„Diese Zerrissenheit ist spürbar“

Ursula Raberger, Mitbegründerin des Wiener LGBTIQ+ Partyprojekts Kibbutz Klub, im Interview über das Queer- und Jüdisch-sein

NOODNIK: Queer und jüdisch sein, wie geht das Hand in Hand?

Ursula Raberger: Wie soll es nicht Hand in Hand gehen? Wenn man beide Identitäten lebt und für sich selbst akzeptiert, was sollte da im Gegensatz zueinander stehen? Aber ja, ich habe leider viele Bekannte und Freund:innen in Israel und hier, die damit sehr strugglen.

N: Was würdest du einer queeren, jüdischen Person raten, die aus einem konservativen Haushalt kommt? An wen kann man sich da wenden? 

UR: Ich würde ein Beratungsgespräch suchen, abseits des religiösen Kontextes. Entweder in der Türkis Rosa Lila Villa oder beim Verein Courage, die auf Psychotherapie für queere Menschen spezialisiert sind. Wichtig wäre auch, dass man private Ansprechpersonen findet. 

N: Was hast du im Zusammenhang mit deinem queeren Aktivismus für Erfahrungen mit der IKG gemacht? 

UR: Als der Kibbutz Klub 2013 das erste Mal stattfand, haben wir uns nicht wirklich Unterstützung erwartet. Wir dachten uns, das passe nicht zusammen, wir sind keine religiöse Veranstaltung. Wir wollen offen sein für alle, die sich dafür interessieren und die Musik abfeiern wollen. Auch als noch nicht geoutete queere Jüdinnen und Juden einen Ort haben, wo man frei sein kann,
abseits der Religion. 

Wir waren dann überrascht, als die IKG uns in den Veranstaltungskalender aufgenommen hat. Die Veranstaltung war so auch für Menschen online zu finden, die jetzt nicht dezidiert queere Veranstaltungen suchen. Es gibt aber innerhalb der Gemeinde trotzdem Leute, die dem nicht so offen gegenüberstehen. 

N: Wie ist es denn als queere jüdische Person in Wien, verglichen mit anderen Städten? Du hast auch in Tel Aviv gewohnt, wie ist denn der internationale Vergleich?

UR: Mit Tel Aviv oder New York können wir da nicht mithalten. In Israel gibt es viele verschiedene Angebote, auch für religiöse queere Menschen. Bei der Tel Aviv-Pride gibt es Party-LKWs von orthodoxen Lesben und Schwulen. Viele dieser Menschen haben wegen ihres offenen Lebensstils in Kauf nehmen müssen, dass sie von ihrer Familie abgeschnitten und verstoßen werden.

In Wien kenne ich viele Menschen, die nicht geoutet sind. Jüdinnen und Juden, teilweise schon 30, sagen: „Nein, ich mache das nicht“. Diese Zerrissenheit ist spürbar.
Es dauert vor allem in den konservativen Gemeinden länger. Die ersten Schritte sind teilweise gemacht, aber es ist schwierig, wenn der Druck von der Familie zu groß ist. 

N: Ich persönlich finde es sehr spannend, dass es im Judentum einerseits streng religiöse und konservative Gemeinden gibt, aber andererseits auch weltweit queere jüdische Gemeinden. Warum gibt es das im Judentum, aber in anderen Weltreligionen kaum bis gar nicht?

UR: Vielleicht hat das mit der Diaspora zu tun. Wir sind so weit verstreut und halten uns nicht zentral in einer konservativen Region auf. Der Umgang mit der Religion und ihr Ausleben sind dann auch überall unterschiedlich – und das ist auch schön so. Es soll ja eine persönliche Entscheidung sein, wie ich damit umgehe.  

N: Du bist ja Mitgründerin des Kibbutz Klubs in Wien, einer queeren Party mit Musik aus Israel, aber auch oft aus arabischen Ländern und dem Balkan. Wenn es Corona wieder erlaubt, wird die beste Party Wiens wieder stattfinden?

UR: Ja! Wir warten nur, bis sich die Situation bessert. Sicherheit und Gesundheit gehen vor. Wir kommen aber auf alle Fälle zurück, darauf kann man sich verlassen. 

Interview: Victoria Borochov