Reise in Das Tal der koscheren Weine

Reise in Das Tal der koscheren Weine

Oder zwei Juden und zwei Krowodn auf der Suche nach der verlorenen Geschichte im

Burgenland. Teil 1. 

Es ist Ende Mai. Wir treffen uns bei der Rahlstiege in 1060, vor uns steht das Denkmal für den Architekten Gerngross gestaltet von Franz West. Es ist die erste Fahrt für Alexandru nach seiner bestandenen Führerscheinprüfung. Eine Jungfernfahrt nach Mariazell. Wie könnte es besser sein. Konsti kommt zu spät. Wir warten und machen es uns schon mal gemütlich im Fiat Panda. Joseph, Alexandru und Mark. Joseph, ursprünglich mütterlicherseits aus Stinatz/Stinjaki, berichtet von seinem Quiz über den Zentralfriedhof. Der Fahrer richtet das Cockpit ein. Mark, eigentlich hungrig, fragt den Fahrer, ob er sich eh bereit für diese Ausfahrt fühlt. Immerhin war die Fahrprüfung erst am Tag davor. Konsti kommt ins Bild und zückt gleich eine Kamera. Wir fahren los. Wir freuen uns auf Mariazell. Von uns war nur Joseph am wichtigsten Wallfahrtsort Österreichs, aber nicht auf Wallfahrt. Wieso auch?

Im Panda

Auf der Fahrt halten wir an einer Raststätte. Wir kaufen kühle Getränke. Konsti und Joseph erzählen, dass wir uns unweit der Grenze zum Burgenland befinden. Das Burgenland, einst wichtiges Zentrum jüdischen Lebens, ist heute besser bekannt für seine Weine. Darunter auch ein Produzent für koschere Weine, den alle aus der Community kennen, weil er quasi das Monopol auf koscheren Wein in Österreich hat: Hafner Wein. Auch international gilt das Burgenland schon lange als Hotspot für guten Wein (Anmerkung von krowodischer Seite in weiterer Folge als AKS gezeichnet: Langsam gerät der Weinskandal der 80er Jahre in Vergessenheit, wir sind froh). Die Dichte an Winzer:innen ist erstaunlich. Konsti wirft auf halbem Weg ein, dass heute eine Weinverkostung im Mittelburgenland in der Nähe von “Insert Krawatten-name” (AKS: Veliki Borištof/Großwarasdorf) ist, wo er aufwuchs. Der Name der Kost: Wild swines – fine wines. Wir sind begeistert. (Außerdem macht Konstantins Mutter die beste vegetarische Lasagne; aber das wäre an dieser Stelle ein Spoiler). Alexandru dreht in einem – wie es sich für frische Führerscheinbesitzer gehört – waghalsigen Manöver um und wir fahren wieder retour straight eina ins Burgenland. Wir finden uns auf besagter Raststätte an der Grenze zum Burgenland wieder. Wir steigen aus. Machen offizielle Fotos an der Grenze (AKS: Sie haben bisschen Nordkorea-Flair; aber nutzt nichts, jetzt ist es verkauft, das Burgenland). Vor uns liegt das Napa Valley Österreichs. Heimat der Krawoden (AKS: burgenländische Kroat:innen; umgangssprachlich, abwertend aber sie haben sich das Schimpfwort angeeignet) und einstige Heimat großer jüdischer Gemeinden. Letztere sind bekannt als die Sieben Gemeinden (Schewa Kehilot) dazu zählen Deutschkreutz (damals bekannt als Zelem), Eisenstadt, Frauenkirchen, Kittsee, Kobersdorf, Lackenbach und Mattersdorf (AKS: Mattersdorf hat sich im Zuge der burgenländischen Hauptstadtsuche zu -burg pimpen lassen; gebracht hat es wenig). Wir entscheiden uns dazu, die neue/alte Synagoge in Kobersdorf am Weg zum Weinfestival zu besuchen. Die Ortschaft liegt gleich an der Schnellstraße und ist in weniger als einer Stunde Autofahrt zu erreichen (AKS: Weitere Synagogen und jüdische Friedhöfe hat die burgenländische Forschungsgesellschaft in Kooperation mit Novi Glas kartografiert). 2022 wurde die Synagoge von Kobersdorf renoviert und dient mehrheitlich als Veranstaltungsort mit jüdischem Bezug. Wissenschaftliche Symposien, Klezmer Konzerte usw. eben das typisch jüdische Programm. Eine aktive Gemeinde gibt es im Burgenland aber nicht mehr. Landesfürst und Schutzpatron der SPÖ Hans Peter Doskozil ist es allerdings ein Anliegen, das jüdische Erbe des Burgenland aufrechtzuerhalten (AKS: Das Zitat, wonach sich Doskozil wieder jüdisches Leben im Burgenland wünsche, kann zwar nicht gefunden werden; aber die NG-Redaktion schwört, es vernommen zu haben.) Wir können den Herrn Landeshauptmann aber beruhigen, denn streng genommen ist unsere jüdisch-krowodische Ausfahrt genau so ein Leben. 

