Alpträume, die platzen

Alpträume, die platzen

Wie die JöH im Wurstelprater der österreichischen Politik verloren geht

Willkommen auf der Achterbahn der österreichischen Politik! Hier werden alle Albträume wahr. Oder doch nicht? Ob wir wollen oder nicht, für Nervenkitzel in der JöH ist immer gesorgt. 

In der letzten Ausgabe erzählten wir von unserer Mahnwache, die eine Woche lang vor Volkskanzler Herbert Kickl warnte. Im Januar fürchteten wir schließlich, dass unsere schlimmsten Albträume wahr werden könnten. Jeden Tag den Nachrichtenfeed aktualisieren und verzweifeln, weil die Verhandlungsgespräche das versprachen, was viele von uns zum Auswandern ermutigt hätte – oder zum maximalen Gegenprotest. Wieder Lautsprecher schleppen, Poster vorbereiten und auf die Straße gehen. Auf unserer „Nie wieder Volkskanzler”-Demonstration am sechsten Januar standen wir mit über Tausend Menschen fassungslos am Ballhausplatz und dachten: „Das war es jetzt, der Verrückte wird echt Kanzler.” Ein offen rechtsextremer Regierungschef wie Kickl wäre nicht nur eine Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich, sondern auch die größte Gefahr für die Demokratie in der Geschichte der Zweiten Republik. Umso wichtiger war es, eine Gedenkveranstaltung am Internationalen Holocaust Gedenktag, dem 27. Jänner, zu organisieren, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem möglicherweise bald Rechtsextreme und Neonazis angelobt werden könnten. 

Diesen Albtraum erleben zu müssen und mit letzten Kräften dagegen anzukämpfen, belastete unsere Organisation schwer und reduzierte unsere Kapazitäten, die wirklich überall anders besser aufgehoben wären als bei der FPÖ. Trotzdem rüsteten wir auf und machten uns auf das Schlimmste gefasst. Denn mit Blick auf die Zukunft der österreichischen Politik war uns allen bewusst, dass wir wohl erst am Anfang dieses Desasters angelangt waren. Die JöH und alle ihre Alliierten bereiteten sich somit auf fünf Jahre politischen und aktivistischen Krieg samt Moral Bombing gegen die österreichische Regierung vor. 

Fünf entspannte Jahre?

Und dann, wie ein praller Ballon gefüllt mit Angst und Frust, platzten die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ. Es wurde das erste Mal seit langer Zeit aufgeatmet. Zugegeben, wir waren auch leicht irritiert: Was machen wir jetzt mit der ganzen Freizeit? Bedeutet das jetzt fünf Jahre Urlaub? Können wir uns endlich auf Aktivitäten fokussieren, die uns mehr Freude bereiten als Diskussionen um 21 Uhr mit dem Herrn Bezirksinspektor über die strafrechtliche Relevanz von Malkreide bei einer Kundgebung? Dürfen unsere Mikrofone, Banner und Fahnen jetzt im Keller verstauben und wir spielen für fünf Jahre Sheshbesh? 

So leicht ist das leider nicht. Rechtsruck ist Rechtsruck und das geht auch ohne Kickl als Kanzler so weiter. Die AfD, unsere Nazi-Nachbarn in Deutschland, verdoppelten bei der diesjährigen Bundestagswahl ihr Ergebnis von 2021. Als zweitstärkste Partei lässt es sich noch leichter hetzen. Auch in Frankreich erzielte das Rassemblement Nationale mehr Zuspruch, trotz des viel zu späten Todes ihres Gründers Jean-Marie Le Pen. Le Pen und seine noch kerngesunde Tochter waren bereits beide Ehrengäste des Wiener WKR-Balls, dem heutigen Akademikerball. Jedes Jahr findet der Burschi-Ball statt, zu Gast das Who-is-Who der Rechtsextremisten- und Neonaziszene. An diesem scheußlichen Abend  bewirtschaftet die Hofburg GmbH hunderte deutschnationale Burschenschafter, FPÖ-Funktionär:innen und Identitäre. Damit diese Nazis dort ungestört das rechte Tanzbein schwingen können, werden sie von den Behörden durch eine absurd große Sperrzone und eine ebenso absurde Polizeipräsenz geschützt. 

Proteste gegen diesen Ball gibt es in verschiedensten Formen schon seit Jahrzehnten. Doch leider sind auch diese nicht von den wohlbekannten Problematiken innerhalb der Wiener Linken gefeit. So ist das Bündnis Offensive gegen Rechts (OgR), das in den letzten Jahren  die Gegendemonstration organisierte, bis heute nicht in der Lage, Organisationen mit eindeutigem Antisemitismusproblem auszuschließen. Glücklicherweise besitzen Antisemit:innen kein Monopol auf linken Protest, weshalb die JöH im Jänner 2025, gemeinsam mit allen stabilen Organisationen, das Antifaschistische Bündnis Ballhausplatz gründete. Zweck des Bündnisses ist es, einen linken Protest auf die Straße zu bringen, der auch einen sicheren Raum für Jüdinnen und Juden bietet und sich gegen jeden Antisemitismus stellt. 

Eine ähnliche Antwort auf das selbe Problem gibt neuerdings das Kollektiv Feminism Unlimited, das am 8. März zum Protest aufrief. Diesmal ohne das Bündnis Take Back 8M, bei deren Demonstration letztes Jahr BDS, Funke und Dar Al Janub einen Block stellten. Gemeinsam drangsalierten sie dort mit Intifada-Rufen einen Block von jüdischen Studierenden, der mit „Rape is not Resistance”-Schildern marschierte.

KI, Trump und Hamas

Die Realität und die Folgen des siebten Oktobers und des bereits anderthalb Jahre andauernden Krieges im Nahen Osten scheinen diesen Antisemit:innen völlig egal zu sein, solange sie hier in Österreich Revolution spielen dürfen. Es scheint, als lebten sie in einer Parallelwelt. Stichwort realitätsfern: In Amerika wurde ein verrückter, rechter Clown wiedergewählt und er ernannte seinen guten Freund und Autohändler zum Senior Advisor – der wird es schon wissen. Die beiden schmiedeten jüngst Pläne, um Gaza ethnisch zu säubern und veröffentlichten dafür auf dem Instagram-Account des US-Präsidenten ein KI-generiertes Video von „Trump Gaza”, das in seiner Skurrilität nicht in Worte zu fassen ist. 

Doch wir selbst können uns von der Realität nicht so einfach abwenden. Unabhängig davon, ob es auf der Achterbahn der österreichischen Politik gerade bergab oder bergauf geht, unabhängig von innerlinkem Antisemitismus, deutschnationalen Burschis oder menschenfeindlichen Präsidenten, hören wir ständig israelisches Radio und verfolgen das israelische Fernsehen. Denn inmitten unseres politischen Kampfes stand die Welt kurz still, als die Namen der Geiseln freigegeben wurden, die nach Hause zurückkehren konnten. Unsere Herzen wurden gesprengt, als der schreckliche Zustand, in dem sich die Geiseln befanden, bekannt wurde.

Sich auf dem Weg zur Uni Yarden Bibas Rede auf dem Begräbnis seiner Frau und seiner beiden Söhne anzuhören, ist keine Sache, an die man sich jemals gewöhnen könnte – unvermeidlich ist sie doch Teil unserer Wirklichkeit.

Immanuel Turkof
Für den Vorstand der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen

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