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Weiblichkeitsvorstellungen in der esoterischen Ideologie
Esoterische Weltanschauungen haben in den letzten Jahrzehnten an Popularität gewonnen. Vermeintlich perfekt auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt und an den kapitalistischen Markt angepasst, werden esoterische Angebote für eine breite Masse anschlussfähig: Pendel, Horoskope, Tarotkarten und Kristalle erfahren als kleine Hilfsmittel in großen Lebensfragen zunehmend Beliebtheit. In Zeiten von Inflation und Prekarisierung vertrauen Menschen auf Magie und Sterne, um den Problemen des kapitalistischen Alltags zu entkommen.
Die Leipziger Autoritarismusstudie aus dem Jahr 2022 hat herausgearbeitet, dass Esoterik vor allem für Frauen anschlussfähig ist. Pia Lamberty und Katharina Nocun führen diese in ihrem Buch Gefährlicher Glaube zum einen auf die weibliche Sozialisation zurück, bei der magisches, emotionales und spirituelles Denken stärker gefördert wird. Zum anderen stellen sie fest, dass esoterische Angebote häufig eine Aufwertung und Würdigung von Weiblichkeit versprechen. Dieser vermeintliche Esofeminismus bietet Frauen pseudoemanzipatorische Angebote, welche jedoch schlussendlich in stark traditionalistischen Annahmen über Geschlecht sowie einer regressiven Gesellschaftsvorstellung münden.
Biologistisch, dualistisch, essenzialistisch
Das zeigt sich an den Narrativen, welche in diversen Telegramgruppen, auf Instagram, in Esoterik-Ratgebern oder auf YouTube verbreitet werden. Dort liest und hört man immer wieder, dass Frauen einen angeborenen geschlechtlichen Kern innehaben, eine „weibliche Essenz“. Diese vermeintliche „Ur-Weiblichkeit“ gelte es, gemäß der biologischen Ordnung auf natürliche Weise auszuleben. Die Naturalisierung von weiblichen Eigenschaften auf Basis biologistischer Annahmen führt dazu, dass Frauen immer wieder auf ihre vorhergesehene Aufgabe reduziert werden: schwanger zu werden und zu gebären, also schöpferisch und fürsorgend zu wirken. Die selbsternannte „Holistic-Self-Love-Mentorin” und Influencerin Mara Larch beschreibt unter dem Instagramnamen @lamara.nima die Gebärfähigkeit der Frau als „ihre eigene größte Kraft“, ihre „Schöpfungskraft“. Mutterschaft wird hier einerseits aufgewertet, andererseits als natürliche Bestimmung der Frau gesehen.
In der Esoterik herrscht ein binär-dualistisches Geschlechterverständnis: Männer und Frauen werden als gegensätzliche, komplementäre Pole verstanden. Wie Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Yin und Yang seien Männlichkeit und Weiblichkeit gänzlich unterschiedlich und in dieser Verschiedenheit aufeinander angewiesen. Das weibliche Prinzip stehe für Intuition, Chaos und Natürlichkeit, während das männliche Prinzip Kraft, Stärke, Struktur, Intellekt und Rationalität verkörpere. Dem in der esoterischen Ideologie verankerten Glauben an eine natürliche Ordnung kommt eine naturalisierende Funktion zu, die das ungleiche Geschlechterverhältnis legitimiert und verschleiert.
Im esoterischen Milieu lassen sich Bedrohungsszenarien in Bezug auf die natürliche Geschlechterordnung ausmachen: „Wir stehen kurz vor der Auflösung der natürlichen Ordnung, was einer Zerstörung der biologischen Geschlechter gleichkommt“, heißt es beispielsweise in der Beschreibung eines Videos des esoterischen Youtube-Kanals NeueHorizonteTV. In Telegramkanälen und -gruppen wie Hebammen und Doulas für Aufklärung, Liebe erschafft Leben oder Heilraum bewusste Weiblichkeit liest man, es gäbe eine bösartige Instanz, welche reine und natürliche Weiblichkeit bedrohe. Nicht selten wird die Schuld dafür in verschwörungsideologischer Manier bei irgendwelchen, im verborgenen agierenden, Gruppen vermutet. In den Schriften Wladimir Megres, welche als Gründungsmanifest der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung fungieren, wird hinter der Zerstörung des vermeintlich Weiblichen und Natürlichen die jüdische Weltverschwörung imaginiert.
Intersektionalität von Ideologien
Hier zeigt sich die für das esoterische Milieu typische Vermengung antisemitischer, völkischer, rechtsextremer und antifeministischer Inhalte, welche subtil bis manifest auftreten. Dies kann in Anlehnung an Karin Stögner als Intersektionalität von Ideologien verstanden werden. Die These der Soziologin stützt sich auf die Beobachtung, dass unterschiedliche Ideologien ineinander greifen, sich verstärken und über die Zeit hinweg fortlaufend reproduzieren und reaktivieren.
Die Buchautorin, Influencerin und Präsidentin des sogenannten „Heb-Ahnen-Verbandes“ Kerstin Wilhelmina Tenn schreibt in einem Post auf Instagram und Telegram: „Die Energie der Geburtsrituale und das Bewusstsein der Weiber formen das kollektive Bewusstsein eines Volkes und dessen Verbindungen zum Land“. An anderer Stelle spricht Tenn vom „deutschen Volk“ und dessen „einzigartiger germanischer Treue und Integrität“. Hier mischen sich esoterische, sexistische und völkische Inhalte in einem spirituell aufgeladenen Ethnopluralismus, der an die Ideologie der neuen Rechten erinnert. Derartige Intersektionen zwischen Antimodernismus, Verschwörungsideologie, Antisemitismus und Rassismus einerseits, sowie sexistische Weiblichkeitsvorstellung andererseits, finden sich im esoterischen Milieu immer wieder.
Esoterik als falsche Antwort auf echte Probleme
In Anlehnung an die Theorie Horkheimers und Adornos kann man davon ausgehen, dass jede Ideologie, so auch die esoterische Ideologie, eine Funktion für das Individuum erfüllt. In der Esoterik werden immer wieder reale gesellschaftliche Probleme, wie kapitalistische Zwänge, Abwertung von Frauen, schlechte medizinische Versorgung und die Zerstörung der Natur, thematisiert. Anschließend werden einerseits eindimensionale Erklärungsmuster vorgeschlagen, die aus Schuldzuschreibungen und einer Einteilung der Welt in Gut und Böse bestehen. Andererseits werden einfache Lösungen aufgezeigt, die auf individueller Ebene durchführbar sind und eine vermeintliche Heilung der Welt versprechen. Der Selbstanspruch einer Gesellschaftskritik mündet dabei oftmals in antimodernen und regressiven Forderungen nach Retraditionalisierung. Die Freiheit der Frau in der Esoterik besteht in der Unterwerfung unter ihr vergeschlechtlichtes Schicksal.
Maresa Bauer