Progressive Denkmalpolitik – ein Widerspruch oder dringend notwendig?
Heute befinde ich mich im Goldenen Papagei, mit Eduard Freudmann und Barbara Staudinger. Ich freue mich sehr auf dieses Gespräch, auch darüber, dass wir vielleicht einen kleinen Rückblick schaffen, vielleicht perspektivisch denken. Im November hat ein Kolloquium zum Thema der “Karl-Lueger-Statue” stattgefunden. Zahlreiche Expert:innen aus Kunst, Architektur und Geschichte waren anwesend, auch Politiker:innen wie die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Staudinger und Freudmann waren beide am Kolloquium und haben auf Podien gesprochen. Ich frage sie, wie sie das Kolloquium für das Fortkommen der Lueger-Debatte bewerten würden.
Barbara Staudinger: Es war notwendig politisch zu zeigen, dass es viele Stakeholder gibt, die Interesse an einer Veränderung haben. Das war vielleicht das Wichtigste.
Eduard Freudmann: Das Kolloquium hat viel an Klarheit gebracht. Man merkt sonst oft, dass politische Interessen fachlicher Expertise überlagern. Vor allem in der öffentlichen Debatte. Und das war an dem Tag nicht so. Vielleicht mit wenigen Ausnahmen, als zum Beispiel Kulturstadträtin Kaup-Hasler im Schlusspanel einen Beschluss präsentiert hat, den sie schon davor per Presseaussendung rausgeschickt hatte. Das war einer der Momente, wo die Stadtpolitik durchgeschaut hat. Aber selbst sie, die stadtpolitische Akteurin, hat trotzdem den ganzen Tag sehr aufmerksam und teilhabend verbracht. Das fand ich auffällig und gut. An dem Tag lag der Fokus klar auf dem fachlichen Interesse.
BS: Wenn du von politischen und fachlichen Interessen sprichst, finden wir im politischen Diskurs oft diese Rechtfertigungsdebatten, die mich wahnsinnig machen. Dieses „Aber er hat doch so viel gemacht für die Stadt“ und das muss man aufwiegen. Wir wissen alle, wie gefährlich das ist.
EF: Das ist auch der Grund, warum wir uns bei dieser Debatte im Kreis drehen. Die Wiener Stadtpolitik hat große Probleme damit progressive Denkmalpolitik zu betreiben. Seit Jahrzehnten schon. Und ihre Starrheit ist ein Ausdruck dessen.
BS: Wobei die Kombination “progressive Denkmalpolitik” schon lustig ist. Was ist an einem Denkmal progressiv? Die Idee der Denkmäler stammt aus dem 19. Jahrhundert. “Ich stelle da etwas hin, also ein Denkmal und dann ist es ist ewig da.” Ich weiß nicht, was das mit progressiver Politik zu tun hat. Insofern ist es ein Widerspruch in sich. Das ist recht lustig. So eine Art zu denken ist ein Konzept in einer Stadt, die man erst um 1900 geplant hat. Als man die Ringstraße erbaute, hat man Sachen verteilt und gedacht “das bleibt so”.
Genauso wie wir immer wieder unser Wohnzimmer verändern, verändert sich Stadt. Irgendwann müssen wir uns überlegen, wie wir damit umgehen. Ich würde mir wünschen, dass man den Gedanken “wir machen eine Kontextualisierung, die bleibt für immer” aufgibt. Dass das praktisch ein Denkmal zum Denkmal wird. Wenn Umgestaltung, dann wieder für immer. Spannender wäre ein prozessualer Charakter, weil sich Geschichtsbilder ja auch wandeln.
EF: Es ist schade, dass die Stadt Wien die Möglichkeit nicht ergreift, international Spannendes zu tun. Mit der Intention zu sagen “wir wollen uns proaktiv mit weiteren Denkmälern auseinandersetzen!”. Das wäre eine große Chance. Das Kolloquium zeigte, dass es für die Politik Zeit wäre, einen Schritt weiterzugehen und sich zu überlegen, wie ein zeitgenössischer Umgang mit Denkmälern aussehen könnte. Ich persönlich finde, wir sollten uns davon verabschieden, Denkmäler als etwas Sakrosanktes zu betrachten. Stattdessen sollte man Denkmäler zu einem Ort der Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern machen, welche sich stetig verändern, ganz im Sinne des Prozesshaften das du angesprochen hast. Denkmäler repräsentieren ja nicht Geschichte, sondern Geschichtsbilder, und diese sind einem Wandel unterlegen. Wichtig in der Debatte rund ums Luegerdenkmal sind auch die Graffiti, die am Sockel angebracht sind. Die funktionieren seit eineinhalb Jahren super. Es ist wichtig, sie als das zu begreifen, was sie sind, eine künstlerische Umgestaltung des Denkmals, die mittlerweile schon fast eine Art Permanenz angenommen hat.
BS: Das ist eine spannende Frage: “Wie lange muss ein Graffiti bleiben, bis es Teil des Denkmalschutzes wird?” Mit diesen Fragen sollte sich der Denkmalschutz im 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Es wäre eine Chance für die Politik zu sagen “Wir machen etwas proaktiv – nicht reaktiv”. Schauen wir mal.
INTERVIEW: SASHI TURKOF