A Jewish survival guide for Christmas

Der Survivalguide, von dem ihr nie wusstet, dass ihr ihn gebraucht hättet. Von Leuten, die definitiv nicht qualifiziert sind, ihn zu verfassen.

Wer kennt es nicht? Die Innenstadt ist erneut aus den Höhen der Internationalen Raumstation sichtbar, täglich wird man von irgendwelchen Leuten aus der Oberstufe, mit denen man seit gefühlt dreißig Jahren nicht mehr geredet hat, zum Punsch eingeladen, an jeder Ecke beschwert sich ein Österreicher, dass der Weihnachtsmann nicht zu unserer Kultur gehört. In den Einkaufszentren spielt es die Art von Musik, die der KGB wahrscheinlich für Verhöre verwenden würde, und obendrein fühlt man sich wie ein kaputter Plattenspieler, wenn man alle paar Tage die Channukah Geschichte erzählen muss und erklärt, dass man “wirklich kein Weihnachten feiere”. Alle Jahre wieder beginnt unter säkularen Jüdinnen und Juden ein linguistischer Kulturkampf: Heißt es jetzt Channukah oder Hannukah (ja, es gibt eine richtige Antwort #KeepTheChet). Während wir uns über die Schreibweise unserer jährlichen Latkes-Völlerei herumstreiten und verzweifelt versuchen, Kerzen zu finden, die in unsere Channukiah passen, beruhigt uns ein Gedanke: Die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft ist in einem ärgeren Ausnahmezustand als wir. 

Leider schwappt dieser Balagan, öfter als es uns lieb ist, auf uns über. Und man muss sich fragen: “Welchen Kircheneintritt hab ich unterschrieben??”. Doch fürchtet euch nicht, denn hier kommt Aris und Chris‘ “Jewish survival guide for Christmas”. Was uns qualifiziert? Die letzten 22 Jahre in Jane Goodall-esquen Ausmaßen unter den Einheimischen gelebt, ihre Kultur kennengelernt und Abwehrmechanismen entwickelt zu haben. Außerdem steckt Chris in Christmas. Darum fühlen wir uns bestimmt, berechtigt und berufen, euch unsere Tipps mitzugeben, und werden ganz sicher nicht dafür haften, sollten diese nicht funktionieren. TW meine lieben non-Jews: Es wird böse.

Erster Advent; Strategie: Denial.

Wie für Chris mit dem Gedanken, dass Geschichte doch wirklich ein Studium ist, mit dem man in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft Erfolg haben kann, und für Ari mit der Überzeugung, dass traumatische Erfahrungen irgendwann vergehen, wenn man nur lange genug nicht daran denkt, ist auch in der Zeit des ersten Advents Verdrängen die angebrachte Strategie. Wir sind in dieser Phase mitten in der Channukah-Zeit. Latkes werden gebrutzelt, Gefilte Fisch verschmäht und man googelt gerade, wer denn die Makkabäer wirklich waren. Die Chancen stehen gut, dass achttägiger Alkoholkonsum die Weihnachtsbeleuchtung wie ein Licht am Ende des Tunnels erscheinen lässt. Wenn man auf Weihnachten angesprochen wird, lallt man am besten so etwas wie: “Was? Das ist schon wieder, oida?” oder “Kenn ich nicht, grad ist Channukah”. Letzteres ist für die Waghalsigeren unter euch, die schon lange nicht mehr den Nervenkitzel eines Hatecrimes erfahren durften. Verdrängt. Auf dass es euch nicht tangiert!

Zweiter Advent; Strategie: Anger.

Channukah ist vorbei und so folgt auch die Er-/Ausnüchterung. Die Verdrängung funktioniert nicht mehr. Es wird Zeit zu hassen. Wir sind immerhin in Österreich. Assimilation? Geglückt.

Jetzt sudern und belächeln wir. Wut auf nichtjüdische Freund:innen, die glauben, der Geist der Weihnacht rettet ihre dysfunktionalen Familien, Wut auf Lebkuchen in Menschenform, Wut auf die Tatsache, dass Bäume sinnlos abgeholzt werden (Denkt doch einer mal an das Klima!!!1elf). Hass ist Katharsis. Hass beflügelt einen so sehr wie das damische Christkind. Wir brauchen kein Red Bull. Alte Krapfen und abgestandener Hafner reichen aus, um sich mal wieder ordentlich in Rage gegenüber allem und jedem zu versetzen, der/die auch nur im entferntesten über Weihnachten faselt. Nutzt es aus, lasst das Feuer brennen, vielleicht gute Motivation mal wieder Sport zu machen (siehe Horrorskop?).

Dritter Advent; Strategie: Bargaining.

Hass ist anstrengend. Behaupten zumindest unsere Therapeut:innen. Daher empfiehlt es sich, nach so einer Hasstirade hinzunehmen, was man nicht ändern kann. Das Positive muss auch beleuchtet werden: Schnäppchen sind geil. Wir sind auch nur Studierende. Und jedem und jeder, der/die gerade an etwas anderes gedacht hat, unterstellen wir Antisemitismus. Bitte meldet euch selbst bei der IKG Meldestelle.

Nach der  eintausendsten Nachricht: “Hawara, geh ma Punsch?”, kann man nachgeben wie ein pawlowscher Hund, konditioniert auf den Geruch von gutem Eierlikörpunsch. Das ist sehr sympathisch an Weihnachtsfeiernden: Saufen für das Jesuskind. Wir saufen halt für Königin Esther. G’hupft wie g’hatscht, kulturelle Parallelen sind wichtig für den Dialog (auch Schmusen kann ein Dialog sein, vor allem weil Punsch nach dem dritten Glas wie Manischewitz schmeckt). Gönnt euch, lasst es eure Mütter nicht wissen.

Anmerkung: Die Depression Stage können wir als Millennials/Zoomers auslassen. Hallo? Wer hat diese Phase denn nicht das ganze Jahr über, weil Spätkapitalismus?

Weihnachtsabend; Strategie: Acceptance.

Entweder war es ein weiser Gelehrter, oder Chris nach dem sechsten Vodka Energy, der sagte: “Wer zu saufen angefangen hat, kann auch weitermachen”. In diesem Sinne empfiehlt es sich, in den “Durchschalt-Modus” zu gehen und es einfach hinzunehmen. Schaut euch die Filme im Fernsehen an, fragt euch, warum sich in romantischen Storylines nicht die ganze Familie einmischt, versucht herauszufinden, ob das Donald Trump Kameo aus “Kevin allein in New York” jetzt wirklich gestrichen wurde und wundert euch wie John McClane sich in diesem Lüftungsschacht fortbewegt hat (Anmerkung, Chris: ich check die Reference auch nicht; Antwort, Ari: Bilde dich).

Dies ist unser Geschenk an euch. Wir wissen, wir empfehlen des öfteren Alkoholkonsum, doch Radler tut‘s auch (falls ihr unter 18 seid: Eure Eltern verstecken das gute Zeug ganz oben). Bei Risiken und Nebenwirkungen fragt ihr ganz sicher nicht uns. Ihr könnt nicht diesen Text zu Ende gelesen haben und wirklich glauben, dass wir Kontrolle über unser Leben, geschweige denn das Leben anderer, haben. Darum lautet die Devise: Es ist Weihnachten, schauts wie ihr zurecht kommt. Peace out und L’chaim ihr Weihnachtskobolde (Anmerkung, Ari: Sind das nicht Wichteln?; Antwort, Chris: Keine Ahnung, Bruder).

Ariel Simulevski & Chris Steinberger