Das Trauma vom 8. Oktober 2023

Das Trauma vom 8. Oktober 2023

Nein – das ist kein Tippfehler. Der genozidale Terror der Hamas fand gewiss am siebten Oktober statt. Der Schock dieses größten Pogroms gegen Jüdinnen und Juden seit der Shoah erschüttert uns alle nach wie vor. Doch ein weiteres Trauma entstand am achten Oktober: Beginnend mit diesem Tag zeigten sich Brüche in solidarischen Allianzen – stabile Bündnisse lösten sich plötzlich in Luft auf. Erhebliche Teile der Linken wandten sich von Antisemitismuskritik und grundlegender Israelsolidarität ab und verkleideten ihren wiederentdeckten Antisemitismus im Deckmäntelchen der „Israelkritik“.

Jahrelang hat die JöH daran gearbeitet, linke Studierenden-Gruppen als Partner:innen im Kampf gegen jeden Antisemitismus zu finden. Seite an Seite stand man gegen Faschismus und Rechtsextremismus auf der Straße, aber auch gegen antisemitische Gruppen, die sich als “links” ausgaben – wie BDS, von der sich wichtige Verbündete wie die ÖH distanzierten. Es war ein Gefühl starker Solidarität, denn wir konnten durch Dialog und konstruktive Diskussionen stabile Partner:innen und Freund:innen gewinnen. Doch am 8. Oktober erwachten wir jäh aus diesem schönen Traum: Gruppe um Gruppe vergaß ihre Solidarität und drehte sich wie ein Fähnchen im Wind in Richtung Antizionismus.

Antisemitische Nothing-Burger und VSStÖ-Schläge

Einen Höhepunkt nahm diese Entwicklung, als uns kürzlich der Verband sozialistischer Student_innen (VSStÖ), die aktuell bei weitem stimmenstärkste ÖH-Fraktion, schriftlich mitgeteilt hat, dass der Verband die JöH hinsichtlich der öffentlichen Zusammenarbeit boykottieren wird. Laut dieser Entscheidung werden keine Veranstaltungen der JöH mehr beworben und die Zusammenarbeit als Ganzes in Frage gestellt. Dies wurde uns ausgerechnet auf die Bitte hin mitgeteilt, eine Diskussionsveranstaltung der JöH mit dem palästinensischen Friedensaktivisten Hamza Howidy an der Universität Wien zu bewerben. Hamza, der aus Gaza City geflohen ist, nachdem er dort von der Hamas mehrfach inhaftiert und gefoltert wurde, setzt sich – wie auch die JöH – für einen differenzierten Diskurs, Frieden und eine gerechte Zweistaatenlösung ein.

Ausgangspunkt war eines der vielen antisemitischen Hasspostings auf dem Instagram-Kanal des “Intifada-Camps”, das 2024 mit Hilfe des iranischen Staatsfernsehens am Campus der Uni Wien errichtet wurde. Dort sind “geleakte” Screenshots von rassistischen Kommentaren zweier Personen aus einer offenen Studierenden-WhatsApp-Gruppe der Jöh mit über 400 Mitgliedern zu sehen. Diese wurden von unserer Moderation in Echtzeit sanktioniert und gelöscht. Zudem wurden diese Inhalte von unseren Mitgliedern im Chat klar zurückgewiesen. 

Diese gegenstandslosen „leaks“ auf der Intifada-Camp Seite wurden mit einem schwer antisemitischen Text versehen, der die Jöh als „genozidales Monster, das unter uns wandert“ und als „ungewählte Lobbygruppe der Zionistischen Entität“ bezeichnet. 

Obschon die sozialistischen Studierenden diesen Lehrbuchfall des Antisemitismus hätten erkennen müssen, zogen sie nicht das Intifada-Camp zur Rechenschaft, sondern die JöH. Da im Uni-Wahlkampf so manche Nachwuchs-Politiker:innen ihren Kopf verlieren, zeigten wir Verständnis und erklärten uns paradoxerweise für das Hassposting der Intifada-Camper in langen, persönlichen Gesprächen. 

