Campen für die Intifada?
Was ist in den Monaten seit dem letzten NOODNIK passiert? Leider gewohnt viel Beunruhigendes: Der Antisemitismus stieg in Österreich, Europa und der ganzen Welt weiter, immer mehr Aufrufe machten sich im Internet und anderswo breit, um gegen Israel zu hetzen. Aber wieso hat plötzlich jede:r eine Meinung zu Israel und ist Nahost-Expert:in? Wo waren oder besser gesagt sind alle diese Meinungen, wenn es um Uigur:innen oder den Genozid an Jesid:innen geht, oder die Millionen Toten und Vertriebenen in anderen Konflikten? Wieso kann man sich unter dem Deckmantel „Israelkritik“ heutzutage alles erlauben? Und überhaupt, warum gibt es eigentlich den inzwischen etablierten und von vielen Seiten legitimierten Begriff „Israelkritik“, aber keine „Irankritik“, „Syrienkritik“ oder „Türkeikritik“…? Unter dem Motto der „Israelkritik“ stehen auch die antisemitischen Demonstrationen an den Unis in den USA, die sich immer stärker ausbreiten und eine weiterwachsende Gefahr für jüdische Studierende darstellen.
Am 7. Mai erreichten diese befremdlichen Proteste auch uns in Wien. Am Campus der Universität Wien breiteten sich auch „Studierende“ mit ihren Zelten, Bannern und einer großen Portion Antisemitismus in ihren Rucksäcken aus. Sie bezeichneten sich selbst auf großen Schildern als „Student Intifada Camp“: Dieser Name sagt eh schon alles. Es war kein pro-palästinensischer Protest, sondern eine Manifestation des Hasses der Teilnehmenden gegenüber Israel und gegen Jüdinnen und Juden – zumindest gegenüber denen, die sich nicht selbst als Feinde der “Zionistischen Entität” deklarierten, wie es vor Ort die Spinner:innen der Judeobolschwiener:innen im Iran-Jargon deklarierten. Der Begriff „Intifada“ steht nicht für Frieden, sondern für das Gegenteil – in der letzten Intifada wurden über Tausend Israelis in schrecklichen Selbstmordattentaten getötet und Tausende weitere verletzt.
Angst als neue Normalität?
Was haben die letzten Monate für uns als JöH und für uns als Teil einer offenen Gesellschaft bedeutet? Konkret und kurz gesagt: Angst. Angst davor, dass Jüdinnen und Juden in Wien wieder ihre Identität verbergen müssen, Angst davor, dass wir wieder auf der Straße beschimpft, bedroht oder angegriffen werden, Angst vor dem, was uns unsere Großeltern von den 1930er-Jahren erzählten, Angst davor, dass die Antisemit:innen wieder aus ihren Löchern kriechen und laut das sagen, was sie sich schon immer dachten, Angst, dass das die neue Normalität werden könnte, Angst davor, dass unsere vermeintlich heile Welt einen ordentlichen Riss bekommen könnte und wir nicht mehr wissen, wer eigentlich noch unsere Freund:innen sind und Angst davor an die Uni zu gehen und dort als Jüdin oder Jude erkannt zu werden, wenn man widerspricht.
Eigentlich waren wir nicht überrascht, dass es auch hier zu einem solchen Camp kam. Denn dieses „Encampment“ wurde mitnichten nur von „besorgten“ Studierenden angeführt, sondern vielmehr von bekannten antisemitischen Gruppierungen und Personen aus der islamistischen Szene, die schon die unzähligen, von Antisemitismus geprägten Demonstration der letzten Monate organisierten.
BDS, deren Leitung in Österreich engen Kontakt zum Anführer der Hamas pflegt und weitere Organisationen wie Dar Al Janub, die Palästina Solidarität oder Der Funke organisierten unter dem Deckmantel der “Students for the Palestinian Cause“ (SPC) die Aktion und stellten sich stolz vorne hin. Was bei diesem Camp überrascht hat, war die Medienberichterstattung. Während sich die Intifada-Camper:innen in den ersten zwei Tagen weigerten, mit etablierten Medien zu sprechen, gaben sie bereitwillig Interviews an ihre internationalen Kontakte: Das iranische Staatsfernsehen streamte aus dem Camp 24/7 live in den Iran und die Türkei. Auch Al Jazeera machte Reportagen und Livestreams über den österreichischen Ableger dieser antisemitischen Uni-Besetzung, wie sie insbesondere in den USA seit Wochen en vogue sind.
