Aktivismus – Ganz ohne Antisemitismus

Aktivismus – Ganz ohne Antisemitismus

Warum wir als jüdische Aktivist:innen für universelle Menschenrechte kämpfen sollten

In Chinas Provinz Xinjiang werden zwischen 1,8 und 3 Millionen Uigur:innen und andere Turkvölker in Konzentrationslagern gefangen gehalten, während sie einer erbarmungslosen, industrialisierten Kampagne der Gehirnwäsche, Folter und Entmenschlichung ausgesetzt sind. Dabei kommt es zur Sterilisierung und Vergewaltigung von Frauen. Gefangene werden gefoltert und medizinischen Experimenten unterzogen. Es handelt sich um die größte Internierung von religiösen und ethnischen Minderheiten seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Vorgehen der chinesischen Regierung ist ein moderner Völkermord.

Mittlerweile erfahren die Menschenrechtsverbrechen des chinesischen Regimes weltweit Aufmerksamkeit, es gibt erste Sanktionen und Konsequenzen. Eine der vielen Stimmen, die dazu beigetragen hat – die erste jüdische Stimme zu diesem Thema – war die Never Again. Right Now-Kampagne (NARN). Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss junger, vor allem jüdischer Menschen in Europa, die auf den Genozid an den Uigur:innen aufmerksam machen. Gegründet wurde NARN am 30. Jänner 2020, getragen vom Gedanken, dass wir – als junge Juden und Jüdinnen, als Nachkommen von Überlebenden von Genozid und Vertreibung – eine besondere Verantwortung, aber auch eine besondere Stimme haben. Zu den gewählten Aktivitäten zählen Webinare, politischer Lobbyismus, Onlineund Flyerkampagnen sowie zahlreiche globale Aktionen, unter anderem das Ausrollen der 30 Artikel der Menschenrechtskonvention vor 30 chinesischen Botschaften weltweit und ein alternativer Fackellauf in acht europäischen Städten im Vorfeld der Olympischen Spiele.

Was wir dabei lernten und an dieser Stelle mit euch teilen wollen, lässt sich unter drei Punkten zusammenfassen:

  1. Präsent sein in nicht-jüdischen Räumen, sensibilisiert für jüdische Belange. Die Anti-KPC-Koalition vereint in sich ein Spektrum politischer Hintergründe, sodass auch die Kritikpunkte – also jene, die uns in einen Diskurs zwangen und andere womöglich zur Beendigung von Zusammenarbeiten gebracht hätten – divers waren. Während es natürlich klare Grenzen gibt, ist es doch möglich, Menschen, die sonst keine natürlichen Partner für jüdische Organisationen wären, zum Umdenken, Nachdenken und zur Sensibilisierung zu bewegen, auch weil wir einen gemeinsamen, sehr mächtigen Gegner hatten – die chinesische Regierung.
  2. Jüdische Stimme nutzen

    Unsere anfängliche These, man würde Jüdinnen und Juden zuhören, wenn sie über Genozid reden, ging nur teilweise auf, doch unser Standing und die Anwesenheit in bestimmten Runden erleichterte es politischen Akteur:innen, die Verbrechen an den Uigur:innen als das zu beschreiben, was sie tatsächlich sind: ein Genozid. Ganz konkret sprechen wir von der engen Zusammenarbeit zwischen World Uyghur Congress, der belgisch jüdischen Studierendenunion UEJB und belgischen Parlamentarier:innen. Und unser Engagement brachte die großen jüdischen Organisationen in Großbritannien und den USA auf den Plan – Länder, deren Parlamente mittlerweile die schärfsten Worte und Taten gegen die Kommunistische Partei Chinas (KPC) finden.
  3. Desintegration der klassischen Fremdbilder

    Juden und Jüdinnen wird im ritualisierten Gedenken an die Shoa meist die Opferrolle zugeschrieben. Der Versuch, die Erinnerung würdig aufrecht zu erhalten und gleichzeitig nicht auf diese Opferrolle reduziert zu werden, gelingt häufig nicht. Für das Narrativ der NARN-Kampagne nahmen wir die zugeschriebene Rolle an und leiteten aus ihr die Anklage ab. Indem wir das WER nicht ausdiskutierten, lenkten wir den Fokus auf das WAS. Statt zu Genozidopfern wurden wir so zu Genozidexpert:innen. Statt selbstfixierter Juden und Jüdinnen wurden wir als Personen wahrgenommen, die ihre eigene Geschichte zum Wohle der Allgemeinheit nutzen.

BINI GUTTMANN UND MISCHA USHAKOV

Hinterlasse einen Kommentar