In Kobersdorf/Kobrštof

Wir kommen am Parkplatz der Synagoge an. Das Gebäude sieht neu renoviert aus – Mark bewundert das Bauwerk. Freistehende Synagogen finden sich in Wien ja nicht, dafür muss man eben aufs Land fahren. Daneben ein Fußballfeld, die Kinder grüßen fromm. Gegenüber ein Schloss und über der Straße eine Gedenktafel (ein großer Gedenkstein). Gestaltet von Ernst Fuchs. Wir lassen uns die Inschriften übersetzen, schauen uns die Namen an und setzen uns auf eine Bank. Das klingt zwar patschert/holprig, aber über eine Namensverwechslung von Ernst und Franz Fuchs kommen wir auf die Bombenserie von Franz Fuchs zu sprechen. Besonders Gemeinden im Burgenland standen im Fadenkreuz. Vor 30 Jahren wurden vier Roma in Oberwart/Felsöör durch eine Bombe getötet. Der rassistische und antiziganistische Anschlag war gezielt gegen eine Roma-Siedlung gerichtet. Tags nach dem Anschlag in Oberwart, ging in Stinatz eine in einer Spraydose versteckte Bombe hoch und riss einem Mitarbeiter der Müllabfuhr die Hand ab. Joseph erzählt davon, dass auch seine Tante, damals aktiv in der Politik und für Minderheiten eintretend, Adressatin einer Briefbombe in Stinatz gewesen ist. Eine weitere Briefbombe konnte aufgrund eines Fehlers der angeführten Postleitzahl abgefangen werden. Er ist selbst Mitglied der kroatischen Minderheit, die Krowodn (oder auch Krawodn) geschimpft wurden und werden. Sie haben eigene Bräuche und sprechen eine eigene Sprache. Es ist eine von 6 autochthonen Volksgruppen in Österreich. 

AKS: Na gut, kleiner Abriss zum Elefanten im Raum. Ich bezeichne die burgenländischen Kroat:innen gerne als Überbleibsel der Monarchie. Sie wurden – Schätzungen gehen rauf etwa bis hunderttausend Menschen – im 16. Jahrhundert umworben und angesiedelt, damals, als Fürsten sowohl Besitztümer in Österreich-Ungarn hatten als auch im heutigen Kroatien. Den Begriff Geflüchtete vermeide ich, trotzdem dürfte es hier eine Mischung aus Zwang und Angst vor einer osmanischen Invasion gewesen sein. Die Jahrhunderte ziehen übers Land. Viele verlieren ihre Sprache, besonders stark im 20. Jahrhundert. Übrig bleiben kleine Sprachinseln, wo sich die Sprache etwa auch dank der Kirche gehalten hat. Wien wird ein Gravitationszentrum, aber auch etwa Chicago. In den 1960er bis -80er Jahren fährt die Sozialdemokratie einen Assimilationskurs: deutsch statt krowodisch. Die Folge: Weitaus schlimmere Assimilation als die Zäsur der Sprache im Nationalsozialismus (einige sind für den Sprachgebrauch deportiert und ermordet worden). Übrig bleiben etwa Joseph und ich; genaue Zahlen gibt es nicht, wir schätzen 20.000. Die Zahl der aktiven Sprecher:innen sinkt rapide. Wir versuchen mit dem Rest der Sprache, die uns geblieben ist, so unterhaltsam und sorgsam umzugehen wie möglich. (Und vergessen trotzdem, dem Noodnik-Publikum einen Sprachcrashkurs zu geben. Siehe Teil 2! Nun zurück zu dir, Mark…)

Es gibt einige Parallelen zwischen der jüdischen und krowodischen Community. 

Als völkerverständigende Geste scheint uns der Ausflug daher perfekt geeignet zu sein, diese gegenseitig zu erkunden. Wir fahren über Weinberge. Es sieht idyllisch aus. Alexandru fährt tadellos. Wir halten an einem ehemaligen Grenzposten an der Ungarischen Grenze. Lediglich ein Hochsitz vom Bundesheer erinnert daran, dass hier einst der eiserne Vorhang verlief. 100m weiter halten wir in einem Weingarten. Die Aussicht ist fantastisch. Online haben wir gesehen, dass es Tacos aus Wildsau-Fleisch gibt. Ein Genuss. Das Weingelage geht los. Konsti spricht mit einigen Winzern auf Burgenlandkroatisch darüber, wieso sie noch keine koscheren Weine anbieten. Es herrscht aber Ungewissheit darüber, was genau ein koscherer Wein ist. Stimmt es, dass nur Juden an der Produktion beteiligt sein dürfen, muss der Wein einfach gesegnet werden oder gibt es “nur” koschere Qualitätskontrollen? Auch unsere digitalen Hilfsmittel geben uns keine eindeutige Antwort. Das mit dem koscheren Wein klingt bissl nach Hokus-Pokus aber das ist Biodynamik ja auch. 

Im Weingarten

Ein Bekannter aus dem Burgenland, Ferenc, sichtet uns und interessiert sich für das Anliegen. Er ist selbst auch Krawode und trinkt gerne den koscheren Wein vom Hafner, weil er den höchsten Qualitätsstandards entspräche. Was folgt sind philosophische Abschweifungen zur Önologie, Fakten-Checks zum jüdischen Leben im Burgenland, Diagnosen der politischen Lage des Landes, Elogien zu den wunderschönen Weinbergen und ganz zentral: Wieso die Minderheiten in Österreich solidarisch sein sollten und sind!  

Cliffhanger:

Wie das dann in Worte gefasst erfahrbar wird und warum, erfahrt ihr auf noviglas.online beziehungsweise in deren Printausgabe, wo Teil 2 dieser Geschichte erscheinen wird.

Ein Reisebericht von Mark Napadenski & Konstantin Milena Vlasich 

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