Faschismus in der Beta-Version 

Faschismus in der Beta-Version 

Die Akteur:innen des Silicon Valley befeuern die aktuellen Gefahren im Weltgeschehen. Was viele jedoch nicht wissen: Dahinter steckt eine Ideologie, die in den letzten Jahren immer mehr wissenschaftliche Anhänger:innen gewonnen und dabei faschistische Züge angenommen hat.

Obwohl wir als gute Jüdinnen und Juden natürlich nur Pessach feiern, scheint die Welt gerade ein globales Osterfest zu durchleben. Das wiederauferstandene Phänomen ist dieses Mal allerdings nicht Gottes Sohn, sondern ein anderer alter Bekannter, der uns Jüdinnen und Juden leider nur allzu vertraut ist: der Faschismus. 

Eine Schlüsselrolle hierfür spielt Silicon Valley. Dank diesem durchsetzen inzwischen Fehlinformation, Propaganda und Polarisierung die gesamte digitale und somit auch zwischenmenschliche Sphäre. Angeheizt wird das Ganze von einer philosophischen Entwicklung, die sich in den letzten Jahren zwischen Bibliotheksbüchern und Vorlesungssälen vollzog. Ursprünglich gut gemeint, wurde sie inzwischen von Akteur:innen des Silicon Valley pervertiert und fungiert nun als Argumentationslinie für antidemokratische Vorhaben. Aber spulen wir nochmal zurück. 

Utilitarismus 2.0

Die Bewegung trägt den stolzen Titel Effektiver Altruismus (EA). Was anhand des Begriffs bedeutungsschwer und innovativ klingen mag, ist in Wahrheit – zunächst – nichts weiter als klassischer, praktischer Utilitarismus. Letztere moralphilosophische Strömung beschreibt ebenso wie EA die Idee, dass es die Aufgabe eines Menschen sei, maximal Gutes in der Welt zu bewirken. So weit, so gut. EA selbst wurde von dem Philosophen Peter Singer begründet, der argumentierte, dass man moralisch dazu verpflichtet sei, Geld in ärmere Länder zu spenden. Das hier verdiente Geld sei nämlich in ärmeren Ländern mehr wert. Mehr Wert bedeutet mehr erzieltes Gut – und das wiederum lässt das EA-Herz höher schlagen.  

Hier fängt die Geschichte allerdings gerade erst an. Aus der gutgemeinten EA-Bewegung mit white-saviorism Beigeschmack hat sich nämlich eine weitere Idee unter dem Namen Longtermism kristallisiert. Longtermism erklärt, dass wir unsere effektive Wohltätigkeit nicht nur der heutigen Menschheit widmen sollten, sondern insbesondere allen zukünftigen Generationen. Die Obsession von EA mit vermeintlich kalkulierbarer Wohltätigkeit wird somit auf die Zukunft übertragen: Wenn man davon ausgeht, dass die Menschheit noch hunderttausende Jahre existieren wird – und „man“ als Longtermist tut das unbeirrt und ist tatsächlich meistens ein „Mann“ – sind da ja angeblich noch Unmengen an Menschenleben, für die man Gutes bezwecken kann! William MacAskill, ehemaliger Oxford-Professor und Mitbegründer von EA, bezeichnet es gar als Pflicht und erläutert diese Ideen in seinem Longtermism-Manifest What we owe the future. Aber was ist es denn nun, was wir der Zukunft schulden?

Eugenik und Expansion

Wer jetzt glaubt, dass es EA in erster Linie um klimagerechte Politik geht, wird leider enttäuscht sein. Laut Longtermism-Größe Nick Bostrom, ehemals Professor in Oxford – ganz recht, das Oxford-Muster setzt sich fort – , geht es nämlich primär um Weltall-Expansion, DNA-Optimierung und Maximalisierung von Geburtenraten. Menschen sollten demnach zahlreicher und länger leben, denn dadurch gäbe es umso mehr Menschen, die Gutes empfinden können – und umso höher wäre somit der von Altruist:innen erzielte positive Effekt. Schuld an die Zukunft beglichen! Bostrom bezieht sich in seiner Argumentation explizit auf eugenische Forschung. Ja, dieselbe Eugenik, die für die Nazis eine pseudo-wissenschaftliche Basis für ihre Mordindustrie bildete. In einem Brief, den Bostrom als Student verfasste, erklärte er, dass schwarze Menschen einen niedrigeren IQ hätten und an dieser Überzeugung ja wohl nichts rassistisch sei. Aber kein Grund zur Sorge für alle mit vermindertem IQ gesegneten Menschen: Seit seiner Professur liefert Bostrom voller Enthusiasmus die Lösung für dieses kleine Problem und verfasst fröhlich Papers darüber, wie man mittels Embryo-Selektion IQs erhöhen und damit langfristig wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt vorantreiben kann. Bei dieser Idee bekommen Nazis, Kapitalismus- und Eugenik-Fans gleichermaßen Schmetterlinge im Bauch. Wenn das nicht utopisches Potential für eine geeinte Zukunft birgt!

