Fanpost an die JöH

Fanpost an die JöH

Liebe alle,

wir bekommen unendlich viel Fanpost von unseren Groupies, die uns mit Liebe regelrecht überschütten. Andererseits bekommen wir auch einige besonders durchdachte, gut formulierte Kritik, die uns schwer trifft und uns beinahe dazu bringt, unsere gesamte politische Identität über Bord zu werfen und einfach ÖVP zu wählen. Aber auch nur beinahe. Auf einen ganz besonderen Brief möchte ich heute eingehen.

Eine gewisse Hannelore, selbsternannte Bürgerin Wiens (sie betont dies ganz stolz), hat sich bei uns gemeldet, um ihren Frust über unsere Kritik am Lueger-Denkmal abzulassen. Sie versucht zu erklären, dass Luegers vermeintlicher Antisemitismus überproportional schlimm dargestellt wird.

„Seine antijüdische Rhetorik war nicht rassistisch, sondern propagandistisch und religiös motiviert.“

Sehr interessant, Hannelore. Ist Judenhass deiner Meinung nach weniger schlimm, wenn er auf religiösen Motiven basiert? Wenn jemand sagt, es sei ihm egal, ob man Juden erschieße oder erhänge, ist dies verständlicher, wenn er es sagt, nur um Propaganda zu betreiben? Ich glaube, du verstehst den Punkt.

„Wollte man nun das Lueger-Denkmal entfernen oder den Platz umbenennen, (…) müssten zahlreiche Benennungen und Denkmäler in Wien (…) ausgemerzt werden.“

Du hast es erfasst! Du verstehst also, was wir meinen. In der Tat finden wir, dass Herrschende oder Politiker:innen, die zu einer hetzerischen, hasserfüllten und später genozidalen Gesellschaft beigetragen haben, für diese Leistung nicht geehrt werden sollten (auch wenn uns Wiener Hochquellwasser gut schmeckt).

„Es ist absolut verständlich, dass Sie und andere unter dem (…) weitergegebenen Shoa-Trauma leiden. Doch halten Sie es für sinnvoll und zielführend, (…) nicht jüdischen Nachgeborenen die Erbsünde des Holocaust aufzudrücken, und sie (…) in Geiselhaft zu nehmen? Damit beschreiten Sie den gleichen Weg, den Christen genommen haben, die den Juden die Kreuzigung des Herrn vorwarfen.“

So eine Aussage erstaunt mich immer wieder. Das ist schon fast Parodie. Lustig ist es aber eher im makabren Sinn.

Erstmal, danke für dein Verständnis für unser Trauma. Zweitens, ich verstehe nicht, warum Leute diese Schuldzuweisung der Erbsünde so gerne auf sich projizieren. Nun gut, Österreicher:innen spielen die Opferrolle ja bekanntlich gut. Mal abgesehen von dieser absurden Selbstbemitleidung, der Vorwurf – um es klar auszudrücken – ist die Verharmlosung eines Antisemiten und den Folgen, die seine Politik mit sich gebracht hat. Dafür ist dein Brief ein Paradebeispiel. Außerdem wäre an dem Vorwurf, den du da aus der Luft greifst, immer noch mehr dran als am Vorwurf des Verrats an Jesus.

„Sollte man nicht eher darauf vertrauen, dass in unserem heutigen Staat gegen jeden wieder aufflammenden Antisemitismus strafrechtlich vorgegangen wird? Ich halte dies für den besseren Weg, als die Vergangenheit immer wieder aufzugreifen. Wir leben ja in der Gegenwart, die uns alle genügend Probleme vorlegt.“

Ich weiß nicht, in welchem Land du die letzten Jahre gelebt hast. Von Neonazis am Ring über zu offener Wiederbetätigung auf der Lände bis zu Shoa-verharmlosenden Aussagen des FPÖ-Klubobmanns. Was genau wurde davon strafrechtlich verfolgt? Hast du die Anzeige gegen Kickl unterstützt? Wenn nicht, erfüllst du, liebe Hannelore, nicht einmal selbst deine eigenen, lächerlich niedrigen Standards. Du setzt die Messlatte so tief, dass man darüber stolpern könnte, und weder du noch der Rechtsstaat schaffen es, darüber zu springen.

Liebe Hannelore, Briefe wie deiner und Menschen wie du sind der Beweis dafür, dass der Bildungsauftrag dieses Landes missglückt ist und ebenfalls dafür, dass wir unseren Aktivismus weiterführen müssen. Danke für die Bestätigung – ich dachte schon, wir machen das umsonst.

Mit freundlichen Grüßen,

dein NOODNIK (ebenfalls stolzer Bürger Wiens)

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