Gemeinsam gegen Antisemitismus
Die ÖH-Uni Wien zeigte klare Kante und teilte sofort ein Statement auf Social-Media, in dem sie sich vom „Encampment“ und dem dort herrschenden Antisemitismus distanzierten und verurteilten. Die Behörden sahen zunächst keinen Anlass, das Camp aufzulösen. Da viele jüdische Studierende sich nicht mehr auf den Campus trauten, beschlossen wir, eine Gegenkundgebung gemeinsam mit dem Bündnis gegen Antisemitismus zu organisieren.
Am 9. Mai waren wir also mit Bannern mit der Aufschrift „Rape is not Resistance“ und israelischer Musik vor dem Campus, um gegen jeden Antisemitismus einzutreten. Allein unsere Anwesenheit war scheinbar ein genügender Grund, um Beschimpfungen von Intifada-Camper:innen zu bekommen. Als wir näher zu den Polizei-Sperrgittern kamen, versuchten einige Demonstrierende uns physisch aufzuhalten – mit wenig Erfolg. Obwohl uns in diesem Moment nochmals deutlich klar wurde, wie wichtig unsere Aktion war, stellte sich ein mulmiges Gefühl ein. Angst davor, was von der anderen Seite kommen würde, Bilder im Kopf von den gewalttätigen Übergriffen gegen jüdische Studierende bei ähnlichen Konfrontationen, wie etwa in Amsterdam. Sorge, was in den nächsten Tagen noch alles passieren würde. Zweifel, ob die Polizei uns wirklich schützen kann, wenn es zu Angriffen der Intifada-Camper:innen kommen sollte. Dann kam es anders als erwartet, denn die Polizei begann, UNS einzukesseln und Anzeigen zu verteilen. Es ist erstaunlich, dass wir, die als Betroffene bei einer genehmigten Kundgebung friedlich gegen Antisemitismus protestierten, rechtlich belangt und eingekesselt wurden.Wieso wollte man bei uns Gewaltpotenzial sehen, während bekannt antisemitische Akteure ungestört weiter zur Gewalt aufrufen konnten?
Plot Twist
Doch schließlich siegte doch die Vernunft und die Polizei räumte noch am selben Abend das Camp vollständig. Als wir am nächsten Tag freudig feierten, dass jüdische Studierende nun wieder ungehindert am Campus sein konnten, war von dem „Encampment“ nur noch eine kleine Müllhalde übrig.
An diesem Tag organisierte die JöH, gemeinsam mit der ÖH-Uni Wien, auf ebendiesem Campus einen Vortrag eines Überlebenden des Massakers am Nova-Festival vom 7. Oktober. In bewegenden Worten schilderte ein junger Israeli vor einem gefüllten Hörsaal seine Erlebnisse vom Tag des mörderischen Hamas-Terrors gegen das Tanz-Festival im Süden Israels. Er hat diesen Tag mit großem Glück überlebt, viele seiner Freund:innen wurden ermordet oder verschleppt. Das Trauma und die Angst sind für ihn, wie für zahlreiche andere Israelis zum ständigen Begleiter geworden.
Wem etwas am Ende der Gewalt liegt, der muss auf die Folgen dieser Aufmerksam machen und darf niemals zu dieser aufrufen.
Trotz der unfassbaren Belastungen der letzten Monate haben wir versucht, in dieser Zeit ein Stück Normalität beizubehalten. So haben wir Veranstaltungen wie Shabbat Essen, kritische Vorträge, Partys und vieles mehr organisiert. Mitte Mai haben wir in Wien einen Internationalen Shabbaton mit über 100 jüdischen Studierenden veranstaltet. Wir hatten viele spannende Programme und Vorträge über „Jewish Resilience“ und die “EU-Wahlen”. Natürlich durften ein wunderschönes Shabbat Essen und eine Abschlussparty auch nicht fehlen. Denn für uns steht fest: Wir lassen uns nicht unterkriegen und wir werden alles machen, damit Jüdinnen und Juden sich wohlfühlen, egal ob an der Universität oder sonst wo.
Lia Guttmann
für den Vorstand der Jüdischen österreichischen
Hochschüler:innen