Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler im Gespräch über das Karl-Lueger Denkmal.
NOODNIK: Frau Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, zuerst einmal vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Gleich die erste Frage: Die Karl-Lueger Gedächtniskirche wurde im Jahr 2000, der Karl-Lueger Ring 2013 umbenannt – und der Siegfriedskopf bereits 2002 entmannt. Warum steht denn die Karl-Lueger-Statue noch immer am Ring
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler: Ich bin eine Gegnerin der cancel culture. Wenn wir alles, was diese Stadt an entsetzlichen Zeiten erlebt hat, auslöschen, würden wir auch alle visuellen Stolpersteine aus dem Weg räumen. Ja, Dr. Karl Lueger hat Leistungen erbracht, die man achtet, aber er war Vorreiter des politischen Antisemitismus. Kein aufgeklärter Mensch würde sich heute noch als Antisemit:in bezeichnen. Politisch scheint das längst ad acta gelegt, dennoch kann man in Europa bedauerlicherweise einen Anstieg antisemitischer Vorfälle feststellen. Doch die Frage, wie wir mit den Schandmalen einer Stadt und den historischen, problematischen Figuren, die sie prägen, umgehen, ist eine grundsätzliche. Die Historiker:innenkommission hat 2016 gemeinsam mit dem 1. Bezirk eine kontextualisierende Tafel aufgestellt, welche für unser heutiges Empfinden nicht mehr ausreicht. Wir brauchen stärkere Zeichen. Doch bei Veränderungen dieser Art muss der Bezirk mitmachen, die Anrainer:innen, Magistratsabteilungen, Historiker:innen, die Unis und die jüdischen Hochschüler:innen. Im 14. Gemeindebezirk soll etwa die Dr. Karl-Lueger-Brücke umbenannt werden. Das ist einfach, weil da niemand wohnt und die Meldezettel nicht alle umgeschrieben werden müssen.
N: Wir freuen uns sehr, dass da nun etwas verändert wird und wir in den Prozess eingebunden werden, also beim Round Table. Als Betroffene finden wir es wichtig, dass unsere Stimmen gehört werden. Was sind nun realistische Aussichten für die Umgestaltung des Denkmals und wie lange könnte das denn dauern?
KH: Das kann ich jetzt noch nicht sagen, weil wir erstmal zu einem Round-Table, der alle Positionen miteinschließt, zusammenkommen müssen. Die Erkenntnisse aus dem Round-Table werden die weitere Vorgangsweise der Stadt prägen. Bei einer Entscheidung für eine Kontextualisierung, die über die jetzigen Rahmen hinausgeht, wird man Schritt für Schritt an einer Realisierung arbeiten. All das braucht Zeit.
N: Sie als gewählte Politikerin vertreten ja notwendigerweise eine Mehrheitsgesellschaft. Als Minderheit haben wir das Gefühl, dass das Bewusstsein in dieser Mehrheitsgesellschaft dafür fehlt, was diese Heldenstatue für uns vor dem Hintergrund der Geschichte bedeutet. Was könnten Sie als Kulturstadträtin tun, um die Menschen diesbezüglich zu sensibilisieren und die betroffenen Stimmen hörbar zu machen?
KH: Ich muss dem ersten Punkt widersprechen. Ich empfinde mich mitnichten als Vertreterin der Mehrheit. Ich glaube, dass gute Politik wirklich alle meint. Eine sozialkritische und sozial wache Politik muss sich besonders um den Schutz der Minderheiten kümmern. Darin spiegelt sich das demokratische Gemeinwesen.
Was ich machen kann, ist, auf allen Ebenen, die mir zu Verfügung stehen, den Dialog und das Wissen zu befördern. Wir müssen diese Erinnerung auch deswegen wach halten und ins Bewusstsein rufen, weil sie Konsequenzen tragen muss für unsere Politik heute. Ständiges Wach-Sein heißt, gegen Populismus jeglicher Art, wie er auch von Lueger vertreten wurde, ab ovo anzukämpfen.