Das war dem VSStÖ allerdings nicht genug. Sie forderten von der JöH ein Schuldbekenntnis im Rahmen einer “öffentlichen Aufarbeitung”. Gegenüber der Hetzseite, welche die JöH diffamierte, gab es vom VSStÖ leider keine Forderungen. 

Unerwiderte Liebe 

Warum auch? Wenige Tage vor der ÖH-Wahl 2025 nahm dieselbe Vorsitzende, die uns per Nachricht den Boykott mitteilte, gemeinsam mit weiteren VSSTÖ-Funktionär:innen an einer Demonstration eben jener Intifada-Camp-Gruppe teil, die wiederholt Hasspostings gegen die JöH verbreitete. Zahlreiche Hamas-nahe Akteure nahmen laut Bericht von Der Standard an dieser Demonstration teil, es wurde wiederholt zur Intifada aufgerufen und auf dem Frontbanner des Protestzuges stand die Forderung, Israel “niederzubrennen”. Nachdem bereits die krypto-stalinistischen ÖH-Fraktionen KSV-KJÖ und RKP den Wahlkampf mit Antisemitismus bestritten hatten, stieg schließlich in der Woche der Wahl auch der VSStÖ in den Intifada-Bus ein.

Kurz nach dem Wahlsieg sah sich der VSStÖ der Uni Wien wohl bestätigt und entschuldigte sich für die Mitschuld an der Auflösung des Camps mit einem tränenreichen Instagram-Posting bei den Intifada Campern, wohl um die im Wahlkampf entdeckte “Palästinasolidarität” glaubwürdiger wirken zu lassen.

So viel Opportunismus hat uns dann doch überrascht. Man hat sich jahrelang gemeinsam gegen Antisemitismus engagiert – und plötzlich steht man vor einem Statement der ÖH Uni Wien, in dem das “Intifada-Camp 2024” als „progressiver, emanzipatorischer Protest“ gefeiert wird. 

Die Solidarisierung mit dem selbsternannten Intifada-Camp, bei dem – vor laufenden Kameras des iranischen Staatsfernsehens – Grußworte der Terrororganisation PFLP vorgelesen wurden, die an den Massakern des siebten Oktobers beteiligt waren, ist mehr als ein politischer Fehlgriff. Es ist ein Bruch. Und er reiht sich ein in eine Serie von Enttäuschungen, die zeigen: Immer mehr vermeintliche Allies kehren uns den Rücken. 

Auch der VSSTÖ dürfte enttäuscht sein, denn die frische Liebe für das Intifada-Camp blieb unerwidert: Auf Instagram erklärte das Camp, dass sie die Entschuldigung für eine “heuchlerische Wahlkampfstrategie” halten. Wir stimmen dem vorbehaltlos zu.

Was vereint heute linke, rechte, islamistische und woke Gesinnungen? Der Antisemitismus. Wenn die einstige Klima-Aktivistin Greta Thurnberg für ihre Gaza-Flotilla Lob und Soli-Grüße vom frauenfeindlichen, rechtsextremen Influencer Andrew Tate, wie auch vom rechten Schwurbler Jürgen Elsässer erhält, dann scheint es allmählich an der Zeit, den Antisemitismus zum Weltkulturerbe zu machen. Einen entsprechenden Antrag könnte eventuell die notorische Antisemitin Francesca Albanese bei der UNESCO einbringen.

Wie sieht es also mit der Situation jüdischer Studierender in Wien und Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt nach dem achten Oktober aus? Nun, die Rechten hassen uns traditionell seit immer, die Islamisten und leider inzwischen ein überwiegender Teil der islamischen Weltbevölkerung wohl auch. Weite Teile der Linken schwanken zwischen „Israel-Kritik“ und offenem Antizionismus, wobei dieser der Delegitmierung des Existenzrechts Israels klar als Antisemitismus zu benennen ist. 

Und wie sieht es mit der „Mitte“ aus? Da stimmen viele Menschen dem Alt-Bundespräsidenten Heinz Fischer zu, der propagiert, die Jüdinnen und Juden seien am steigenden Antisemitismus seit dem siebten Oktober selbst schuld – ein geradezu klassisches Argumentationsmuster des Antisemitismus. 

Aber keine Sorge, der Rest mag uns eh noch gerne. 

Lia Guttmann
Für den Vorstand der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen

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