Antisemitismus als Handelsgut

Antisemitismus als Handelsgut

Wie Rechtsextreme Antisemitismuskritik missbrauchen, um gegen Migrant:innen zu hetzen

„Hoch die internationale Solidarität!“ ist der Leitspruch der Arbeiter:innenbewegung (gewesen). Angesichts der globalen Verwirrungen der Linken fragt man sich zunehmend, was aus der Solidarität geworden ist. Währenddessen gibt man sich bei der konservativen und extremen Rechten neuerdings solidarisch und nicht nur solide arisch. So fordern Europas Rechtsextreme mehr Solidarität mit Israel ein. Insbesondere seit den Gräueltaten der Hamas am 7. Oktober 2023 übertrumpfen sich manche konservative und rechtsextreme Akteure darin, wer israel- und judenfreundlicher sei. 

Aber keine Sorge, die klassische antisemitische Rechte wie die NPD, stehen weiterhin auf der Seite der panarabischen Nationalisten, die den jüdischen Staat auslöschen wollen, ganz in der Tradition der innigen Männerfreundschaft zwischen Eichmann und Husseini. Es hat sich lediglich ein Flügel innerhalb der Rechtsextremen gebildet, der seine Prioritäten anders setzt. Die Juden wurden ja bereits zum Großteil in Europa ausgelöscht, jetzt stören vor allem muslimische Zuwander:innen das Bild der einheitlichen arischen Volksgemeinschaft. Und um diese loszuwerden, bietet sich natürlich die erhöhte Aufmerksamkeit, die der arabisch-muslimische und türkische Antisemitismus seit dem 7. Oktober erhält, an. 

Vergessen wir einfach, wie antifaschistische Kräfte seit Jahrzehnten vor diesen Strukturen warnen, während Parteien der politischen Mitte diese hofiert haben. Sowohl SPÖ und Grüne als auch ÖVP haben in den vergangenen Jahren immer wieder mit Grauen Wölfen und ähnlichem gekuschelt, um ihr Stimmenpotential bei migrantischen Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Dieser politische Fehler zeigt gerade seine schlimmsten Konsequenzen. Antisemitische Hassdemonstrationen und teilweise Lynchmobs machen sich (wieder) auf den Straßen von Europas Städten breit. 

Zurück zur angeblichen Solidarität mit dem angegriffenen jüdischen Staat und der Parole, die man nun aus Mündern, denen man dies nie zugetraut hätte, vernimmt. Während wir Jüdinnen und Juden seit dem 7. Oktober selbst auf die Straße gingen, um die Opfer zu trauern und um Verständnis für Israels schwierige Aufgabe, die Hamas zu entmachten und die Geiseln zu befreien, einzufordern, halten diverse rechtsextreme Politiker sich für so viel schlauer als die Betroffenen selbst. Diese opportunistischen Politiker:innen lassen keine Gelegenheit aus, jede noch so heikle Angelegenheit für ihr politisches Kleingeld zu missbrauchen. Und sie meinen in der Frage des arabisch-muslimischen und des türkischen Antisemitismus die ideale, pseudosolidarische Maßnahme gefunden zu haben. 

Wenig überraschend fordern sie mehr und vor allem willkürliche Abschiebungen jeder migrantisch gelesenen Person, die kein Bekenntnis zum Existenzrecht des israelischen Staates unterschreiben will oder die in irgendeiner anderen antisemitischen Weise tätig wurde. Ziel ist es, antisemitische Straftaten zu reduzieren und den “importierten” Antisemitismus loszuwerden. Darüber, dass “importierter” Antisemitismus eine Wortkreation ist, die angesichts eines globalen Phänomens jeglicher Grundlage entbehrt, könnte man ganze Bücher füllen. Jedenfalls muss man aufgrund von Liederbuchaffären, Aiwanger-Gedichten und den unzähligen anderen autochthonen Antisemit:innen und professionellen “Israelkritikern” wohl kaum anmerken, dass Antisemitismus auch hierzulande weiterhin tief sitzt. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet vielmehr: sind diese Rechten wirklich mit uns, Jüdinnen und Juden, solidarisch? Die Einschätzung steht und fällt mit der Frage, ob wir Abschiebungen für ein adäquates Mittel der Antisemitismusbekämpfung halten. 

Darüber darf sich natürlich jeder seine eigene Meinung bilden, immerhin genießen wir hier ja noch die Freiheiten der Demokratie, die Kickl & Co so gerne einschränken würden – oder sie zumindest nur ihnen genehmen Personen zugestehen wollen. Jedoch frage ich mich, was es irgendwem bringen soll, Unruhestifter in meist kollaborierende Staaten oder Diktaturen zurückzubringen, in denen sie nur weiter radikalisiert werden und die entsprechenden Regionen weiter destabilisieren. Vielmehr ist es ein Armutszeugnis, dass trotz “historischer Verantwortung” der österreichische Staat sich abermals nicht in der Lage sieht, ordentlich zu Entnazifizieren und Antisemitismus glaubhaft dort entgegenzutreten, wo er auftritt. 

Abschiebung verschiebt das Problem nur anderswo hin, und zumal bestätigt es die Wahnsinnigen in ihrem Opfergehabe. Das Gerücht um die jüdische Weltverschwörung wird dabei nur weiter gestärkt. Aber das ist ja nicht so, als würde das die entsprechenden Rechtsextremen, die dauernd nach Abschiebung krakeelen, überhaupt stören.

Auch als Sozialwissenschaftler, der sich mit solchen Phänomenen intensiv beschäftigt, habe ich keine genaue Antwort darauf, was man gegen Antisemitismus und insbesondere gegen notorische Antisemit:innen machen kann. Historisch betrachtet gibt es kein Allheilmittel gegen diese gesellschaftliche Krankheit, weder Bildung noch Wohlstand schützen vollständig davor. Das Einzige, das sich tatsächlich bewährt hat, ist Antisemitismus aktiv zu bekämpfen, überall dort, wo er auftritt. Statt migrantisch gelesene Antisemit:innen, die meist in dritter Generation hier leben, abzuschieben, wäre uns allen schon viel mehr geholfen, wenn man aufhören würde staatliche türkische Religionsbehörden zu hofieren, oder dem Wahhabismus und anderen fundamentalistischen Strömungen des Islams die Hoheit über religiöse Angelegenheiten zu lassen. Ein nobler Wunsch in einem Land wie Österreich, das bis heute das Konkordat mit der Kirche, das von dem Austrofaschisten Dollfuss ausgehandelt wurde, hochhält. Es gilt, bestehende Gesetze anzuwenden und Antisemitismus überall dort, wo er auftritt, auch zu konfrontieren. Ein verpflichtender Ethikunterricht in der Schule, der die Geschichte der verschiedenen Religionen aus einer laizistischen Perspektive beleuchtet, statt eines ideologisierten und unkontrollierten Religionsunterrichts, wäre ein bescheidener Anfang. Abschiebungen hingegen stellen einen untauglichen Versuch dar, sie blenden das Problem nur aus und sind daher zum Scheitern verurteilt.

An jene Politiker:innen, die unser Leid dazu missbrauchen wollen, Menschenrechte über Bord zu werfen und Minderheiten gegeneinander auszuspielen, habe ich nur eine einzige Bitte: Lasst uns aus dem ganzen raus, und sagt, worum es Euch wirklich geht: Darum, einen völkischen Staat zu errichten. 

Elias Weiss

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