“Wer für Jüdinnen und Juden eine Gefahr darstellt, stellt für so gut wie jede einzelne unserer Klient:innengruppen genauso eine Gefahr dar”
Interview mit Kübra Atasoy, Vorsitzende der Menschenrechts-NGO Asyl in Not
NOODNIK: Asyl in Notist seit langer Zeit Bündnispartnerin der JöH. Wir haben gemeinsam Demonstrationen organisiert, auf Podien gesprochen und zusammen unzählige Projekte und Kampagnen ausgearbeitet. Liebe Kübra, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Kannst du dich und Asyl in Not kurz vorstellen?
Kübra Atasoy: Asyl in Not ist eine politische Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Wien, die von iranischen Geflüchteten gegründet wurde. Eine selbstorganisierte migrantische Organisation, damals ursprünglich mit dem Ziel, sich nach der islamischen Revolution 1979 in Österreich noch einmal zu gruppieren, zu stärken und dann für die eigentliche Revolution in den Iran zurückzukehren und die gesellschaftlichen Verhältnisse so umzuwerfen, dass die Gleichheit und die Menschenwürde an vorderster Front stehen. Wie wir wissen, hat sich das in dieser Form nicht ergeben und die Menschen sind in Österreich geblieben und haben sich gegenseitig dabei unterstützt, zunächst hier Fuß zu fassen und um ihre eigenen Rechte und um das Recht auf Selbstbestimmung zu kämpfen. Daraus ist unter anderem Asyl in Not entstanden, damals unter dem Namen Unterstützungskomitee für politisch verfolgte Ausländerinnen und Ausländer, der auch heute noch unser Untername ist.
Ich bin Kübra Atasoy und seit Jahrzehnten antirassistisch aktiv, mit einem Schwerpunkt auf der Widerstandsgeschichte der Arbeiter:innenklasse in der Zweiten Republik. Mich interessieren vor allem die materiellen Verhältnisse im antirassistischen Kontext und dazu arbeite ich auch. Bei Asyl in Not bin ich seit 2013 zunächst ehrenamtlich und seit 2021 als Vorsitzende tätig.
Asyl in Not bietet vor allem Beratung und Vertretung für Geflüchtete in ihren Verfahren. Darunter auch die Vertretung von Opfern jeglicher Form von Gewalt, von denen ca. 95 Prozent Frauen sind. In einzelnen Fällen vertreten wir auch Betroffene von Racial Profiling oder rassistisch motivierten Fällen bei Behörden und Polizeischikanen. Unser Ziel ist es, rechtliches Werkzeug für die politische Arbeit zu nutzen.
N: Der Schwerpunkt dieses NOODNIKs ist Solidarität. In Anbetracht dessen, dass die FPÖ bei den letzten Wahlen ein Drittel der Stimmen ergattert hat, ist Asyl nach wie vor ein viel diskutiertes Thema. Asyl ist auch für uns, einerseits ein immer präsentes Thema, aufgrund unserer von Flucht geprägten Geschichte, andererseits weil wir schon länger mit Organisationen zusammenarbeiten, die in diesem Bereich tätig sind, wie unter anderem auch Asyl in Not. Damit verbunden möchte ich fragen: Warum ist es wichtig, einerseits als politische Interessenvertretung von Geflüchteten, andererseits auch als Organisation, die in diesem Feld tätig ist, antisemitismuskritisch zu arbeiten?
