Sexuelle Befreiung? Für alle bitte
In der letzten Ausgabe des NOODNIKS wurde ein Artikel gedruckt, der für viel Diskussionsstoff sorgte und von einigen als reaktionär empfunden wurde. Darum hier: ein Plädoyer für einen Diskurs über Sexarbeit, der alle mit einschließt.
Ein Artikel wie „Sexuelle Befreiung Jetzt!“ löst in all jenen, die sich mit dieser Debatte auseinandersetzen, keine große Verwunderung aus. Das ist ein Disput, der sich seit Jahren durch feministische und linke Kreise zieht. Der „Queerfeminismus“ und der „materialistische Feminismus“ liegen in ewigem Streit miteinander und erheben beide den Anspruch auf Deutungshoheit. Für alle, die sich hier nicht ganz so gut auskennen, einmal heruntergebrochen: Der materialistische Feminismus sieht als Schuld an der Unterdrückung der Frau primär das biologische Geschlecht und die kapitalistischen Verhältnisse. Dazu habt ihr aber schon in der letzten Ausgabe mehr lesen können. Der Queerfeminismus sieht die Verantwortlichen in hegemonialer Männlichkeit, in einer auf das Biologische fixierten Gesellschaft, die Heteronormativität propagiert und alle bestraft, die dieser entweichen und sich ihr widersetzen. Unter Heteronormativität wird verstanden, dass es eine gesellschaftliche Norm ist, und alle hetero und cisgeschlechtlich (das Gegenteil von trans – cis Personen fühlen sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht wohl) sind. Wer dieser Norm nicht folgt, bekommt dafür gesellschaftliche Bestrafung, sei es Maßregelung, Verachtung oder Marginalisierung. Nach queerfeministischen Überzeugungen wird weibliche und queere Sexualität durch den Mann kontrolliert und reglementiert. Da ist auch der materialistische Feminismus d’accord damit. Bei der Frage „Und wos dua ma da jetzt dagegen?“ scheiden sich die Geister.
Am Ende streiten wir uns doch
Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen. Beide Strömungen haben ihre blinden Flecken und können bis dato keine holistische Antwort auf diese Frage geben. Ich stimme dem letzten Artikel zu, dass es Frauen gibt, die keinen Konsens geben können. Die aufgrund ihrer Marginalisierung und kapitalistischer Ausbeutung zur Prostitution gezwungen sind. Ja, Frauen, die zwangsprostituiert werden, werden sexueller Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Ja, dagegen muss vorgegangen werden. Es gibt aber auch eine andere Seite, auch wenn sie weniger sichtbar ist, auch wenn sie prozentuell kleiner ist. Es gibt Personen, die freiwillig der Sexarbeit nachgehen. Auch ihnen muss zugehört werden und auch ihre Anliegen sind legitim. Auch sie verdienen Schutz und Arbeitsrechte. So viel muss sich ausgehen.
Ich benutze den Begriff Sexarbeit und Prostitution abwechselnd. Prostitution für die Frauen (cis und trans Frauen, keine cross dresser), die dazu gezwungen werden. Sexarbeit für Personen, die sich aktiv dazu entscheiden. Die Terminologie von Prostitution und Prostituierten verleitet dazu, dass Betroffene oft als hilflos und nicht handlungsfähig angesehen werden. Wenn Personen sich aber zusammentun, Gewerkschaften bilden, ihre Stimmen erheben, so wie es seit den 1980er Jahren in Form der Hurenbewegung stattfindet, so wie es in Wien jetzt Red Edition als Organisation von und für Sexarbeiter:innen und ihre Rechte, gibt – diesen Personen abzusprechen, dass ihre Arbeit geschützt werden muss, ist paternalistisch. Es ist paternalistisch, zu sagen, dass alle diese Personen Opfer sind. Es ist anti-feministisch, ihnen zu unterstellen, sie würden das Patriarchat reproduzieren. Wir müssen für einen Feminismus kämpfen, in dem alle über ihre eigenen Körper und ihre Sexualität selbst bestimmen können. Ich für meinen Teil dachte nämlich immer, dass es uns darum geht.
Was ist jetzt eigentlich das Problem?
Die Meinung im Artikel der letzten Ausgabe hat teilweise ihre Berechtigung. Teilweise hat der Text aber blinde Flecken. Anschuldigungen an die Linke, gehüllt in schwere Worte. Und er ist, mit Verlaub, fernab jeder politischen und sozialen Realität. Die Autorinnen sind sogenannte Abolitionistinnen. Sie setzen sich dafür ein, dass käuflicher Sex komplett abgeschafft wird. Die Lösungen sind fragwürdig und realpolitisch nicht umsetzbar. Das bedeutet nicht, dass man nicht den Utopien frönen soll. Doch ist dies keine Lösung eines Problems, das echte Menschen betrifft, die im Hier und Jetzt leben.
Materialistische Feminist:innen setzen sich oft dafür ein, dass käuflicher Sex kriminalisiert wird. Nur die Freier, nicht die Frauen selbst. Dies klänge nach einer guten Lösung, würde dieses Gesetz nicht schon in Schweden gelten und dort immer wieder scheitern. Freier bleiben Freier. Nur dass sie wegen strafrechtlicher Bedrohung in aller Heimlichkeit agieren müssen. Dadurch werden auch die Frauen gezwungen, Freier an abgelegenen, nicht kontrollierbaren Orten zu treffen. Denn wenn Prostitution unter Zwang ausgeübt wird, dann wird kein Gesetz dies verhindern. Es macht es nur um einiges schwieriger, dass Frauen geschützt werden und ihre Stimme erheben können. Wo keine offiziellen Freier, dort keine Prostitution. Und wem ist damit wirklich geholfen? Nicht den Sexarbeiter:innen, nicht den Prostituierten. Das Stigma bleibt. Und es tötet. Wie wir immer wieder sehen. Legale Sexarbeit ermöglicht legale Wege, sich Hilfe zu suchen. Seit dem Verbot von käuflichem Sex in Schweden wurden nur drei Freiheitsstrafen ausgesprochen. Beim Rest wurden nur Bußstrafen verhängt. So kritisieren auch Sozialwissenschaftler:innen und Menschenrechtsorganisationen, dass das Verbot dazu führe, dass viele Sexarbeiter:innen von der Polizei schikaniert werden würden, sowie Zugang zu medizinischer und sozialer Hilfe nicht gewährleistet wird. Ebenso kann die Gleichbehandlung vor Gericht nicht garantiert werden.
Das muss sich ausgehen. Ein Feminismus, der für Frauen, die zwangsprostituiert werden, einsteht und dagegen kämpft. Ein Feminismus, der es Menschen möglich macht, der Sexarbeit legal nachzugehen. Ein Feminismus, der sich darum kümmert, dass beide Gruppen die Möglichkeit haben, Schutz und Hilfe zu bekommen. Ein Feminismus, der erkennt, dass es vor allem migrantische Personen sind, die zwangsprostituiert werden. Ein Feminismus, der einsieht, dass trans Frauen überproportional oft zur Prostitution gezwungen werden. Ein Feminismus, der all das sieht und dagegen aufbegehrt. Ein Feminismus, der nicht in Grabenkämpfen untergeht. Ein Feminismus für die sexuelle Emanzipation von allen.
Lior Saltiel