Von Elite-Unis hin zu Tech-Oligarchen 

All diese Überlegungen begannen ursprünglich hinter mit Efeu berankten Mauern, fanden jedoch schnell Einzug in Silicon Valley. Elon Musk beispielsweise, der mehr Kontrolle über globale Politik, als über seine eigenen Armbewegungen zu besitzen scheint, pries MacAskills Manifest What we owe the future als „engen Match zur eigenen Philosophie“ an. Longtermismus ist genau jene Idee, die Musk als Motivation für Unternehmungen wie SpaceX dient, denn wir würden es zukünftigen Generationen ja schulden, menschliches Leben multiplanetar zu gestalten. 

Ein weiterer Tech-Magnat, der seine ideologische Rechtfertigung aus der EA-Bewegung zieht, ist PayPal-Gründer und Meta-Investor Peter Thiel. Thiel höchstpersönlich war Keynote Speaker bei der EA-Jahresversammlung 2013 und ist darüber hinaus überzeugter Antidemokrat. Was ihn so gefährlich macht, wird anhand seines Einsatzes für sogenannte freedom cities deutlich. Denn der Begriff „Freiheit“ meint in diesem Kontext die Freiheit von jeglicher Regulierung, Solidarität und Demokratie. In solchen  „Freiheitsstädten“ soll nämlich sämtliche Verwaltung und Bestimmungsmacht denjenigen obliegen, die Einfluss und Geld besitzen. Eine wahrliche Traumvorstellung für manch einen EA-Jünger, da solche autoritären CEO-Regime ja langfristig „effektiver“ wären. Dieser kapitalistische Fetisch wird aktuell anhand des “Próspera”-Projektes auf der honduranischen Insel Roatán tatsächlich erprobt. Dass dieses Experiment auf der Armut der lokalen Bevölkerung basiert und im Grunde nur ein Steuerparadies für Superreiche darstellt, lassen Sponsor:innen wie Thiel gerne unter den Tisch fallen.   

Vision oder Wahn?

Ähnlich trügerisch wie die longtermistische Selbstinszenierung als visionäre Wohlfahrt, ist das progressive Image des Silicon Valley. Jahrelang illustrierten bunte Sitzecken, ausgefallene Architektur und barfüßige Tech-Nerds mit witze-reißenden T-Shirts das fortschrittliche Klischee, welches sich zunehmend als Illusion erweist. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage – leider umfassen besagte Nebenwirkungen inzwischen Holocaust-leugnende Chatbots wie Tay, kriegsführende KIs und radikalisierende soziale Netzwerke. All das wird lediglich als „Wehwehchen“ im Kampf für eine maximal langfristige, vermeintlich positive Zukunft der Menschheit abgetan. Dank longtermistischer Ideologien fühlt man sich beflügelt in seiner Überzeugung, technologischer Fortschritt würde sich zwangsläufig auszahlen und sei deshalb gegenüber aktuellen Problemen zu priorisieren. Also drückt man durch die Gründung von „KI & Ethik“-Abteilungen all diesen Wehwehchen kleine, bunte Pflaster auf und programmiert währenddessen erbarmungslos weiter. Kapitalismus – getarnt als Fürsorge, Toleranz und Geduld für einen Ist-Zustand globaler Ausbeutung und Ungleichheit. Die longtermistisch begründete Ignoranz gegenüber strukturellen Problemen zugunsten vermeintlich wohltätiger Technologie liegt verdächtig nahe an der Devise „Der Zweck heiligt die Mittel“ – und diese Herangehensweise war ja schon immer eine Green Flag für politische Ideen, nicht wahr? 

Vielleicht ist es tatsächlich allerhöchste Zeit, die Packungsbeilage dieser Bewegungen genauer unter die Lupe zu nehmen.   

Elina Schnaper

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