Händchenhalten mit Nazis?
Die ÖVP hat erneut jede Glaubwürdigkeit im behaupteten Kampf gegen Antisemitismus verspielt, auch wenn Schwarz-Blau III diesmal nicht zustande kam. Denn während anderswo Brandmauern errichtet und verteidigt werden, koaliert die Volkspartei seit Jahrzehnten immer wieder mit den Kellernazis. Ihre christlichsozialen Vorläufer um Karl Lueger haben dem historischen Nationalsozialismus seinerzeit den Weg geebnet und zwischendurch gab es einen ÖVP-Präsidenten, dessen Pferd bei der SA nur seine Pflicht tat. Eines hat die ÖVP aus der Geschichte gelernt: Wer sich verdreht, gewinnt und wer an nichts glaubt, verliert nicht.
Wenn man keine Wirbelsäule hat, ist es sehr einfach, den Kopf um die eigene Achse zu rotieren. Karl von Vogelsang, der ideologische Gründerpapi der ÖVP, schrieb vor 150 Jahren in der christlichsozialen Zeitung „Vaterland” einen Text namens Für die Juden. Da die ÖVP-Vorreiter um Vogelsang und Lueger allesamt Antisemiten waren, wurde dem Schreiberling daraufhin die Schließung der Zeitung angedroht, weshalb er sich in einem zweiten Text korrigierte, der nun hieß: Gegen die Juden.
Viel hat sich nicht geändert seit damals. Man glaubt an das, was hilft (Wie in der Kirche, da hat es immer geholfen, wenn die Pfarrer zur Wahl der Volkspartei aufriefen, was noch im späten zwanzigstes Jahrhundert Usus war). Apropos Glauben: Der ÖVP-Jahrhundertbürgermeister Karl Lueger soll angeblich kein überzeugter Antisemit gewesen sein, sondern ein strategischer. Eigentlich soll es Lueger nämlich um den „Capitalismus” gegangen sein, wenn er von „Juden” sprach, aber das sei den einfachen Leuten zu kompliziert gewesen. Aber sind es nicht die Christlichsozialen, die seit jeher der politische Arm des Kapitals sind und im Zweifel den Faschismus ausrufen, um auf Arbeiter:innen schießen zu lassen?
Die Juden jedenfalls wollte er köpfen, nicht erschießen, er hatte ja bekanntlich einen rauen Humor, der Lueger. Der derzeitige ÖVP-Bezirksvorsteher des ersten Wiener Bezirks, Markus Figl, will ihn dafür nicht canceln, nur ein wenig kontextualisieren, jedenfalls aber bleibt die kolossale Antisemitenstatue am Ring stehen. Die ÖVP glaubt nicht an Cancel Culture!
Sein Großonkel, Leopold Figl, war von 1945 bis 1953 der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik. In den 1930ern wirkte er als Führer der „Ostmärkischen Sturmscharen”, bei denen freilich keine jüdischen Mitglieder erlaubt waren. Weil sie austrofaschistisch und antisemitisch waren, nannte man sie die „SA des Ständestaates”. Weil er kein deutscher, sondern ein österreichischer Faschist war, verbrachte Figl die meiste Zeit des Nationalsozialismus in Gefangenschaft, unter anderem im KZ Dachau.
Nachdem er als politischer Häftling nicht viele Kontakte mit den „Judenblocks” des Lagers hatte, schloss er dort wohl auch nicht viele interkonfessionelle Freundschaften. Als Staatsoberhaupt der Nachkriegsjahre setzte er sich jedenfalls stark gegen Restitutionen für jüdische Opfer des Nationalsozialismus ein, die erst 1949 als offizielle Opfergruppe anerkannt und erst in den 2000ern tatsächlich restituiert wurden: „Die Juden wollen halt rasch reich werden“, erklärte Figl, der in dieser Zeit um jenen Teil der siebenhunderttausend ehemaligen NSDAP-Mitglieder warb, denen das Wahlrecht nicht entzogen wurde.
