Die Shoah im Film – Zwischen Kunst, Kommerz und Geschichte

Die Shoah im Film – Zwischen Kunst, Kommerz und Geschichte

Die Darstellung im Film kann sowohl eine gefährliche Waffe als auch ein emotionales Werkzeug sein. Gerade bei einem Thema wie der Shoah, welches einen immensen gesellschaftspolitischen Wert hat, ist die Art und Weise der Darstellung eine unerlässliche Überlegung.

Es gibt kein Gesetz, das besagt, was in der Kunst möglich ist und was nicht. Die Qualität eines Werkes liegt immer in den Augen des:der jeweiligen Betrachters:Betrachterin. Trotzdem sollte man sich als Betrachter:in eines Kunstwerks immer die Frage stellen: Was genau sehe ich da? Was wird mir hier präsentiert, und was macht es mit mir?

Denn gerade im Film, einer noch sehr jungen Kunstform, gibt es viel Potential – Potential um neue Perspektiven, Bewusstsein und Diskurse zu schaffen, aber auch Potential um Stereotype, Propaganda und Vorurteile an ein Mainstreampublikum zu vermitteln. Darin liegt die Gefahr, denn Film ist nun mal auch ein Werkzeug, dass zur Waffe gemacht werden kann. Die Nationalsozialist:innen wussten dies, und nutzten die ausdrucksstarke und kinetische Bildsprache von Riefenstahl, Harlan und anderen Regisseur:innen unter der Aufsicht Goebbels zu ihrem Zwecke, um rassistische und antisemitische Inhalte beliebt zu machen und die Nazis noch mächtiger und übermenschlicher aussehen zu lassen. Film ist eine Kunstform, die eine enorme emotionale Wirkung hat, da sie so viele verschiedene Methoden verwendet, um uns zu manipulieren.

Film ist Manipulation der Extraklasse. Wenn wir uns einen Film ansehen, gehen wir mit dem Film einen Pakt ein: Wir wollen manipuliert werden, aber am besten so, dass wir es nicht merken. Gute Filme, jedenfalls die, die ich gerne sehe, schaffen das. Schlechte Filme hingegen schaffen es nicht, die Zuschauenden auf die Reise mitzunehmen, weswegen man schnell auf die manipulativen Tricks aufmerksam wird. Ah, jetzt kommt die traurig gestimmte Violine – ach, jetzt wird dieser Charakter gleich sterben und alle werden weinen- ach, hier kommt der Moment, wo sich alle versöhnen, um das perfekte Happy End zu bilden.

Die meisten Filme sind einschätzbar. Gerade Filme, die versuchen ein Thema aus dem echten Leben darzustellen, stellen sich oft selbst ein Bein. Die Shoah ist ein Thema, welches sich Hollywood über die Jahre hinweg gerne für die verschiedensten Sujets angeeignet hat. Denn Themen und Geschehnisse, die die Welt verändert haben, besitzen  bereits großes Potential, das Publikum leicht zu überzeugen, da die Tragödien unserer Realität eine unmittelbare Assoziation herstellen. Diese Assoziation ist ein Weckruf, eine Erinnerung, wie schrecklich unsere Welt sein kann. Aber niemand will mit so einem Gefühl aus dem Kino gehen, deswegen sucht man sich die „wahren Begebnisse“ so heraus, dass es am Ende doch noch einen Hoffnungsschimmer gibt. Ja, die Welt ist scheisse, aber hey, es könnte schlimmer sein!

Das ist die Hürde aller Filme, die Eskapismus und Unterhaltung für den Mainstream sind , und trotzdem etwas Geschichtliches und Politisches erzählen wollen. Das Ergebnis ist oft eine in sich geschlossene kreative Diskrepanz. Wie sehr sollen unsere geschichtlichen Tragödien als Unterhaltung dienen? Sollten sie das überhaupt? Aber Kunst liegt doch im Auge des/der Betrachters:Betrachterin?

Eine Antwort?

