat zu keinem Zeitpunkt deutlicher ihre Vulnerabilität gezeigt.
Wie wurden diese Ereignisse in der Retrospektive von der internationalen feministischen Community, insbesondere Organisationen wie UN Women, wahrgenommen und adressiert?
Laura: Fangen wir mal damit an, dass sie erstmal überhaupt nicht thematisiert wurden, außer von israelischen Frauenrechtler:innen selbst. Das war so die erste Absurdität mit der wir konfrontiert waren. Warum es nicht thematisiert wurde? Zum einen passt es nicht in das latent antisemitisch verzerrte Bild der selbstbestimmten israelischen Frau, die ja in der israelischen Armee dient, ein Opfer zu werden. Zum anderen wurden die zivilen Opfer in Gaza sofort in Augenschein genommen und diese Gleichzeitigkeit, dass es auch israelische Opfer gibt, war und ist für viele nicht aushaltbar. Es bestand überhaupt kein öffentlicher Raum, um zu thematisieren was jüdischen Frauen und im Übrigen auch jüdischen Männern- wenn wir von Genitalverstümmelung usw. sprechen- angetan wurde. Speziell bezogen auf UN Women, hätte man ja meinen können, dass zu dem Zeitpunkt noch keine Berichte an internationale Organisationen durchgedrungen sind. Das widerspricht aber ganz konkret den Schilderungen der Rechtsprofessorin Ruth Halperin-Kaddari, die schon wenige Tage nach dem 7. Oktober einen Brief mit ersten Belegen über verübte sexualisierte Gewalt und allen Informationen, die ihr zur Verfügung standen, an die Institutionen der UN versandt hat. Zwei Monate hat es gedauert, bis sich die Direktorin von UN Women, Sima Bahous, dann schließlich dazu durchgerungen hat, in einem öffentlichen Statement diese Gewalt zu benennen. Zu dem Zeitpunkt lag dann nicht nur ein Brief, sondern mittlerweile Ordner von Beweisen, Zeugnissen, Augenzeug:innenberichten und Dokumentationen, welche unabhängigen Überprüfungen unterzogen wurden, auf ihrem Schreibtisch. Dass in diesem Statement auch das Leid der Frauen in Gaza adressiert wird, suggeriert, dass die Gewalt an der israelischen Zivilbevölkerung nicht benannt werden kann, ohne auch im selben Atemzug das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza zu erwähnen, welches natürlich existent ist. Aber es schien irgendwie so, als könnte dieses Spezifikum in dem asymmetrischen Krieg nicht für sich alleine stehen.
NOODNIK: Du bist bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland tätig und hast Einblicke in ganz verschiedene Lebensrealitäten von jüdischen Menschen und eben auch von Frauen. Was konntest du in den Communities als Reaktion auf die Gräueltaten gegenüber Frauen beobachten?
Laura: Jüdische Frauen weltweit erfuhren, dass das Passierte nicht nur nicht benannt wird, sondern in manchen Kreisen, die sich normalerweise dezidiert mit feministischen Themen befassen, die Gewalt an Frauen verleugnet wird oder es gar zu den Behauptungen kommt, israelische Frauen hätten das verdient. Jüdische Frauen die Teil dieser Räume sein wollen, auch mit ihrer jüdischen Erfahrung, fühlen sich in diesen nicht mehr sicher, da von ihnen eine Positionierung zu Israel abverlangt wird und dann auch noch behauptet wird, dass eine Gewalt, bei der wir wissen, dass sie auch gegen uns gerichtet ist, weil sie in ihrer Ideologie antisemitisch aufgeladen ist, gerechtfertigt ist. Das sind Räume in denen wir eigentlich Schutz suchen würden. Die Ereignisse des 7. Oktober allein haben innerhalb der jüdischer Communities weltweit eine kollektive Sekundärtraumatisierung ausgelöst. Zusätzlich erfahren jüdische Menschen, dass ihre Erfahrungen in Räumen, die sie eigentlich schützen sollten, dethematisiert werden. Sexualisierte Gewalt und die Nicht-Benennung dessen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Aber wenn die Strukturen, die sich normalerweise sehr intensiv damit befassen und dagegen