KA: Zum einen ist die Genfer Flüchtlingskonvention eine direkte Reaktion auf die Shoah und das Versagen vieler Länder, insbesondere in Europa, jüdische Geflüchtete aufzunehmen. Daher besteht aus meiner Sicht, insbesondere für Europa, eine historische Verantwortung, das Recht auf Schutz vor Verfolgung kompromisslos durchzusetzen – zumal es ohnehin Verfassungsrang hat. Gleichzeitig ist die Wahrung staatlicher Souveränität ein zentraler Aspekt für die Stabilität eines bürgerlichen Staates. Dennoch denke ich, dass antisemitismuskritische Arbeit auch aus Eigeninteresse notwendig ist. Denn gerade beim Antisemitismus zeigt sich, dass dort, wo die Dämme zuerst brechen, eine Art Frühwarnsystem besteht. Und da geht es nicht nur darum, dass eine Bevölkerungsgruppe in Gefahr ist, sondern, dass dort tatsächlich Rechte abgebaut werden. So ähnlich wie im Asylverfahren. Was bei Asylsuchenden in einem bürgerlichen Staat möglich ist an Rechten abzubauen, wird in weiterer Folge auch an Staatsbürger:innen möglich sein. Das ist die juristische Logik des Ganzen, aber noch keine moralische Argumentation. Ich glaube auch moralisch, dass niemand Antisemit oder Antisemitin sein sollte. Das ist eine politische Grundsatzfrage. Für uns ist die Arbeit im Asylbereich ja auch eine zutiefst politische. Wir machen das ja nicht aus karitativen Gründen. Es geht nicht darum, möglichst vielen Leuten zu helfen, sondern eine Gesellschaft aufzubauen, in der alle mit gleichen Rechten, mit Würde und Freiheit leben können. Und da steht „Frei von Antisemitismus“, relativ weit oben auf der Liste.
N: Inwieweit setzt ihr euch in eurer Arbeit kritisch mit regressiven Ideologien auseinander? Wo siehst du da Defizite bei anderen Organisationen? Die Menschen, mit denen ihr arbeitet, werden ja von ideologischen Herrschaftssystemen wie dem Islamismus unterdrückt, dem Antisemitismus inhärent ist.
KA: Die absolute Mehrheit unserer Klient:innen ist in Europa von Rassismus betroffen und flieht um ihr Leben vor islamistischen Diktaturen und da ist es völlig egal, ob es sich um Afghanistan, den Iran, die Al Shabaab Milizen in Somalia oder Tschetschenien handelt. Es geht um Menschen, die vor einem global immer stärker werdenden Islamismus fliehen und die in ihren Herkunftsländern gegen diese regressiven Strukturen gearbeitet und Widerstand geleistet haben. Deshalb ist es für uns besonders tragisch, wenn ein so großer konstituierender Bereich dieser Ideologie aufgrund von Antisemitismus ausgeblendet wird. Gerade hier sehen wir die Notwendigkeit, Ideologie aufzuarbeiten.
Das Thema Islamismus wird außerhalb von rechten Kreisen in Österreich nicht thematisiert und wenn, dann auch nur plakativ und zu rassistischen Zwecken und nicht, weil es den Leuten darum geht, irgendwen vor Islamismus zu schützen, wie wir es an nach Afghanistan reisenden FPÖ-Abgeordneten sehen. Aber wenn wir Tacheles reden, geht es darum, dass es die Leute einfach nicht interessiert. Die meisten NGOs werden bis heute von Personen geführt, die weder Flucht- noch Migrationserfahrung haben, noch in der Lage sind, einen empathischen, seriösen Zugang zu diesen Themen aufzubauen. Natürlich ist die Lösung aller Probleme nicht Vertreter:innen zu haben, die die richtigen Erfahrungen haben, aber es hilft durchaus, die Perspektive zu richten und ein eigenes Interesse daran zu haben. Ich habe zum Beispiel ein Eigeninteresse daran, ein freies, selbstbestimmtes Leben zu leben und in einer Gesellschaft zu existieren, in der alle Frauen nach mir und alle Frauen mit mir ein freies, selbstbestimmtes Leben führen können.