Die habe ich nicht. In dieser Debatte gibt es für mich kein Richtig und kein Falsch. Ein Film muss in erster Linie als Film funktionieren und darf sich deswegen bis zu einem gewissen Grad kreative und künstlerische Freiheiten erlauben. Gleichzeitig tragen die Filmemacher:innen eine Verantwortung gegenüber dem Publikum. Sie, als Hauptmanipulator:innen, müssen sich dessen bewusst sein, dass das Publikum in der aktiven Seherfahrung, einzig und allein dem Film Aufmerksamkeit schenkt  – alles, was auf der Leinwand stattfindet, wird akzeptiert. Die filmische Realität wird im Moment des Sehens zur Wirklichkeit und macht für Eindrücke empfänglich und naiv..

Viele historische Filme wurden gerade deswegen von Kritiker:innen scharf beurteilt, da sie Ereignisse nahmen, die einen ernsthaften Einfluss auf unsere Welt hatten, und zu fiktiven Unterhaltungs-Spektakeln renderten. Berühmte Beispiele sind Braveheart, Pearl Harbor oder Birth of a Nation. Auch der Shoah-Film ist zum eigenen Genre geworden, durch das Hollywood sich die Lorbeeren ernten konnte. Auch hier gibt es verschiedene Meinungen, wie mit dem Thema umgegangen werden soll.

An dieser Stelle muss man auf die individuellen Beispiele eingehen und sich eingestehen, dass sogar die Spielfilme, die eigentlich filmische Meisterwerke sind, sich anhand mehrerer Faktoren als problematisch erweisen.

Schindlers Liste

Steven Spielberg erlangte weltweiten Ruhm und Erfolg Jahre bevor er Schindlers Liste überhaupt ins Kino brachte. Jedoch markierte der Film eine Wende in seiner Karriere. Davor inszenierte er hauptsächlich leichtes und massentaugliches Pop-Kino mit einigen Versuchen im Drama-Genre. Mit Schindlers Liste kombinierte er den harschen Realismus eines Arthouse-Dramas, mit den melodramatischen Zügen einer Hollywood-Fantasie. Spielberg zeigte hier den puren Horror, den das jüdische Volk durchmachen musste. Er nimmt uns, das Publikum, und steckt uns in die Schuhe der Opfer. Als Zuschauer:in ist man hier machtlos. Die Bilder sind in Schwarz Weiß, um der Welt eine Abstraktion zu geben. Sie erinnern uns an die Aufnahmen verschiedener Kriegsbilder. Wenn Farbe vorkommt, wie in der Szene des berühmten Mädchen in der roten Jacke, dann um eine symbolische Bedeutung zu erfüllen. Hoffnung, Liebe, Menschlichkeit, die jüdische Kultur- all das kann man in dem Mädchen mit der roten Jacke lesen.

Diese stilistischen Merkmale sind jedoch auch Teil der Problematik: der Ästhetisierung der Shoah. Man nimmt eine echte Tragödie, und macht daraus eine mit emotionaler Musik und ausgedachten Bildern, reißerische Tour de Force- durch den Zug, durch die Inspektion, durch die Dusche. Filmemacher Michael Haneke und Terry Gilliam bemängelten gerade diese Spannungsmomente. Sie meinen, ein Film über den Holocaust sollte keine kalkulierten Emotionen hervorrufen. So wie der Spannungsbogen, der in der Duschszene in Auschwitz aufgebaut wird: Kommt jetzt das Wasser, oder doch das Gas?

Die Geschichte Schindlers im Film sei schlussendlich eine „Erfolgsstory“, ein Film über einen Sieger- doch im Holocaust gab es keine Sieger. Der Holocaust ist eine Geschichte des Verlierens. Wie Kubrick selbst sagte: “The Holocaust is about Sixmillion people who get killed. Schindler‘s List is about six hundred  who don‘t.“. Trotz der Überspitzung (es waren nämlich um die 1200) ist das auf jeden Fall berechtigte Kritik, jedoch kann man Spielbergs Methodik auch (zurecht) loben, denn im Endeffekt hatte er einen fundamentalen Effekt auf die Zuschauer:innen. Für viele ist es ein sehr intensives emotionales Erlebnis, das eine augenöffnende Wirkung hat. Natürlich könnte man dem Film seine manipulativen Tricks entreißen- die Musik, den Pathos und die ästhetisierte  Kameraarbeit von Janusz Kaminski, aber hätte der Film dann auch so ein großes Publikum angezogen? Wenn Spielberg es schafft, mit diesen Techniken sein Publikum zu erreichen und dadurch indirekt Aufklärungsarbeit betreibt, so soll diese Form der inszenierten Geschichte auf jeden Fall berechtigt sein. Exploitativ wäre es genau dann, wenn Spielbergs Film keine Wahrheit in sich tragen würde, wenn es ein Film ohne Aussage wäre, der sich die Shoah nur aus Prestige angeeignet hätte.

