Jüdische Allianzen im Kampf gegen Unterdrückung
Die Welt ist im Umbruch. Die erschreckenden Erfolge rechter und nationalistischer Bewegungen – sei es Trump in den USA, die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich oder der Rassemblement National in Frankreich – bedrohen fundamentale Prinzipien der Demokratie. Wer von diesen Kräften ins Visier genommen wird, sind stets dieselben Gruppen: ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten, Menschen mit Migrationsgeschichte, Feminist:innen, eben all jene, die nicht in das starre Weltbild hegemonialer Dominanz passen. Doch wenn die extreme Rechte sich global vernetzt, muss auch der Widerstand verbunden sein. Gerade die jüdische Geschichte, durchzogen von Entrechtung, Verfolgung und Exil, hat eine tief verwurzelte Sensibilität für Diskriminierung geprägt. Wer einmal Othering erfahren hat, erkennt es in all seinen Formen – und kann sich mit anderen gegen dieses Unrecht verbünden.
Solidarität zwischen jüdischen Gemeinschaften und anderen Minderheiten ist dabei kein modernes Phänomen, sondern ein historischer Leitfaden im Kampf für Gerechtigkeit. Besonders zwei Bewegungen zeigen eindrücklich, wie sich jüdische Akteur:innen mit anderen Unterdrückten zusammenschlossen – und welche Spannungen dabei entstanden.
Jüdische Solidarität in der US-Bürgerrechtsbewegung
In den 1960er Jahren marschierten jüdische Aktivist:innen Seite an Seite mit Schwarzen Bürgerrechtler:innen, forderten das Ende der Rassentrennung und den Zugang zu gleichen Rechten. Rabbiner Abraham Joshua Heschel lief mit Martin Luther King Jr. in Selma, jüdische Anwälte arbeiteten an wegweisenden Bürgerrechtsgesetzen mit und jüdische Studierende engagierten sich in der Freedom-Summer-Kampagne. Doch jüdisches Engagement in der Bürgerrechtsbewegung beschränkte sich nicht nur auf symbolische Gesten. So unterstützte das Jewish Labor Committee (JLC) aktiv Streiks Schwarzer Arbeiter:innen und jüdische Organisationen stellten finanzielle Mittel bereit, um emanzipatorische Projekte zu ermöglichen. Dieser Schulterschluss existierte jedoch nicht ohne Spannungen: Antisemitische Strömungen in Organisationen wie der Nation of Islam führten zu Konflikten – doch die übergeordnete Vision blieb: Eine Welt ohne rassistische Hierarchien.
Widerstand gegen das Apartheidregime in Südafrika
Auch in Südafrika erwiesen sich jüdische Aktivist:innen als wichtige Akteur:innen im Kampf gegen das rassistische Apartheidsregime der weißen, kolonialen Minderheit. Ruth First, Joe Slovo und andere jüdische Südafrikaner:innen waren tragende Säulen des Widerstands. Ein bemerkenswerter Aspekt des jüdischen Engagements in Südafrika war die überproportionale Beteiligung jüdischer Südafrikaner:innen am African National Congress (ANC) und anderen Anti-Apartheid-Organisationen. Während große Teile der weißen Elite regimetreu blieben, entschieden sich jüdische Intellektuelle, Journalist:innen und Anwält:innen aktiv für den Widerstand. Diese Solidarität basierte nicht nur auf ethischen Grundsätzen, sondern auch auf der Erfahrung von rassistischer Entrechtung und Verfolgung in der eigenen Geschichte.
Die Apartheidregierung fürchtete diesen Schulterschluss – und reagierte mit Gewalt. Synagogen wurden in Brand gesteckt, die jüdischen Aktivist:innen wurden inhaftiert oder ins Exil getrieben. Ein besonders tragisches Beispiel ist Ruth First, die 1982 durch eine Briefbombe des südafrikanischen Geheimdienstes ermordet wurde. Diese Ereignisse verdeutlichen die brutalen Maßnahmen des Apartheidregimes gegen jene, die sich für Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzten. Doch der Kampf an der Seite Schwarzer Aktivist:innen ging weiter, getragen von einem tiefen Verständnis für Entrechtung und der Überzeugung, dass jüdische Rechte untrennbar mit dem Kampf für Menschenrechte verwoben sind.
