Trumps Rettung vor der Wissenschaft
Schon vor Trumps zweiter Amtszeit, während meiner eigenen Studienzeit, trugen Studierende auf der Columbia University Shirts mit einem Ausspruch Trumps: “Columbia is a disgraceful, liberal institution” – Columbia sei eine schändliche, liberale Institution. Die Shirts wurden mit Augenzwinkern und sogar mit Stolz getragen: Es war eine Auszeichnung, ein namentlich genannter Feind Trumps zu sein und damit ein Sinnbild für alles, wofür er eben nicht steht: Intellektualismus, Wissenschaft, demokratische Werte.
Damals war das noch witzig. Jetzt, wo Trump wieder amtierender Präsident ist, ist es deutlich unangenehmer, sein erklärter Feind zu sein. Das zeigt sich akut in drastischen Budgetkürzungen, begründet mit dem Vorwurf, die Universität habe nicht ausreichend gegen antisemitische Vorfälle auf dem Campus unternommen. Diese Vorwürfe werden auch von einem internen Bericht der Universität bestätigt: sechzig Prozent der jüdischen Studierenden geben an, sich diskriminiert zu fühlen, berichten von Belästigung, Einschüchterung und antisemitischer Rhetorik, und sehen sich teils gezwungen, ihre jüdische Identität oder israelische Nationalität zu verbergen. Natürlich müsste hier gehandelt werden – und zwar schon vorgestern. Weniger klar hingegen ist nicht nur, inwieweit Trump selbst dieser Aufgabe gewachsen ist, sondern auch, wie er gedenkt, sie zu bewältigen – und mit welcher Intention.
Die Waffen im Kampf um die akademische Freiheit
Im März 2025 entzog die Trump-Administration der Columbia University rund vierhundert Millionen Dollar an Bundesförderungen, 180 Forschende verloren daraufhin ihre Anstellung. Infolgedessen kam die Columbia-Administration einigen Forderungen nach, darunter Reformen im Disziplinarverfahren und Sicherheitswesen, sowie eine unabhängige Überprüfung der Nahost-Curricula. Harvard hingegen wollte nicht mitspielen, gab keine Zugeständnisse und keine Reformversprechen. Daraufhin fror die Regierung Fördermittel in Höhe von 2,3 Milliarden Dollar ein. Als Reaktion klagte Harvard im April 2025 die US-Regierung aufgrund verfassungswidriger Einschränkung der akademischen Freiheit. Aber wer nicht spurt, bekommt nicht nur kein Geld, sondern auch kein Visum: Im Mai 2025 entzog das Department of Homeland Security Harvard die Zertifizierung für die Einschreibung internationaler Studierender. Das betrifft etwa 27 Prozent aller Studierenden, darunter auch 29 aus Österreich. Am folgenden Tag erließ ein Bundesgericht eine einstweilige Verfügung, die den Entzug der Zertifizierung vorläufig stoppte.
Diese jüngsten Erlebnisse zeigen deutlich, womit Dissident:innen der Trump-Regierung rechnen können. Wer hingegen kuscht, und in seinem Sinne handelt, wird begnadigt. So stürmten vor einigen Wochen beispielsweise pro-palästinensische Aktivist:innen die Bibliothek der Columbia University und erklärten sie zur “People’s University” (Volksuniversität). Anders als bei früheren Besatzungen von Universitätsgebäuden, die tagelang geduldet wurden, ließ die Universitätsleitung diesmal innerhalb weniger Stunden über siebzig Personen von der Polizei festnehmen und deren Visa überprüfen, eine Reaktion ganz aus dem Trump’schen Handbuch.
Dadurch mag vielleicht einigen Aktivist:innen die Lust auf ähnliche Aktionen vorerst vergangen sein. Inwieweit dadurch antisemitische Haltungen unterbunden werden, ist jedoch mehr als fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass so ein Vorgehen beide Seiten zu mehr Militanz drängt – was dabei verloren geht, ist der akademische Diskurs. Der dem Gaza-Krieg entsprungene stellvertretende Konflikt an den Universitäten ist ein zutiefst ideologischer, dem realen Vorbild in diesem Sinne vielleicht nicht unähnlich, und es ist zu bezweifeln, dass er sich mit Repression beenden lässt. Gerade die Ideologien und dogmatischen Ideen, die Studierende antreiben, lassen sich auch kostenlos verbreiten. Ernstgemeinte Bestrebungen, den vorherrschenden Diskurs zu entradikalisieren, erfordern mehr als klare Haltungen: Sie verlangen eine unabhängige, zugängliche Wissenschaft, die in der Lage ist, populäre Vereinfachungen durch Aufklärung zu ersetzen – und dafür braucht es Geld. Parolen zu grölen, war immer schon gratis.
