Alex Wertmann – Schauspieler am Schauspielhaus Bochum und Hauptdarsteller im mehrfach ausgezeichneten Film Masel Tov Cocktail über Schauspiel und jüdische Selbstverständlichkeit.
NOODNIK: Wie bist du zum Schauspielern
gekommen und was war dein bisheriger Werdegang?
Alex Wertmann: Zum Schauspiel kam ich, als meine Mutter einen Brief von der jüdischen Gemeinde München erhielt, in dem Leute für die neue Theatergruppe „Lominor” gesucht wurden. Sie schleppte mich hin. Die ersten Male gefielen mir zwar nicht, aber meine Mutter sagte mir, ich solle es noch etwas länger versuchen. Das war ein guter call, denn so habe ich Blut am Theaterspielen geleckt und es gefiel mir immer besser. Irgendwann wurde mir eine Theatergruppe zu wenig. Ich meldete mich daraufhin am Gärtnerplatztheater an und etwas später auch am Residenztheater. Ich spielte also in drei Theatergruppen gleichzeitig, sieben Tage die Woche. Da nahm ich mir vor, das Schauspiel zu meinem Beruf zu machen. Ich wollte Schauspiel studieren und landete in Berlin an der Ernst Busch Hochschule. Als nächstes geht es nach Bochum ans Schauspielhaus, dort bin ich jetzt unter Vertrag. Masel Tov Cocktail war mein erster Film.
N: Was macht dich als Schauspieler aus und was sind deine „Superkräfte”?
AW: Ich bin ein emotionaler Schauspieler. Ich zeige auf der Bühne meine Emotionen und kann mich gut hineinversetzen. Ich habe viel Energie, die ich auf der Bühne einfach loslasse und ich glaube auch, dass ich auf der Bühne lustig sein kann. Humor und gutes Timing, das sind meine „Superkräfte”.
N: Wie betrachtest du dein Judentum?
AW: Als ich elf war, wurde ich im Unterricht nach meinem Bekenntnis gefragt, und ich wusste es nicht. Als ich nachhause kam und meine Mutter fragte, erzählte sie mir, ich sei jüdisch. Damit konnte ich nicht viel anfangen. Es war ein Schimpfwort an der Schule, das ich selbst manchmal benutzte. Es gab kaum Berührungspunkte. Durch das Theaterspielen lernte ich erstmals jüdische Kinder kennen. Mit meiner Bar Mizwa kam ich auch dem Judentum näher. Da fand ich etwas für mich selber, was mir gut gefällt und ich mich gut aufgehoben fühle. Ich war oft in der jüdischen Gemeinde, auch zum Beten. In Berlin fand ich jedoch nicht wirklich meine Gemeinde. Gleichzeitig nahm mich das Studium auch sehr ein. Das Judentum ist dennoch ein großer Teil von mir und ich bin stolz darauf. In der Schule und in der Schauspielwelt hoffe ich, dass es egal ist, dass ich Jude bin. Vor allem möchte ich nicht bevorzugt werden. Negative Erlebnisse hatte ich bisher nicht.
N: Hättest du auf einen antisemitischen Vorfall, wie er in Masel Tov Cocktail vorkommt reagiert wie Dima? Bist du der „aggressive Jude”?
A: Mir wurde mal die Frage gestellt, was der größte Unterschied ist zwischen Dima und mir, wobei es da viele Parallelen gibt. Die meisten Jüdinnen und Juden, die in Deutschland aufwachsen, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Es gab schon Begegnungen, wo mir fast die Faust ausrutschte, aber getraut habe ich mich nie. In so einer Situation ist man erschrocken, man weiß nicht, was man sagen soll. Ich habe mich nie geschlagen in meinem Leben, ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, aber ich bin eher ein ruhiger Mensch.
Eine Figur wie Dima hätte ich gerne in meiner Jugend gehabt. Wenn ich so jemanden mal im Fernsehen gesehen hätte, mal keine Opferfigur, sondern einen, der wirklich dagegen geht, ein Vorbild. Jemand starken mit dem man sich identifizieren kann.
N: was stört dich am meisten am deutschen Verständnis von Judentum? Welche Veränderungen würdest du gerne sehen?
AW: Am meisten stört mich die Exotisierung. Philosemiten, wie die in der Rolle der Lehrerin, die Jüdinnen und Juden verehrt, aber keine Ahnung hat, wovon sie redet. Das Unwissen vom Judentum und wie sehr es vor der Shoah Teil der Gesellschaft war, die Gesellschaft mitgeprägt und mitaufgebaut hat. Dass dieses Interesse und Bewusstsein nicht da ist und Menschen trotzdem vorgeben, unsere besten Freund:innen zu sein.
Antisemitismus gab es schon immer, und vielleicht hat jede:r für sich eine Art gefunden damit umzugehen, ob durch Konfrontation, oder durch weglachen. Aber diejenigen, die Jüdinnen:Juden immer in diese Opferrolle stecken, nerven mich.
Schauen wir nach Amerika. Dort gibt es in jeder Sitcom eine jüdische Figur, die einfach da ist. Jeder weiß es und es ist kein großes Thema, trotzdem haben sie irgendwelche Sprüche, Besonderheiten und eigene Perspektiven. Ich würde mir auch in Deutschland wünschen, dass man uns nicht wie Aliens behandelt. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, das ist vielen kaum bewusst.
Judentum in Deutschland muss Alltag werden.
N: Jüdinnen und Juden sind in Hollywood sehr stark repräsentiert. Siehst du einen Zusammenhang?
AW: Auf jeden Fall. Blickt man auf die Zeit vor der Shoah, wie in Deutschland Theater und Film ausgesehen hat, findet man viele berühmte jüdische Namen. Doch dann wurde ihnen verboten zu spielen und sie mussten fliehen, oder wurden ermordet. Jene, die flohen, kamen nach Amerika und haben dort natürlich Kunst geschaffen. Hollywood wurde unter anderem durch Juden und Jüdinnen aufgebaut. Das hätte auch hier entstehen können, bloß waren diese Menschen nicht mehr da und Deutschland hatte damals ganz andere Probleme.
N: Was möchtest du mit deiner Kunst erreichen? Was motiviert dich?
AW: Ein Teil ist für mich selber, ganz egoistisch. Es macht mir Spaß, auf der Bühne zu stehen, Geschichten zu erzählen, in Rollen hineinzuschlüpfen und meine Energie auszulassen. Ich möchte, dass Leute eine gute Zeit haben, einfach mal kurz den Kopf ausmachen und zusammen etwas erleben können. Ich möchte aber auch wichtige Themen ansprechen und politisches Theater machen, mit den Leuten in einen Diskurs kommen, Sachen ansprechen die nicht so gut laufen und Stimmen hören, die nicht gehört werden.
Besonders am Herzen liegt mir das Thema Umwelt. Es ist immer aktuell. Aber auch unsere politische Entwicklung bereitet mir Sorgen. Diskriminierung ist ein großes Thema. Eine neue Identitätspolitik, die jetzt langsam entsteht. Das finde ich sehr gut und das beschäftigt mich.
N: Was sind deine Pläne für deinen zukünftigen Werdegang? Etwas, was du weitergeben möchtest?
AW: Mein Fokus ist jetzt auf dem Theater. In Bochum möchte ich jetzt erstmal spielen, wirklich Theater machen und auf die nächste Stufe kommen, wie auch immer diese aussieht. Es ist ein schönes Theater, an dem ich proben, üben und wachsen möchte.
Es ist ein harter Job, aber auch einer der schönsten.
Interview: Illya Babkin