Engel in Amerika und das Kunst-Theater

Engel in Amerika und das Kunst-Theater

Das österreichische Theater hat eine neue Vorliebe: Jüdische Figuren in Theaterstücken jüdischer Dramatiker zu verunglimpfen. Letztlich soll eine Versöhnung inszeniert werden, die es gar nicht geben kann. 

Schwarz gekleidete Menschen finden sich in einem Raum zusammen. In der Mitte offenbart sich ein kühler, lebloser Körper, dessen einstiger Besitzer den Anwesenden zumindest im Entferntesten bekannt war. Die Versammlung der (noch) Lebenden ist eingetroffen, um eine Person zu verabschieden, die sich gar nicht mehr verabschieden lässt. Wem beim Lesen dieser einleitenden Passage unmittelbar das Bild einer Beerdigung vorschwebt – Gratulation!, oder vielleicht besser: Beileid! – je nachdem. In wessen Vorstellung man dieser Beerdigung gleichermaßen das Adjektiv “jüdisch” vorhängen könnte, war in letzter Zeit vermutlich Zuschauer:in im Akademietheater. Das Stück Engel in Amerika, ursprünglich von dem jüdischen Dramatiker Tony Kushner verfasst, thematisiert auf komplexe Art und Weise den gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität und AIDS in den USA der 1980er Jahre. Knapp dreißig Jahre nach der Uraufführung reinszeniert der amerikanische Regisseur Daniel Kramer nun für ein österreichisches Publikum den ersten Teil des Stücks.

Orthodoxe (und) Hamas-Anwärter

Wie bereits angedeutet, wird die Handlung mit der Beerdigung der Großmutter des jüdischen Protagonisten Louis Ironson eingeleitet. Die anwesende Kongregation ist hierbei vollständig in Schwarz gekleidet. Es mag kleinlich erscheinen, anzumerken, dass gemäß jüdischem Brauch explizit nicht die Farbe Schwarz als Ausdruck von Trauer getragen wird. Ein:e kritische:r Zuschauer:in könnte an dieser Stelle jedoch durchaus das Gefühl überkommen, dass für die Regie das Zeichnen eines authentischen Bilds von Jüdinnen und Juden nur von zweitrangiger Bedeutung war. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Figur des orthodoxen Rabbiners, der die Beerdigung leitet, mit gebrochenem Deutsch und quasi-jiddischem Akzent zu philosophieren beginnt – als hätte man ihn aus einem Shtetl des 18. Jahrhunderts ohne Umwege direkt in das Akademietheater eingeflogen. Diese überzeichnete und klischeehafte Darstellung scheint dem Publikum sichtlich zu gefallen – mit Humor schmeckt die Mittäterschaft anscheinend besser. Vielleicht sind auch die Geschmacksnerven bereits abgestorben? Wie könnte man stattdessen eine jüdisch-orthodoxe Figur darstellen? Vielleicht nicht wie eine antisemitische Karikatur als Live-Action-Version. Vielleicht sollte man es auch einfach bleiben lassen. Außerdem scheinen sich Verkleidungen mit Hut und Schläfenlocken hauptsächlich bei Hamas-Anwärtern zu verkaufen, die versuchen, nichtsahnende Zivilist:innen in ein Auto zu locken. Man könnte also sagen, die stereotype Nachahmung orthodoxer Jüdinnen und Juden ist ein bisschen vorbelastet.

