Sichtbar, aber nicht gesehen
Hollywoods Codierung jüdischer Repräsentation – Zwischen Klischee, Karikatur und kultureller Normativität
Jüdische Figuren sind in amerikanischen Medien allgegenwärtig. “Representation matters” – das wird oft betont. Ist doch erfreulich, oder nicht? Viele dieser Darstellungen sind jedoch weniger Fortschritt als Wiederholung. Sichtbarkeit entsteht in Serien und Filmen nämlich häufig auf Basis stereotyper Figuren: Der chassidische Jude – abgeschnitten vom modernen Leben und fremd. Der überintellektuelle, neurotische Mama’s Boy – wie Howard Wolowitz in The Big Bang Theory oder Ross Geller in Friends. Und nicht zu vergessen: die Jewish American Princess, kurz „JAP“ – laut, verwöhnt, ehrgeizig. Aber wie viel ist dieser Ehrgeiz wert, wenn Daddy’s Kreditkarte den Weg ebnet? Charaktere wie Cher Horowitz in Clueless oder Marnie Michaels in Girls prägen ein Bild, das zwischen Glanz und Essstörung pendelt – ambivalent, manchmal bewundert, oft belächelt. Sie sind klug, überzeichnet, tragisch – und nur selten normal.
Sichtbarkeit durch Stereotypen
Diese stereotype Darstellung jüdischer Identität hat eine Geschichte und Wirkung. Wer jüdisch ist, wird oft auf bestimmte äußere Merkmale reduziert: helle Haut, dunkle Locken, markante Nase. Diese visuelle Codierung wurzelt tief in antisemitischen Bildern und führt für viele innerhalb der jüdischen Community zu Verunsicherung. Der “OG American Ashkenazi“ steht irgendwo zwischen liberal und traditionell. Und wir? Die nicht diesem Bild entsprechen? Mizrahi, sephardisch, schwarz, queer? Die amerikanisch-geprägte, vermeintlich liberale Darstellung jüdischer Identität hat ihre eigenen Ausschlüsse geschaffen. Bin ich jüdisch genug, wenn ich diesen unantastbaren Erwartungen nicht standhalten kann? Kein Anwalt? Kein Stand-Up Comedian? Wenn meine Bat Mitzwa nicht wie die von Adam Sandlers Tochter aussah? Sicherlich bieten solche Feiern ausreichend Inspiration für mehrere Netflix-Produktionen – das liegt oft aber eher am “Nepo-Baby-Status”, als an der jüdischen Identität selbst. Spiritualität und Glaube finden kaum Platz in Hollywood, mit Ausnahme der Fluchtgeschichten aus South-Williamsburg. Denn hollywoodreif ist der jüdische Glauben erst, wenn er abgelegt wird und die Suche nach dem inneren Jerry Seinfeld beginnt.
Judentum entleert von seiner Tiefe
Glaube, Spiritualität und ethnische Vielfalt werden zur Karikatur einer Realität, die viel komplexer ist. Und da die jüdische Community medial auf diese Weise dargestellt wird, übernimmt die breite Gesellschaft dieses Bild oft unbewusst: Jude = weiß, privilegiert, launisch. Wer als jüdisch erzählt wird, ist oft ironisch, säkularisiert, schlagfertig – und bestenfalls mit einer Prise Selbsthass ausgestattet. Doch genau diese Form der entpolitisierten jüdischen Identität reproduziert alte Vorurteile. Die ambitionierte JAP wird zur kulturell akzeptierten Variante der reichen, manipulativen Jüdin – ein uraltes antisemitisches Narrativ. Der geniale, doch nervige Side-Kick? Ein Klischee vom überlegenen, aber zugleich unnahbaren Intellekt. Und wer es in Hollywood oder der Politik nach oben schafft, bestätigt ungewollt den Verdacht der unsichtbaren Macht im Hintergrund. Es ist keine offene Hetze, sondern ein stiller Mechanismus der Wiederholung, der sich tief in den Köpfen verankert. Denn Film und Fernsehen bleiben nach wie vor ein leicht konsumierbares Medium und für viele das einzige Fenster zur jüdischen Kultur.
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. In der Apple-TV-Serie Extrapolations etwa spielt Daveed Diggs einen Rabbiner – ein schwarzer Mann, jüdisch, spirituell – ohne die typischen äußerlichen Merkmale, jiddischen Redewendungen oder besonders betonte Laktoseintoleranz. Doch gerade bei dem Versuch, Vielfalt abzubilden, braucht es Sensibilität: Tokenistische Darstellungen – etwa ein einzelner schwarzer Rabbiner als vermeintlicher Repräsentant aller Jews of Color – greifen zu kurz und verkennen die wahre Diversität innerhalb jüdischer Lebensrealitäten. Selbst mit guten Absichten.
Repräsentation und Rollenzwang
Trotzdem bleibt die Frage: Wo dürfen jüdische Menschen heute medial existieren, jenseits ihrer Jüdischkeit? Muss ich mich als Jüdin automatisch in ein jüdisches Rollenbild hineinlehnen? Bin ich dann Klischee – und wenn ja, für wen? Bin ich Repräsentantin meiner Community, gar eines ganzen Volkes? Manchmal scheint es, als zähle vor allem, wie glaubwürdig jenes Bild verkörpert wird, das der Erwartungshaltung entspricht. Ob man jüdisch genug aussieht, der Humor subkulturell codiert ist und ob die Familiengeschichte eine tragfähige Erzählung für den “Big Screen” hergibt.
Vielleicht reicht es inzwischen, einfach nur jüdisch auszusehen – so wie Rachel Sennott. Italienerinnen mit tiefen Augenringen funktionieren genauso gut, solange sie das Bild der verzogenen jüdischen Tochter überzeugend bedienen. Selbst in fiktionalen Welten wird die Jüdin selten gewählt. Neben einem liberalen Rabbi-Hottie wie Adam Brody bekommt die “Shiksa” den Vorzug: schön, unkompliziert, die ideale Illustration für alles, was jüdische Frauen angeblich nicht sind – laut, manipulativ, zu viel.
Erst bei der nächsten Holocaust-Verfilmung gibt es wieder “Main-Character Energy”. Da darf dann der Namensvetter Adrien Brody ran und es winken sogar Oscar-Chancen! Denn genau das scheint es zu sein, was erzählt werden soll: Jüdischkeit als Projektionsfläche, nicht als gelebte Realität.
Ein Appell für neue Narrative
Vielleicht wäre es an der Zeit für neue Formen der Sichtbarkeit, in der jüdische Kreative nicht „ihre Geschichte“ erzählen müssen, um überhaupt gehört zu werden. Eine, in der jüdische Identität nicht als Bildungsauftrag oder Karikatur mitgeliefert wird, sondern als Teil eines Selbstverständnisses. Aber wer erzählt dann all die weiteren, auch absurd überspitzten Geschichten? Wer, wenn nicht wir, wird jüdischen Figuren Repräsentation bieten?
Wie können wir diesen Charakteren gleichermaßen ihre Ehre erweisen und ihnen eine Chance geben, einfach sein zu dürfen?
DEVANEY BARON