Red Carpet statt Brandmauer:
Koalition mit Nazis
Der Teil des alpenländischen Demos, der wegen besonders schlimmen Nazikrams nach 1945 nicht wählen durfte, gründete eine eigene Partei – den Verband der Unabhängigen (VdU), aus dem 1955 die FPÖ entstand. In ihren Kellern singen diese Kellernazis, vom „Vergasen der siebten Million”. Genau genommen macht das die Burschenschaft von Udo Landbauer, den die ÖVP zum Vize-Landeshauptmann von Niederösterreich gemacht hat. Auf ihren Beerdigungen singen führende FPÖ-Nationalratsabgeordnete das SS-Treuelied. Die ÖVP hätte denselben gern das Bundeskanzleramt überlassen, solange sie dafür selbst das Finanzministerium bekommen hätte.
Sicherlich war es unbequem, dass der ehemalige ÖVP-Bundeskanzler und Spitzenkandidat Karl Nehammer über den ganzen Wahlkampf hinweg erklärt hat, die FPÖ sei die größte Gefahr für die Demokratie im Land. Glücklicherweise muss ein ÖVP-Obmann (Obfrauen gab es noch nie) – anders als etwa bei der SPÖ – nicht demokratisch von den Parteimitgliedern gewählt werden, sondern wird auf Zuruf des Wirtschaftsflügels (Industriellenvereinigung) einfach durch den Parteivorstand ausgetauscht. Ist die ÖVP eigentlich eine Firma?
Jedenfalls war es gewiss nicht leicht, als rechtskonservative „Volkspartei” mit dem rechtsnationalen Lager im selben Wähler:innenpool zu angeln. Ähnlich wie der AfD-Freund Merz in Deutschland wurde demgemäß der Versuch unternommen, den Ultrarechten die Show zu stehlen. Die „Schließung der Balkanroute” von Ex-Kanzler Kurz wurde so wie die übrige restriktive Migrationspolitik zum heiligen Gral der Christlichsozialen, denn wer nicht im Geilomobil anreist, wird eben im Rahmen von illegalen Pushbacks im Mittelmeer ertränkt oder im Wald liegen gelassen. Kriminalität in sozial benachteiligten Milieus will ÖVP-Innenminister Karner mit der Senkung des Strafmündigkeitsalters bekämpfen, heißt, er will zwölfjährige Kinder ins Gefängnis stecken. Und der Familiennachzug wird einfach abgeschafft, denn die Familie ist nur heilig, wenn sie bereits im niederösterreichischen Einfamilienhaus sitzt.
Auch beim Kulturkampf hat die ÖVP die Arme der Nächstenliebe geschwungen und die Leitkulturdebatte aus dem Jahr zweitausend aufgewärmt, als wäre man die Mittelstelle Deutsche Tracht im Dritten Reich. Blasmusik, Dirndl und Lederhose wurden als politische Sujets etabliert, unsere Leitkultur findet nämlich im Festzelt statt, nicht etwa in der Oper, im Theater, im Konzerthaus, im Parlament oder im Feuilleton. Trachtentragen ist übrigens erst seit den Nazis ein Teil der anachronistisch bemühten Leitkultur und wurde zum „Vorrecht des deutschen arischen Menschen“. Für Jüdinnen und Juden gab es ein entsprechendes „Trachtenverbot”. Bemerkenswert ist dabei, dass das Dirndlkleid von den jüdischen Brüdern Wallach in München erfunden wurde. Die erste Österreichische Volkspartei (ÖVP) wurde vom liberalen jüdischen Juristen Dr. Moritz Zalman im Jahr 1930 gegründet, der sich gegen den Antisemitismus der christlich-sozialen Faschisten und Nationalsozialisten positionierte. Zalman wurde 1938 im Konzentrationslager ermordet, auch das gehört zur österreichisch-deutschen Leitkultur.
Die Bemühungen der ÖVP, selbst ein kleiner Nazi zu sein und gleichzeitig vor den großen Nazis zu warnen, haben übrigens nicht funktioniert. Denn die Leute wählen im Zweifelsfall lieber das Original.
Der angebliche Kampf gegen Antisemitismus
Hear me out: Die ostmärkischen Sturmscharen der ÖVP-Vorläufer forderten in den 1930ern eine „christliche, organisch aufgebaute Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung“, den „christlichen Volksstaat“ und somit die „selbsttätige Ausschaltung der Vorherrschaft des Judentums“. Das ist nicht so schlimm wie bei den Nazis, oder?
