Jede:r fünfte wählt rechtsextrem
Was der Aufstieg der AfD bedeutet und was wir jetzt tun müssen
Es ist Sonntagabend. Ich sitze im Zug nach Berlin. Aber heute ist kein Sonntag wie jeder andere. Ich sehe mich um und sehe vor allem junge Menschen, die nervös auf ihre Handys starren. Auch mir geht es nicht anders. Immer wieder lade ich den Live-Ticker zur Bundestagswahl neu, bis mir die Ergebnisse angezeigt werden. Keine Überraschungen, nur Resignation. Weil wir all das schon lange haben kommen sehen.
Jede:r Fünfte in Deutschland hat sich am Sonntag, den 23. Februar 2025 dafür entschieden, sein Häkchen bei der rechtsextremen, im Kern antisemitischen und offen rassistischen Alternative für Deutschland (AfD) zu setzen. Diese „Alternative” möchte die Grenzen dicht machen, das Recht auf Asyl abschaffen und die Rolle der Frau zurück in die 50er Jahre katapultieren. In ihrer Mitte finden sich bekanntermaßen Sympathisant:innen der NS-Verbrechen. Es kommt mir fast schon banal vor, weiterhin von einer Brandmauer zu sprechen, denn das würde die AfD als Randerscheinung darstellen. Aber die 20,8 Prozent machen sehr deutlich, dass die AfD definitiv nicht mehr Außenseiter, sondern politischer Mainstream geworden ist. Wie konnte es so weit kommen und was ist seit der letzten Bundestagswahl passiert, bei der die AfD mit 10,4 Prozent „nur” die Hälfte ihres jetzigen Stimmenanteils einfahren konnte? Bekanntlich breiten sich menschenverachtende Ideologien besonders gut in krisenhaften Zeiten aus, in denen Menschen angsterfüllt und verunsichert in die Zukunft blicken.
Krisen als Katalysator rechter Ideologien
Gerade in den letzten dreieinhalb Jahren lagen der AfD zahlreiche solcher Krisen vor, die sie für ihre menschenfeindliche Agenda missbrauchen konnte und die in der Folge ihren Aufstieg begünstigten. Allen voran der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, begleitet von einer Unmenge russischer Desinformationskampagnen, mit dem Ziel, Europa zu schwächen und pro-russischen Kräften mehr Aufschwung zu verschaffen. Zudem schürt die AfD willentlich Misstrauen gegenüber öffentlich-rechtlichen Medien, womit sie immer mehr Menschen dazu verleitet, sogenannte „alternative“, rechtsextreme Medien zu konsumieren, die auf Desinformation und Propaganda basieren. Der durch die Corona-Krise bedingte und sich mit dem Krieg in der Ukraine verschärfte wirtschaftliche Abschwung der letzten Jahre ist ein weiterer Faktor, der den Erfolg der AfD begünstigt hat. Wann immer Menschen finanzielle Nöte haben, gelingt die Radikalisierung schnell, gerade dann, wenn ein „Führer“ erscheint, der für komplizierte Probleme einfache Lösungen verspricht. Die „einfache“ Lösung, die hier versprochen wird, ist im Übrigen immer die gleiche: Es wird ein Sündenbock gefunden, nach dessen Entledigung die Menschheit wieder in Frieden und Wohlstand leben könne. Das Paradebeispiel einer solchen Entwicklung ist die Weltwirtschaftskrise 1929. Inzwischen ist die AfD auch die Partei, die im Vergleich zu allen anderen Parteien das größte Budget für ihre Online-Präsenz, vor allem auf TikTok, bereitstellt. Auf diese Weise gelingt es ihr, gerade auch beim jungen Publikum, als eine der stärksten Parteien abzuschneiden.
Sammelbecken des Rechtsextremismus
Trotz aller Rationalisierungen des Erfolgs der AfD darf eine Sache nicht vergessen werden: Die AfD bleibt ein Sumpf für rechtsextremes Gedankengut, das durch die Parteistrukturen politische Legitimität erlangt. Forderungen nach „Remigration“ oder Geschwafel vom „Großen Austausch“ müssen nun nicht mehr auf den Stammtisch in der Kneipe begrenzt sein. Dank der AfD kann auch in den wichtigsten politischen Organen unseres Landes, im Deutschen Bundestag oder den Landtagen, etwa über die Abschaffung des „Schuldkultes“ debattiert werden oder geschichtsrevisionistisch behauptet werden, Hitler sei ein Linker gewesen, um sich von der eigenen Geschichte und damit Verantwortung reinzuwaschen. In der Analyse der AfD-Wahlerfolge muss man eben festhalten, dass sie nicht trotz, sondern wegen ihres sekundären Antisemitismus und offenen Rassismus gewählt wird. Viele Deutsche wollen „endlich wieder stolz auf ihr Land sein können“ und das trotz der zwölf Jahre „Vogelschiss“ – eine Bezeichnung, die Alexander Gauland, ehemaliger Parteivorsitzende der AfD, nutzte, um die NS-Zeit zu relativieren. Entscheidend ist, wie die restlichen Parteien auf den Erfolg der AfD reagieren. Allen voran die Union übernimmt jedoch zunehmend die Rhetorik der AfD, um offenbar nach Wähler:innen am rechten Rand zu fischen. Nicht zuletzt gipfelte das in einem durch den höchstwahrscheinlich neuen Bundeskanzler Deutschlands Friedrich Merz verursachten Dammbruch am 29. Januar. Dieser versuchte nämlich, in vollem Bewusstsein über die Konsequenzen, einen Antrag auf härtere Migrationspolitik mit Hilfe der Stimmen von AfD-Abgeordneten durchzubringen.
Pragmatische Lösungen sind möglich
Dies bringt uns zur Ausgangslage zurück. In dieser blickt das Land auf eine erstarkte AfD im Bundestag und eine CDU, die bereit ist, mit Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen, wenn es für die eigene politische Agenda passt. Dabei gäbe es auch pragmatische Lösungen, wenn man ernsthaft daran interessiert wäre, Menschen vom rechten Rand zurückzuholen. Die Lebensbedingungen von Menschen müssen sich ändern und ihre finanziellen Sorgen politisch bekämpft werden. Der Sozialstaat sollte allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen und soziale Netzwerke müssen viel stärker für die von ihnen transportierten Inhalte zur Verantwortung gezogen werden. Junge Menschen müssen wieder das Gefühl bekommen, dass sie der Gesellschaft nicht egal sind und dass ihre Zukunft von Bedeutung ist. Doch dies sind nur Maßnahmen, die denjenigen helfen können, die noch zurückgeholt werden können. Für die vielen Rechtsextremen, die sich in den Parteistrukturen wohlfühlen und von ihnen profitieren, gibt es nur eine Lösung: Auf Dauer muss die AfD verboten werden. Nicht weil damit das Gedankengut beseitigt wäre, sondern weil damit dessen organisierte Struktur zerschlagen wäre. Wer sich nicht organisieren kann, der kann auch die Brandmauer nicht abreißen. Wir müssen handeln, solange diese – in Teilen – noch steht.
HANNA VEILER