einstehen, sogar soweit gehen, sie nicht nur nicht zu benennen, sondern auch zu leugnen, zu relativieren oder, noch schlimmer, zu glauben, dass sie in diesem speziellen Fall gerechtfertigt ist, dann entlarvt sich an dieser Stelle wieder, dass Antisemitismus in jedem gesellschaftlichen Raum existiert. Das ist eine solche Isolationserfahrung für jüdische Personen auf der ganzen Welt, dass es dafür eigentlich überhaupt gar keine Worte gibt. Jüdinnen und Juden werden nicht nur mit dem Schmerz alleine gelassen, sondern auch in jener traumatischen Erkenntnis, zu wissen, dass der 7. Oktober auch gegen sie gerichtet war. Jüdische Frauen wissen, dass sie das selbst hätten sein können. Jüdische Frauen wissen, sie hätten auf dem Festival sein können. Dieses Wissen äußert sich bei vielen in Form von Out of Body Erfahrungen, Alpträumen, Panikzuständen und Paranoia. Und sie wissen auch, dass sich dieser Terror gezielt auf Räume gerichtet hat, die an progressiven Gedanken, an einer Zweistaatenlösung, an friedlichem Zusammenleben mit Palästinenser:innen interessiert sind. Das sind so viele Schmerzpunkte auf einmal. Diese unterschiedlichen Ebenen lassen sich sehr eindrücklich durch den Hashtag #metoounlessyoureajew auf den Punkt bringen, was es eigentlich bedeutet, sich mit dem primären Schmerz befassen zu müssen und andererseits zu wissen: no one gives a shit.
Selbstverständlich müssen wir auch damit umgehen, dass seit dem 7. Oktober sexualisierte Gewalt mit einem antisemitischen Motiv für uns nicht mehr wegzudenken ist, und das ist etwas, womit wir uns auch in jüdischen Communities enttabuisiert befassen müssen.
NOODNIK: Nachdem die Reaktion vieler feministischer Spaces so ausgefallen ist, wie du sie eben beschrieben hast, frage ich mich, ob wir Jüdinnen überhaupt noch Platz in den vorhandenen feministischen Bewegungen haben oder diese Räume neu strukturiert und gedacht werden müssen. Was braucht es, damit Jüdinnen an diesen Orten sicher und aktiv sein können?
Laura: Naja, erstmal wurde auf eine sehr traurige Art bestätigt, was wir schon länger wissen. Wir wissen schon lange, dass die Akzeptanz von jüdischen Menschen in manchen progressiven Räumen fragil ist. Dass jüdische Personen teilweise ihr Jüdisch-Sein vor der Tür lassen müssen, wenn sie Teil dieser Spaces sein wollen.
Daraus sollte aber nicht die Konsequenz folgen, dass wir gerade jetzt weniger feministisch werden. Im Gegenteil: Ich glaube, es ist ein wichtiger Teil, gerade auch von Selbst-Empowerment für sich selbst zu begreifen, wie strukturelle Diskriminierungen zusammenhängen, um aus dieser Ohnmacht herauszukommen. Es ist wichtig, eine feministische Positionierung zu entwickeln, die wir auch so öffentlich benennen können, um dem entgegentreten zu können. Und ich wünschte, es hätte den 7. Oktober nicht gebraucht, um das eindeutig zu verankern. Aber zumindest ist es jetzt sehr klar, dass es dringend jüdisch-feministische Positionierungen braucht, die selbstbestimmt sind. Neu ist das alles nicht, es ist nur jetzt nochmal auf eine sehr extreme Art und Weise klar geworden und in einer Situation, in der jüdische Personen nicht nur Angst haben, wie das auf jeder Titelseite in irgendwelchen deutschsprachigen Medien steht, sondern sie de facto gefährdet sind.
Und bei diesem Kampf müssen wir uns Personen suchen, die gewillt sind uns zuzuhören, davon gibt es nämlich auch in progressiven Räumen viele. Diese Personen müssen wir für uns identifizieren, denn es gibt diejenigen, die wirklich auch versuchen, auf jüdische Aktivist:innen zuzugehen, sie zu schützen und zu unterstützen. Sie sehen, dass viele Erklärungsansätze, die als vermeintlich progressiv gelabelt werden, total verkürzt sind und bestimmte Ideologien vereinnahmen.
Ein Gespräch zwischen Laura Cazés und
Sophie Orentlikher