Jedenfalls war nicht nur Leopold Figl bei den Sturmscharen, sondern auch Julius Raab, der zweite ÖVP-Bundeskanzler von 1953–1961. Raab hatte bereits 1930 den Faschisten-Eid abgelegt, sein Nachfolger als ÖVP-Regierungschef war von 1961 bis 1964 Alfons Gorbach. Er war während des Austrofaschismus Landesleiter der Vaterländischen Front, der Partei des ÖVP-Diktators Dollfuß.
Dessen Nachfolger – wir haben es gleich – war von 1964-1970 Josef Klaus, der in den 1930ern zu jung war, um ein hochrangiger Funktionär des Austrofaschismus zu sein. Er setzte sich daher als studentischer Leiter einer christlichsozialen Burschenschaft dafür ein, „dass Professoren jüdischer Volkszugehörigkeit akademische Würdestellen nicht bekleiden dürfen“. Als amtierender ÖVP-Bundeskanzler setzte er sich im Wahlkampf 1970 dafür ein, dass der jüdische SPÖ-Kandidat Bruno Kreisky nicht gewählt wird und beantwortete die selbstgestellte Frage “Klaus oder Kreisky” mit dem plakatierten Aufruf, einen “echten Österreicher” zu wählen.
Klaus verlor die Wahl gegen den Juden Kreisky. Es folgten dreißig Jahre Sozialdemokratie und damit alles, wogegen die ÖVP historisch gekämpft hatte, weil sie eine sozialkonservative, wirtschaftsliberale, reaktionäre und chauvinistische Scheisspartei ist: Freie Universitätszugänge, Frauenrechte, Homosexuellenrechte, Minderheitenrechte, Arbeitnehmer:innenrechte, kostenfreier öffentlicher Verkehr und ein Bekenntnis zur historischen Verantwortung der doppelt-postfaschistischen Nation Österreich.
Das falsche Pferd
Die ÖVP nahm das mit der historischen Verantwortung bekannterweise nicht so ernst. ÖVP-Bundespräsident Kurt Waldheim verschwieg die SA-Vergangenheit seines Pferdes und wurde 1986 nicht trotz, sondern wegen dieser gewählt.
Die Kurt-Waldheim-Memorial-Library wurde 2025 zwar endlich geschlossen, jedoch aus finanziellen Gründen. Das Dollfuß-Portrait im ÖVP-Parlamentsklub wurde nach dem Umbau 2017 zwar nicht wieder aufgehängt, jedoch auch nicht abgehängt, erklärte damals Bundeskanzler Kurz. Die einbalsamierte Leiche des antisemitischen Bürgermeisters liegt zwar noch zwischen Ehrenkränzen im Keller der Dr. Karl Lueger Kirche, jedoch wurde die Kirche umbenannt. Das von ÖVP-Innenminister Karner betriebene Dollfuß-Museum sollte kritisch umgestaltet werden, wurde jedoch letztlich geschlossen.
Im neuen Jahrtausend gibt sich die Volkspartei eben Mühe. Sie will sich dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben haben, aber nur gegen den, der nicht der Leitkultur entspricht, also der von Links oder aus dem Ausland kommt. Der Antisemitismus und die Nazi-Kinks der FPÖ waren gleichzeitig kein Problem, als die ÖVP im Jahr 2000 als erste Partei der Welt die „Brandmauer” niederriss und mit Jörg Haider koallierte, der international als „Nazi-Politiker” berühmt wurde. Oder 2017 mit Heinz-Christian Strache, der als jugendlicher Neonazi mit Gottfried Küssel im Wald Wehrsport gespielt hatte. Oder eben nun mit Kickl und seiner SS-Liederbande.
Obacht, das ist keine Kritik, denn wer kritisiert, der „patzt die ÖVP an”, mit einer „Schmutzkübelkampagne”, das war schon bei Waldheim so und hat noch bei Sebastian Kurz funktioniert. „Wir wollen die Silbersteins nicht in unserem Land”, erklärte dieser bezogen auf einen israelischen Politikberater, gemeint waren bestimmt nicht die Juden.
Ob ihr es glaubt oder nicht: Wer im Kampf gegen Judenhass auf die ÖVP setzt, weil sie bei linkem und migrantischem Antisemitismus laute Kampfgeräusche macht und gelegentlich symbolische Israelfahnen hisst, muss damit rechnen, bei der Veramtung von Nazi-Bundeskanzlern zu helfen. Denn die Wirtschaft war der ÖVP immer wichtiger als die Demokratie und der damit verbundene Schutz von Minderheiten.
Marvin Schwengelberg