Das Fundament darf nicht wackeln

Das Fundament darf nicht wackeln

Österreichs Medienlandschaft entkam durch das Platzen der ÖVP-FPÖ Koalition knapp einer Katastrophe. Doch die neue Regierung tut nicht genug, um die Pressefreiheit zu stärken.

Eine Demokratie ist ein bisschen wie eine Burg aus Lego. Es bedarf Geschick und Zeit, sie aufzubauen. Ist sie einmal errichtet, scheint sie stabil und schwer zerstörbar. Doch das ist ein Trugschluss: Tatsächlich bringt jede Erschütterung sie in Gefahr. 

Österreich entkam knapp einem Erdbeben, denn die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP zeigten, dass die beiden Parteien bereit gewesen wären, viel kaputt zu machen. Die Verhandlungen scheiterten, die „Legoburg“ steht. Vorerst. Und doch wurde klar, dass die Fundamente alles andere als stabil sind. Ganz besonders wackelt ein Fundament, das ohnehin schon fragil ist: die Medienlandschaft.

Eine Demokratie braucht eine starke, unabhängige und freie Presse. Soziale Medien vermitteln zwar den Eindruck, dass ohnehin jede:r eine Stimme hat, doch das stimmt nicht: Die Plattformen sind Teil gewinnorientierter Konzerne. Algorithmen bestimmen, was konsumiert wird. Außerdem beugen sich die Unternehmen, auch weil sie so riesig und mächtig sind, nicht den Gesetzen. 

Das jüngste Beispiel ist X, vormals Twitter: Einst die Plattform, auf der sich die Aktivist:innen des arabischen Frühlings, der Black Lives Matter- und der MeToo-Bewegung vernetzten, wurde daraus, nachdem der US-Milliardär Elon Musk sie im Oktober 2022 kaufte, ein Ort des Hasses und der Hetze, auf dem antisemitische Verschwörungstheorien ungehindert verbreitet werden. 

Soziale Medien, die traditionellen Medien wie Tageszeitungen oder Wochenmagazinen den Markt wegnehmen, sind kein rein österreichisches Phänomen. Doch in Österreich steht die Unabhängigkeit der Presse auf besonders wackeligen Beinen. 

Ein Grund dafür ist ein gängiges Finanzierungsmodell: Im Jahr 2023 gaben öffentliche Stellen, also etwa Ministerien, Gemeinden oder öffentliche Unternehmen wie ÖBB oder Wien Energie, insgesamt rund 193 Millionen Euro für Inserate aus. Am meisten profitierten neben dem ORF (26 Millionen Euro) die Kronen Zeitung (16 Millionen Euro) und Heute (9,5 Millionen Euro). Das diene der Information der Bürger:innen, wird argumentiert, weshalb neben dem Öffentlich-Rechtlichen die reichweitenstarken Boulevardmedien so viel bekommen. 

Was zu einem gewissen Ausmaß auch stimmt – aber so, wie es hierzulande gehandhabt wird, schießt es weit über das Ziel hinaus. Zum Vergleich: Pro Kopf umgerechnet gibt Österreich rund fünf Mal so viel für Regierungsinserate aus wie Deutschland. 

Dazu kommt, dass die einzelnen Stellen zwar offenlegen müssen, welches Medium wie viel Geld bekommt, es aber fast keine inhaltlichen Einschränkungen gibt. Was in der vergangenen türkis-blauen Regierung dazu führte, dass extrem rechte Medien wie der Wochenblick und alles roger? mit Inseraten unterstützt wurden. 

Das Problem an dem System ist, dass kaum eine Regierung es eindämmen will – schließlich kann man damit bevorzugte Medien gezielt unterstützen und eventuell auch Berichterstattung beeinflussen. Es ist also wenig überraschend, dass die schwarz-rot-pinke Koalition plant, das Inseratenbudget um gerade einmal zehn Prozent zu kürzen. Besser als nichts, aber dennoch kaum mehr als ein symbolischer Schritt. Die Praxis, die so leicht ausgenutzt werden kann, bleibt. 

Sinnvoller wäre es, die Presseförderung aufzustocken – die nach inhaltlichen Kriterien erfolgt. Im Jahr 2024 betrug sie insgesamt rund 27 Millionen Euro. Da ist, vor allem im Vergleich zu den Regierungsinseraten, Luft nach oben. 

Die „Legoburg“ der Demokratie ist eine bunte. Steinchen unterschiedlicher Formen und Farben müssen zusammenhalten. Das ist nicht immer einfach. Eine vielfältige Gesellschaft braucht einen gemeinsamen Raum. Diese Funktion soll in vielen Demokratien der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllen. Er gehört allen, liefert Informationen für alle, und berichtet über alle. In Österreich ist der ORF das größte Medienhaus des Landes. Er hat rund 3000 Mitarbeiter:innen und ein Budget von rund 683 Millionen Euro im Jahr. Damit werden auch Nischen- und Minderheitenprogramme finanziert, die sich am freien Markt sonst nicht rentieren würden.

Mit einem solch mächtigen Koloss muss man vernünftig umgehen. Doch das gelingt in Österreich leider nicht. Denn der ORF ist in seiner Struktur zu politisiert. Die Stiftungsräte, die so etwas wie der Aufsichtsrat sind, sollen die unterschiedlichen Interessen der Bevölkerung repräsentieren. In der Praxis bedeutet das, dass sie zu einem großen Teil von politischen Parteien und der Regierung besetzt werden und sich in informellen „Freundeskreisen” entlang von Parteilinien zusammentun. 

Die neue Regierung muss dieses Verhältnis zwar nun leicht verschieben, unter anderem so, dass der Publikumsrat mehr Sitze bekommt. So fordert es eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof. Der ORF bleibt trotzdem vulnerabel für politische Einflussnahme. Bei den Generaldirektor:innen haben die einzelnen Parteien meist ihre Wunschkandidat:innen. Auch bei den Führungspositionen wichtiger Sendungen wurden in der Vergangenheit oft vermeintlich einer Partei wohlgesonnene Personen bevorzugt. 

Es ist eine Praxis, die dem Ruf des unabhängigen Journalismus enorm schadet. Und dieser wiederum ist wichtig, damit in einer vielfältigen Gesellschaft möglichst viele Menschen der Berichterstattung vertrauen. Einer Berichterstattung, die Fehler macht, weil diese nun mal passieren, die aber nicht, wie etwa die FPÖ oft behauptet, eine systematische Schlagseite hat.

Guter, sorgfältiger Journalismus ist teuer. Was helfen würde, wäre deshalb eine gute Ausfinanzierung. Die neue Regierung hat jedoch entschieden, den ORF-Beitrag bis 2029 nicht zu erhöhen. Niemand zahlt gerne ORF-Beitrag, und besser als der Plan von Schwarz-Blau, das Budget zu halbieren, ist es allemal. Dennoch ist der neue Vorschlag weniger harmlos als er klingt. Er bedeutet nach Berechnungen des ORF ein Sparbedarf von 220 Millionen Euro. Gleichzeitig wird vom ORF verlangt, dass er sich reformiert, digitaler und moderner wird. Das ist dringend notwendig, wird aber nicht ohne Investitionen gehen.

Es sind Investitionen, die dafür sorgen, dass die Demokratie auf stabilen Beinen steht, damit die bunte Burg aus unterschiedlichen Legosteinen zusammenhält und in ihrer Vielfalt erstrahlt. Denn nur so hält sie Erschütterungen stand. 

Anna Goldenberg

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