Tochterkomplex und anderer frauenfeindlicher Müll

Tochterkomplex und anderer frauenfeindlicher Müll

Als junge jüdische Aktivistin finde ich mich oft in einem aufgezwungenen Abhängigkeitsverhältnis zwischen mir selbst und jenen wieder, auf die ich als Bündnispartner:innen im Kampf gegen Antisemitismus angewiesen bin. So wie das Patriarchat es will, sind jene Personen meist einflussreiche, ältere Männer. Übergriffige Dynamiken sind aufgrund dieser Angewiesenheit besonders schwer zu bekämpfen. Ein kleiner Einblick in ein Phänomen, das ich „Tochterkomplex“ nenne und ein unerwünschter Begleiter meiner Amtszeit war.

Hände schütteln und lächeln

„Ihr wisst aber schon, warum die JöH so erfolgreich ist? Weil ihr alle so fesche Frauen seid!“ Diese Aussage richtete ein älterer Mann letztes Jahr auf einer politischen Veranstaltung an drei JöH-Aktivistinnen und mich und wir wussten alle nicht so recht, wie wir darauf antworten sollten. Aber eigentlich hatte er doch recht, nicht? Eigentlich sollten wir unendlich dankbar sein, dass unsere Kompetenz, unsere Arbeit und unsere Erfolge ständig auf unser (zum Glück gutes!) Aussehen reduziert werden.

Als junge Aktivistin, die außerdem jüdisch ist, verstehst du schnell, dass du dich stets in ein Abhängigkeitsverhältnis mit denjenigen begibst, auf deren Zusammenarbeit du angewiesen bist – ob Politiker:innen, größere Organisationen oder ganze Universitäten. Dies gilt vor allem dann, wenn du als junge Person und Teil einer Minderheit versuchst, etwas zu verändern.

Eine der Hauptaufgaben der JöH ist es, sowohl ständig Verbündete im Kampf gegen den Antisemitismus zu suchen, als auch die Beziehung mit jenen, die uns bereits unterstützen, aufrechtzuerhalten und zu stärken. Wir gehen auf Konferenzen, sitzen in unzähligen Meetings und führen lächelnd Gespräche mit wichtigen Personen. Am Ende schütteln wir freundlich die Hände, tauschen Kontakte aus und hoffen, dass sie verstanden haben, dass der Antisemitismus ein Problem ist, das die JöH nicht allein lösen kann.

So wie es das Patriarchat will, sitzen auf diesen wichtigen und einflussreichen Posten meist ältere Männer. Diese älteren Männer sind für uns wichtig, da sie Zugang zu anderen, noch älteren Männern haben, die noch wichtiger und noch einflussreicher und daher umso wichtiger für den Kampf gegen Antisemitismus sind. Um des Zieles Willen ist es daher essenziell, diese gute Beziehung aufrechtzuerhalten – selbst dann, wenn das ungleiche Machtverhältnis oft missbraucht wird. Obwohl sich der Umgang bisher beidseitig meist sehr professionell gestaltet hat, gab es zu viele Fälle, von denen dies nicht behauptet werden kann. Denn es zieht sich eine Reihe von Ereignissen und Begegnungen durch meine Amtszeit, die körperlich oder verbal übergriffig waren und absolut nicht als professionell eingestuft werden können.

Tochterkomplex statt Daddy-Issues

In Beziehungen zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen (oder generell zwischen Männern und Frauen) herrscht oft eine herablassende und verniedlichende Dynamik, in der Männer einen, so wie ich ihn nenne, Tochterkomplex entwickeln (denkt ihr, Freud wäre stolz?). Das, was ich hier als Tochterkomplex bezeichne, beschreibt das hierarchische, herablassende und vor allem übergriffige (Vater-)Verhalten von älteren Männern gegenüber jüngeren Frauen – ein sexualisierter Paternalismus. Oft wird diese Dynamik als Daddy-Issues oder Daddy-Komplex der jungen Frauen verklärt, was eine eindeutige sexuelle Konnotation hat und auf eine Vater-Kind-Konstellation zurückgreift. Damit wird aber meist das Verhalten von Frauen beschrieben, welches implizit ausdrückt, dass die Tochter die Schuld für die Handlungen ihres Vaters trägt. Dieser Begriff bildet interessanterweise trotzdem ein klares Eingeständnis eines gesellschaftlichen Problems, nämlich der oft gescheiterten Beziehungen zwischen Vätern und ihren Töchtern beziehungsweise ihren Kindern, wobei bei der Verwendung des Wortes Daddy-Issues in Bezug auf Söhne die sexuelle Konnotation natürlich wegfällt. Anders als bei ihnen wird für Töchter behauptet, sie wären selbst Schuld, denn es hat sie „sexuell geschädigt” und dafür sind sie natürlich selbst verantwortlich (es ist aber trotzdem irgendwie hot oder so).

Magst du auf meinem Schoß sitzen?

Das mit dem Begriff Tochterkomplex beschriebene Verhalten ist inhärent sexistisch, da es Frauen und ihre Arbeit entwertet und sie auf charmante Art zu Minderjährigen herabstuft. Das ist natürlich praktisch, denn Kinder sind süß, Kinder muss man nicht ernst nehmen und vor allem können Kinder nie eine ernsthafte Konkurrenz darstellen. Kinder müssen gehorchen, über Kinder hat man Macht, und dies durch ein gewisses Verhalten auszudrücken macht Spaß und festigt diese Macht zugleich.

Diese latente Form von Sexismus, aber auch andere frauenfeindliche Dynamiken, sind mir während meiner Zeit in der JöH oft begegnet. Unangenehme, viel zu lange Umarmungen, verbale Verniedlichungen meiner Person wie beispielsweise, dass ich regelmäßig „Sashilein” genannt werde, als wäre ich sieben Jahre alt und hätte um ein Eis gebeten. Erst drei Wochen ist es her, dass ich gefragt wurde, ob ich mich denn nicht auf den Schoß setzen möchte. Das Belächeln deiner Arbeit ist als junge Frau in der Öffentlichkeit ein ständiger Begleiter. Hinzu kommt die bereits beschriebene Abhängigkeit als jüdische Aktivistin. Wir müssen uns ständig mit allen gut stellen und können uns keine Feinde leisten, vor allem nicht, wenn sie etwas zu sagen haben. Diese Realität macht es noch schwerer als es ohnehin schon ist, sich gegen übergriffiges Verhalten von Männern zu wehren. Denn es ist schädlich für die Arbeit der JöH, nicht gemocht zu werden, weil dort „die Frauen ja so empfindlich sind“ oder „keinen Spaß verstehen“. Es fällt mir sogar schwer, diesen Artikel zu verfassen, weil ein Teil von mir ein schlechtes Gewissen verspürt und das Gefühl hat, ich könnte der JöH damit schaden. Auch wenn das vielleicht sogar stimmen mag, ist es nicht weniger wichtig, darüber zu sprechen. Teil der JöH zu sein bedeutet nämlich auch, seine Erfahrungen zu teilen und einen Ort zu haben, an dem diese gehört werden. Es bedeutet, sich zusammenzuschließen und eine Plattform zu haben, um über Themen zu sprechen, die sonst keinen Raum bekommen. In diesem Sinne, liebe Männer, ich bin nicht eure Tochter und habe kein Interesse, es irgendwann zu werden.

Sashi Turkof

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