Dort, wo man nicht über Islamismus, aber über tausend andere Dinge schon sprechen kann, offenbart sich eine Scheinpolitisierung, die dieses Thema eben nicht umfasst. Seien es die großen antirassistischen Organisationen, Amnesty International, Zara et cetera, die keinen Begriff von Islamismus oder islamistischer Verfolgung haben, die glauben, dass jede Form von Kritik in diesem Bereich eine Kritik an der Religion an sich wäre, die wirklich niemanden interessiert. Bei Asyl in Not ist Religionsfreiheit eines der wichtigsten Themen. Und ich glaube, diese Lücke offenbart sehr viel. Die mangelnde Auseinandersetzung offenbart eine Nähe zu einer Ideologie, ob man das möchte oder nicht. Und damit muss man sich, so wie es ist, auseinandersetzen. Warum berührt es dich mehr, ob ein Mensch als Islamist bezeichnet wird, als wenn jemand von Islamisten verfolgt wird?
N: Wo begegnet euch Antisemitismus in eurer Arbeit ganz konkret? Wie geht ihr damit um?
KA: Wenn antisemitische Bemerkungen, Sprüche oder Fragen kommen, dann geht es immer um Gerüchte über Jüdinnen und Juden in Österreich: „Wer sind diese Juden?” „Wie sehen sie aus?” „Welche Rechte haben sie?” Einmal wurden wir gefragt, ob Hitler ein Guter oder ein Schlechter war. Außerhalb Europas gibt es einfach keinen Bezug oder Bildung zum Nationalsozialismus. Mein Vorgänger, Michael Genner, der selbst Jude ist, ging mit dieser Frage sehr spielerisch um. Er hat dann geantwortet, dass seine Eltern auch von Hitler verfolgt wurden und er deshalb kein Guter gewesen sein kann. Und damit war das Thema erledigt. Von einer Verfolgungserfahrung zur nächsten.
Seit dem siebten Oktober begegnen wir einem anderen Antisemitismus, der nicht spielerisch beiseite gelegt werden kann. Wie er unsere Arbeit tagtäglich beeinflusst, zeigt sich daran, dass Bündnisse, die wir für absolut widerständig hielten, zerbrechen, weil wir es gewagt haben über das Leid jüdischer Frauen am siebten Oktober zu sprechen.
Das alles hat zu den absurdesten Konstruktionen im antirassistischen Kontext geführt, wo ehemalige Genoss:innen mit offen islamistischen, faschistischen Gruppen, seien es die Grauen Wölfe, syrische Faschisten oder die Muslimbrüder samt IS-Fahnen, auf Demonstrationen gehen. Das ist etwas, wovon wir uns als Gesellschaft lange nicht erholen werden, weil eine absolute Grundlage der Fähigkeit, sich zu organisieren, verloren gegangen ist.
N: Wie können wir gegen eine Gesellschaft arbeiten, die immer weiter nach rechts rückt? Wie können wir dort Allianzen bilden, wo es Gruppen gibt, die fundamental antisemitische Positionen vertreten oder sich nicht davon distanzieren wollen?
KA: Es macht keinen Sinn, Kompromisse einzugehen. Mit Antisemit:innen gibt es keine Kompromisse. Egal, ob das eine unbewusste Gesinnung oder eine bewusste Entscheidung ist. An dem Punkt, an dem die Grenzen derart überschritten wurden, gibt es keinen einzigen Grund, diese Leute zurückzuholen. Denn wer für Jüdinnen und Juden eine Gefahr ist, stellt für so gut wie jede einzelne unserer Klient:innengruppen genauso eine Gefahr dar. Ich habe keinen Grund davon auszugehen, dass diese Menschen nicht auch bei der nächsten Verbrennung von Jesid:innen mitjubeln werden. Wer heute mit Islamisten trotz oder wegen ihres Antisemitismus auf die Straße geht, wird morgen auch die Vergewaltigung von Sudanes:innen feiern, wenn es zu diesem Zeitpunkt den ideologischen Interessen entspricht. Da ist ein Damm gebrochen. Und dann ist man halt ein paar Jahre allein. Dann muss man die Arbeit umstrukturieren. Dann muss man Leute finden, die auch ein Eigeninteresse haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Man muss Bündnisse neu aufbauen. Das ist politische Arbeit, da gibt es kein Aufgeben.
Interview: Sashi Turkof