Antisemitismus ist lustig

Trotzdem ist die darauffolgende Handlung des Stücks sehr vielschichtig. Anhand einer ausgiebigen Symbolik und Metaphorik wird auf eine intelligente Art und Weise die wichtige Geschichte von Stigmatisierung und Homophobie, vor allem aber die Lebensrealität homosexueller Menschen während der AIDS-Krise erzählt. So erkrankt auch Prior Walter, Louis´ Lebenspartner, an dem Virus. Als sich Priors Zustand fortlaufend verschlechtert, wird es für dessen jüdischen Freund Louis zunehmend schwieriger, mit diesem Umstand zurechtzukommen. In der Folge wendet er sich von dem im Sterben liegenden Prior ab und versucht, sich vor seinem Umfeld mit allerlei Erklärungen und Ausreden zu rechtfertigen. Ein gemeinsamer Freund, Krankenpfleger und Ex-Drag-Queen Belize, kümmert sich derweil um Prior und leistet im Gespräch mit Louis Widerstand gegen dessen Rationalisierungen. Soweit so gut. In einem der Gespräche beginnt Louis jedoch aus heiterem Himmel zu monologisieren, dass Rassismus in den USA kein wirkliches Problem mehr darstelle. Dies ist im Kontext des Theaterstücks so zusammenhangslos wie es der letzte Satz vermuten lässt. Belize, selbstverständlich schockiert, weist auf fortwährende materialistische Ungleichheiten hin, verzichtet jedoch nicht auf die Behauptung, alle Textilfabriken in England seien ”in jüdischer Hand”. “Das ist antisemitisch!” wehrt sich Louis vehement –  schallendes Gelächter füllt das Akademietheater: Der dezent-rassistische Jude verkriecht sich in einen (gerechtfertigten) Antisemitismusvorwurf, als er einen “Geschmack seiner eigenen Medizin” bekommt. Ähnlich wie in der Neuauflage des Theaterstücks Die Ärztin, hält also erneut eine jüdische Figur als ignorantes Bündel gesellschaftlicher Rassismen her. Vermutlich ist ein:e Durchschnittsösterreicher:in hierfür nicht abstrakt genug. Es braucht den Fingerzeig auf eine Minderheit, bestenfalls eine, bei der die eigene Schuld die meiste Entlastung erfordert.

Das Kunst-Theater

In seiner Streitschrift Desintegriert Euch! schreibt der deutsche Publizist Max Czollek vom “Gedächtnistheater”: Die jüdische Minderheit wird in eine Rolle gedrängt, in der sie das Selbstbild der deutschen Mehrheit schützen soll. So erfüllen Jüdinnen und Juden in ritualisierten Gedenkinszinierungen die Rolle der Versöhnten, um den Nachkommen der Täter:innen zu bestätigen, dass “alles wieder gut” sei. Die “Wiedergutmachung” der Shoah, wenngleich sie niemals wirklich zu erreichen war, ist nicht nur nicht erreicht worden – sie ist kläglich gescheitert: Burschenschafter tanzen unter massivem Polizeischutz in der Hofburg, die FPÖ bildet die stärkste Partei, Straßennamen und Denkmäler bleiben nach Antisemit:innen benannt und die Republik Österreich errichtet erst 80 Jahre nach der Shoah ein nationales Denkmal – Rechtschreibfehler inklusive. Analog zum Gedächtnistheater könnte man bei den Inszenierungen Engel in Amerika und Die Ärztin von einem Kunst-Theater sprechen. Da Gelegenheiten, sich der eigenen Schuld zu entlasten, aus gegebenem Anlass rar bleiben, ergötzt sich das deutschsprachige Publikum an jeder Möglichkeit die “Kunstfreiheit” zu diesem Zweck zu nutzen: Louis als ignoranter Jude mit rassistischen Tendenzen und dessen ins Lächerliche gezogene Antisemitismusvorwurf wird von den Zuschauer:innen gefeiert. So wird die Schuld an strukturellem Rassismus, der Shoah und dem blühenden Antisemitismus durch die Verunglimpfung einer jüdischen Hauptfigur relativiert. Der Humor fungiert dabei als zusätzliches Medium des Kunst-Theaters: Es sollte nicht verwundern, dass die österreichische Komikerin Lisa Eckhart ihre Zuschauer:innen begeistert, wenn sie von “dem Humor der Juden spricht”, der “den Frauen zwei Nasenlängen voraus” sei. Man sehnt sich nach der Zeit, in der man endlich wieder über jüdische Menschen lachen kann – die Zeit nach der Täterschaft. Ein Genozid lässt sich jedoch nicht einfach versöhnen. Zum Glück lässt sich Versöhnung nachspielen, vorausgesetzt die Hamas hat das Regal für antisemitische Verkleidungen noch nicht leergekauft. 

Alon Ishay

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s