Österreich: Die jüdische Gemeinde und der Kampf gegen rechte Hetze
Jüdischer Widerstand gegen Rechtsextremismus hat in Österreich eine lange Tradition. Bereits während des Nationalsozialismus kämpften jüdische Österreicher:innen gegen das Regime, unter anderem als Mitglieder kommunistischer und sozialistischer Untergrundbewegungen. Nach 1945 waren Überlebende der Shoah maßgeblich an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen beteiligt, am Kampf um Restitutionen und um die justizielle Verfolgung von NS-Verbrechern – ein Kampf, die bis heute fortgesetzt wird.
In den 1980er Jahren entflammte eine neue Welle des jüdischen Widerstands mit den Protesten gegen die Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten. Waldheims verstrickte NS-Vergangenheit wurde durch jüdische Organisationen wie dem World Jewish Congress (WJC) und Aktivist:innen wie Simon Wiesenthal ans Licht gebracht. Trotz heftiger Gegenreaktionen aus der Mehrheitsgesellschaft blieb die jüdische Gemeinde standhaft in ihrer Forderung nach historischer Verantwortung.
Seit den 1990er Jahren stand die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und jüdische Aktivist:innen stets an vorderster Front gegen die rassistische FPÖ – insbesondere nach dem berüchtigten „Ausländer raus“-Volksbegehren von Jörg Haider. Jüdische Intellektuelle wie Hanno Loewy machten immer wieder auf die Gefahren fremdenfeindlicher Rhetorik aufmerksam – und wurden dafür selbst zur Zielscheibe der FPÖ.
Doch Solidarität zeigte sich nicht nur in politischen Kämpfen, sondern auch in Momenten des Zusammenhalts: Nach dem Anschlag in Wien 2020 stand die jüdische Gemeinde Seite an Seite mit muslimischen und christlichen Vertreter:innen, um ein Zeichen gegen Extremismus und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen. Organisationen wie die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) arbeiten eng mit anderen studentischen Minderheitenvertretungen wie der Klub slowenischer Student:innen (KSŠŠD), der Hochschüler:innenschaft österreichischer Roma und Romnja (HÖR) oder der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ) zusammen, um Schulter an Schulter gegen Rechtsruck und Diskriminierung zu kämpfen.
Ein weiteres Vorbild jüdischer Solidarität in Österreich ist das Projekt Shalom Aleikum, das Asylhilfe leistet, Zusammenhalt zwischen jüdischen und muslimischen Menschen fördert und gegen rassistische Gesetzgebung ankämpft.
Diese Initiativen zeigen, dass historische Spannungen zwischen Minderheiten überwindbar sind, wenn Solidarität und gemeinsame Werte in den Mittelpunkt gestellt werden.
Solidarität als Strategie und Notwendigkeit
Die gemeinsamen Gegner sind klar: rechtsextreme Strömungen, hegemoniale Dominanz der Mehrheitsgesellschaft, politische Strukturen, die Ungleichheit zementieren. Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie sind keine isolierten Phänomene – sie entspringen denselben Mechanismen der Ausgrenzung. Doch genau darin liegt auch das Potenzial für eine starke Allianz: Wer diese Muster erkennt, kann sich mit anderen verbünden, um sie zu durchbrechen.
Es gilt, aus der Geschichte zu lernen, denn Spaltung ist das wirksamste Mittel der Unterdrückung. Koloniale Strategien der Herrschaft basierten stets auf dem Prinzip „divide et impera“ – spalte und herrsche. Rechte Bewegungen nutzen genau diese Logik, indem sie versuchen, Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Doch diese Strategie kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns darauf einlassen. Deshalb müssen jüdische Gemeinschaften weiterhin proaktiv Bündnisse mit anderen marginalisierten Gruppen schmieden. Ob im Kampf gegen soziale Ungleichheit oder gegen rechtsextreme Hetze – Solidarität ist nicht nur unsere moralische Pflicht, sondern das beste politische Werkzeug. Jüdische Allianzen in Minderheitskämpfen sind also nicht nur Akte der Solidarität, sondern strategische Notwendigkeiten. Denn wer Unterdrückung erfährt oder begreift, sollte auch die Verantwortung erkennen, sich dagegen zu stellen – denn Menschenrechte gehen uns alle etwas an.
Avia Seeliger