Wie politische Machtspiele den Campus spalten
Natürlich darf und soll für ein Ende des Krieges protestiert werden. Ivy-League-Universitäten haben es hier jedoch verpasst, rechtzeitig einzuschreiten, und ihrer sozialen Verantwortung als meinungsbildende Institutionen gerecht zu werden. Sie haben es versäumt, vielschichtige Argumente zu fördern, Komplexitäten als solche zu erkennen, und eine akademische und wissenschaftliche Debattenkultur zu unterstützen, in der man einander zwar nicht zustimmen, aber auf Augenhöhe begegnen muss. Ein wissenschaftlicher Artikel schreibt sich deshalb so langsam, weil es keine Absolutismen gibt, weil jedes Ergebnis nur auf etwas hindeutet, nur ein temporäres Sprungbrett für weitere Erkenntnisse ist. In der Wissenschaft hat niemand die Wahrheit gepachtet, und mehrere Theorien können nebeneinander bestehen. In Trumps Welt der polemischen 280-Zeichen-Plattitüden bleibt für derartige Differenziertheit kein Platz. Sein radikales Wesen und Vorgehen vertieft nur die Kluft zwischen den Studierenden. Indem er unter dem Deckmantel des Antisemitismus massiv ins akademische Leben eingreift, instrumentalisiert er Jüdinnen und Juden für seine politische Agenda. Er isoliert sie als Gruppe weiter, zementiert antisemitische Haltungen, erneuert ihre Rolle als ewige Sündenböcke und verfestigt gleichzeitig uralte Ideen der jüdischen Weltherrschaft. Hinzu kommt, dass die jüdische Studierendenschaft, die an der Columbia sogar rund 22 Prozent ausmacht, sicherlich nicht mit einer einzelnen Stimme spricht. Gerade an progressiven Universitäten wie dieser finden sich viele stark Israel-kritische Jüdinnen und Juden. Steht es dem nicht-jüdischen Präsidenten zu, der sonst auch gerne mit rechtsradikalen Antisemit:innen verkehrt, diese Stimme zu delegitimieren?
Er mag zwar behaupten, es gehe ihm um Antisemitismus, in Wahrheit aber geht es ihm wohl wie immer – um Trump. Seinen Ausspruch, Columbia sei eine schändliche, liberale Institution, tätigte er eben nicht als Reaktion auf die Ausschreitungen nach dem siebten Oktober, sondern bereits Jahre zuvor: Im Jahr 2020 veröffentlichten Wissenschafter:innen an der Columbia einen Bericht, demzufolge 36. 000 Menschen weniger an Covid-19 gestorben wären, hätte der Präsident rechtzeitig Maßnahmen ergriffen. Trumps fragiles Ego, sich einer solchen Schmach auszusetzen, kann einen fünf Jahre später schon einmal vierhundert Millionen Dollar kosten.
Die realen Probleme auf den Campi erlauben es Trump, seine vorgefasste Absicht umzusetzen: In autokratischer Manier kontrolliert er die wissenschaftliche Welt und zwingt Institutionen, sich an die Parteilinie zu halten. Columbia, sowie andere universitäre Einrichtungen, die klassisch-akademisch linke Werte vertreten, sind in seinen Augen nicht schändlich und liberal- sie sind schändlich, weil sie liberal sind. Seine Verbundenheit mit den jüdischen Studierenden ist eine Farce. Er ist, wie in fast all seinen Bestrebungen, an Selbstdarstellung statt am Allgemeinwohl interessiert. Trump ist niemandes Freund, und wie sich in alarmierender Weise verstärkt zeigt, schon gar nicht der von Minderheiten. Sein angeblicher Kampf gegen Antisemitismus ist ein klassisch faschistischer Schachzug in Hut und Sonnenbrille – ein schlecht verkleideter Krieg gegen den Liberalismus und die Wissenschaft. Insgesamt hat die Trump-Regierung inzwischen über sechs Milliarden Dollar an Fördergeldern eingefroren und mehr als 4 700 Visa internationaler Studierender widerrufen. Das trifft die Wissenschaft dort, wo es besonders weh tut. Denn sie beruht auf langjähriger, gewissenhafter Arbeit, die ohne verlässliche Förderung nicht möglich ist, und lebt vom internationalen Austausch. Und was hat das mit Antisemitismus zu tun? Vielleicht folgt der Plan derselben Logik wie Trumps andere Ideen: Die Lebenskosten werden günstiger, indem man die Preise für Eier anhebt, die amerikanische Wirtschaft floriert, indem man die Börse crasht, und durch die Zerschlagung der Wissenschaft wird dem Antisemitsmus ein Ende gesetzt.
Paula Angermair