N: Ich gehe öfters mit meinem kleinen Bruder in der Stadt spazieren und habe das Gefühl, dass die Mehrheitsgesellschaft nicht nachvollziehen kann wie es für uns ist, unseren Kindern beziehungsweise kleinen Geschwistern erklären zu müssen, warum diese Statue dort steht und was für eine Bedeutung sie hat. Was soll ich ihm sagen?
KH: Ich würde dem Bruder erzählen, warum Lueger verehrt wurde und über die Zeiten, zu welcher diese Verehrung stattgefunden hat, sprechen. Dr. Karl-Lueger hat mit problematischen, hetzerischen Mitteln seine Ziele erreicht. Er kommt aber auch aus einer Zeit, wo der Antisemitismus in Europa immer stärker wurde. Es hat ihn leider immer schon gegeben. Die Geschichte Europas ist ja auch eine Geschichte des Antisemitismus, der Vertreibungen und Verfolgungen.
N: Wir, die JöH, haben eine Kunstinstallation bei der Statue organisiert, mussten uns aber fürchten, als Identitäre und Rechtsextremist:innen auftauchten. Was macht die Stadt Wien dagegen, dass sich Rechtsextreme diesen Ort aneignen?
KH: Jeder Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist eine Sacher der Polizei, die dem Innenministerium untersteht. Bildung im Kampf gegen Extremismus eine zentrale Rolle. Bildung ist der Schlüssel zu allem. Umgang in den Schulen, permanente Aufklärung und dagegen arbeiten, Geschichte zu simplifizieren.
Wir werden in Kürze niemanden mehr haben, der Auschwitz erlebt hat. Es ist eine Frage der Zeit. Wir müssen uns schnell darum bemühen, mit Überlebenden Gespräche zu führen, sie aufzuzeichnen. Auch mit Täter:innen, wenn sie sich zeigen würden.
N: Wien ist seit Jahrzehnten mehrheitlich rot. Die SPÖ und ihre Funktionär:innen wurden im christlich-sozialen Austrofaschismus verboten und verfolgt. Was hat die sozialdemokratische Partei in der Vergangenheit daran gehindert, dieses Denkmal umzugestalten?
KH: Was die SPÖ gehindert hat, ist ein zunehmend historisch-kritisches Bewusstsein. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Nachkriegsösterreich leider im Versuch, Eigenständigkeit zu erlangen, viele Chancen vertan hat. Etwa, Geschichte zu einer Zeit aufzuarbeiten, als Zeitzeug:innen noch lebten. Dieses Bewusstsein ist bizarrerweise erst sehr stark durch die Kultur gekommen. Der Film “Murer – Anatomie eines Prozesses” etwa zeigt, wie demütigend die Opfer behandelt wurden und wie lange die Restitution gebraucht hat. Erst mit Vranitzky (Anm. ehemaliger österreichischer Bundeskanzler), der das stark propagiert hat, kann man davon sprechen, dass wir uns nachholend mit den Kapiteln dieser Geschichte befassen.
N: NOODNIK bedeutet “Nervensäge” oder “Frechdachs” auf Jiddisch. Daher wollen wir Ihnen abschließend noch eine freche Frage stellen: Was ist Ihre persönliche Meinung zum Denkmal?
Oder anders gefragt: Hätten Sie morgen die Möglichkeit, ohne Rücksicht auf negative Auswirkungen, den Platz und das Denkmal umzugestalten, wie würde das aussehen?
KH: In diesem Gedankenexperiment würde ich das Denkmal auf 1,5 Meter schrumpfen. Ich will, dass er noch da ist und meine Kinder mich fragen, wer das ist. Ich möchte sagen: Das war mal jemand hoch geachteter, aber auch mit einer schreckliche Schattenseite. Das Schrumpfen eines Denkmals auf menschliche Größe, würde einen unglaublichen Effekt erzielen. Das hat auch Humor.
Interview: Illya Babkin und
Victoria Borochov