Shoah & Night and Fog

Auf der anderen Seite des Spektrums haben wir Filme wie Shoah von Claude Lanzmann oder Night and Fog von Alain Resnais. Beide Filme sind dokumentarische Arbeiten, die sich mit der Verarbeitung des Holocausts beschäftigen. Shoah besteht zur Gänze aus Interviews mit Überlebenden und Mittätern und versucht ein Bild der Geschehnisse zu kreieren. Dabei bleibt der Film eher objektiv, obwohl die Intention des Films eindeutig ist: So etwas darf nie wieder passieren. Jede:r die:der mitgemacht hat, egal ob sie/er “bloß Befehle ausgeführt hat“, hat ihren:seinen Teil dazu beigetragen. Lanzmanns Film ist eine 9-stündige Reise in den menschlichen Abgrund. Hier gibt es kein Pathos und keine Gewinner:innen, die am Ende als Retter dastehen.

Der Fokus liegt auf den Individuen. Auf Zeitzeug:innen, die ihre Wahrheiten aussprechen und daher ein authentisches, echtes Bild wiedergeben. Spielberg widmet sich den Bildern direkt. Wenn er uns verstümmelte Körper, Kopfschüsse und Jüdinnen und Juden die wie Vieh behandelt werden, zeigt, dann, um uns die Vorstellung wegzunehmen. Er artikuliert direkt und visuell.

Resnais Film Night and Fog ist ähnlich in Spielbergs Duktus, denn auch Resnais zeigt die schrecklichen Bilder offen und direkt, mit dem einzigen großen Unterschied, dass die Bilder in Resnais Kurzdokumentation echt sind. Im Voiceover hören wir über den Aufstieg des Nationalsozialismus, der mit Aufnahmen der leeren Konzentrationslager und Archivaufnahmen der Befreiung verbunden ist. Auch hier könnte man meinen, dass die Form, die sich Resnais aneignet, moralische Fragen aufwirft. Die exploitative Natur ist unausweichlich, denn auch wenn man Auschwitz besucht, wird man mit Bildern, Objekten und Geschichten der Opfer konfrontiert. Zurecht, denn nur so kann man wirklich den:der Besucher:in klarmachen, wieso man alles tun muss, damit sich so ein Ereignis nie wieder wiederholt. Man muss die Person direkt konfrontieren, denn viele Menschen glauben es erst, wenn sie es mit beiden Augen sehen.

Fazit

Sowohl Schindlers Liste als auch Shoah und Night and Fog sind Filme, die nicht nur filmgeschichtlich eine enorme Wichtigkeit mit sich tragen, sondern auch  für junge Generationen, die keine Zeitzeug:innen mehr erleben werden, unglaublich wichtige Zeitdokumente, die über die NS-Zeit aufklären können. Gerade jetzt, wo Antisemitismus und Holocaust Verleugnung es durch Celebrities wie Kanye West wieder in den Mainstream geschafft haben, können diese Filme mithilfe  ihrer individuellen Inszenierungsweisen dieses junge Publikum vom Gegenteil überzeugen. Night and Fog ist mit einer Laufzeit von 30 Minuten der perfekte Einstieg für einen kompakten, aufschlussreichen Einblick in die Konzentrationslager Auschwitz und Majdanek. Schindlers Liste ist eine dramatisierte Erzählung, wo die Hoffnung im Vordergrund steht und Empathie durch geteiltes Leid erzeugt wird.  Shoah hingegen erfordert mehr Fokus und Aufmerksamkeit. Mit 9-Stunden ist das wahrscheinlich die wichtigste und kompakteste Dokumentation über die Shoah, die es derzeit gibt. Durch die direkte Konfrontation mit den Zeug:innen ist es mit einer unbestreitbaren geschichtlichen Relevanz verbunden, die uns für immer erhalten bleiben wird.

Daniel Morawitz

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