Brücken statt Mauern

Brücken statt Mauern

Eine mögliche Anleitung zu jüdisch-muslimischem Dialog

Kennt ihr diesen Flow-Zustand, in dem man das Gefühl hat, dass alles möglich ist? Wenn man so eingetaucht ist in einer Tätigkeit, dass man alles um sich herum vergisst? Ich hatte solch einen Schlüsselmoment. Ich weiß nicht, ob Frieden ein Gefühl sein kann, aber wenn ja, dann war ich dem so nah wie noch nie in meinem Leben. Bevor ihr euch jetzt ausmalt, auf was für einem Trip ich da war, kontextualisiere ich diese Situation einmal.

Sit in the discomfort

Wir befinden uns auf Dialogperspektiven, einem interreligiösen Seminar in Potsdam, und haben uns für eine Session in Gruppen aufgeteilt. Wir sollen persönliche Erinnerungsobjekte vorstellen, die unsere Identität geprägt haben. Ich setzte mich mit einem jüdischen Freund und einigen Muslim:innen und Christ:innen aus Syrien und dem Libanon zusammen, die wir gerade einmal zwei Tage kannten. Und so teilten wir der Reihe nach schöne Kindheitserinnerungen, traumatische Erfahrungen, Trauer, Wut und Geschichten über Flucht und Krieg. Auch über Kriege, in denen Israel involviert war. Ich kenne sie sehr gut, ich bin mit ihnen groß geworden. Doch diese Geschichte war anders. Sie erzählte von Familienmitgliedern eines Teilnehmers aus dem Libanon, die er im Krieg gegen Israel verlor, besser gesagt sie wurden durch eine israelische Bombe getötet. Dass es diese Seite der Geschichte gibt, war mir selbstverständlich bewusst, nur war sie plötzlich so lebendig, so nah sie bekam ein Gesicht. Diese Konversation ist hier stark heruntergebrochen, es war ein sehr emotionales Gespräch und es äußerten sich Verzweiflung, Empörung, Niedergeschlagenheit, aber an keinem einzigen Zeitpunkt zeigte sich Hass. Im Gegenteil.

So wie mir ging vielen anderen ein Licht auf. Wir müssen keine Lösungen finden, keine Friedensverträge schreiben. Wir sollten reden. Und das über die Punkte, die am meisten weh tun. An denen kommen wir nicht vorbei. Denn wenn wir sie totschweigen, geben wir uns unsere eigenen Antworten und sprechen nicht mehr miteinander, sondern übereinander. Und wenn wir reden, heißt es auch automatisch, dass wir dem Schmerz, der Wut, der Trauer der anderen zuhören müssen.

Diese Rechnung klingt simpel – ich möchte auch nicht behaupten, dass ich jetzt eine revolutionäre Erkenntnis aufgestellt habe – aber wie einfach es auch klingt, die Praxis ist komplex. Muslim:innen und Jüdinnen und Juden zu einem Dialog zu bringen, der auf einer respektvollen Ebene stattfindet und trotzdem auch die “Tabus” thematisiert, bedarf einer bedachten Vorgehensweise und hoher Sensibilität.

Dialog beginnt bei Selbstreflexion

Doch kann hier überhaupt die Rede sein von zwei Gemeinschaften, die sich begegnen? Wenn wir innerhalb der jüdischen Community keine homogene Gruppe sind, was bedeutet das dann für unseren Dialog, in dem wir zwangsweise anscheinend als Teil der einen oder anderen Religion auftreten? Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass jüdisch-muslimischer Dialog keine ausschließlich interreligiöse Begegnung ist, sondern zwischen Individuen stattfindet und eine intersektionale Dimension haben muss. Die Religionszugehörigkeit, die übrigens ebenfalls für jede:n Einzelne:n auf einem Spektrum von Glaube bis Politik alles bedeuten kann, ist für viele nur ein Teil einer hybriden Identität und koexistiert mit vielschichtigen weiteren Identitätsanteilen.

Wie es auch im persönlichen Leben so ist, bringt das Aufeinandertreffen mit anderen Individuen oft eine Spiegelung von sich hervor und schafft viel Platz für Selbstreflexion, wenn man offen dafür ist, die Punkte, die einen bei anderen triggern, bei sich selber aufzuarbeiten.

In dieser Hinsicht lassen sich Parallelen zu jüdischmuslimischen Begegnungen ziehen. Damit sie zielführend sind, müssen wir, und ich spreche jetzt mal aus jüdischer Perspektive, fähig sein, selbstkritisch über antimuslimischen Rassismus innerhalb unseren Communities zu sprechen. Ich rede hier nicht über Rassismus, welcher sich durch Gewaltbereitschaft äußert, sondern über jenen, der latent und oft auch unbewusst in Form von Vorurteilen und Generalisierungen in Bezug auf muslimische Menschen auftaucht.

Wie aufgeklärt und weltoffen ich mich selbst auch

wahrnehmen mag, ist es wichtig anzuerkennen, dass mich meine Sozialisation durch mein Zuhause und die jüdische Community geprägt hat und mir ungewollt Vorurteile und Stereotype vermittelt hat. Zu behaupten, man sei vorurteilsfrei, bringt uns nicht weiter. Viel mehr sollten wir uns unserer Vorannahmen bewusst werden, denn das ist der erste Schritt, um ihnen entgegenzutreten und sie aufzubrechen.

Nice in Theory – doch wie sieht die Praxis aus?

Um all diesen abstrakten Ideen Leben zu geben, startet die JöH dieses Semester ein gemeinsames Projekt mit der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ), in dem wir jüdische und muslimische Studierende zusammenbringen.

Es soll ein Ort geschaffen werden, an dem wir uns austauschen, Gemeinsamkeiten finden und Unterschiede feiern, Konfliktstellen suchen und aufarbeiten. Wir möchten unser Miteinander auf einer gesellschaftspolitischen Ebene mitgestalten und die gegenseitige Solidarität stärken. Als zwei Minderheiten in einer christlichen Mehrheitsgesellschaft werden auf uns viele politische Interessen projiziert, vor allem, wenn es um den Nahostkonflikt geht. Doch wir müssen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, wir können dem entgegentreten, ohne uns gegenseitig Ideologien vorzuspielen, die uns als vermeintlich widersprüchlich verkauft und auferlegt werden. Den Nahostkonflikt aus unserem Dialog auszuklammern, ist jedoch nicht die Lösung: Dafür ist er zu offensichtlich – bei manchen mehr, bei manchen weniger – Teil ihrer Identität. Vielleicht ist es das Produktivste, was wir als zivile Gesellschaft tun können, die menschliche Dimension des Konflikts kennenzulernen und zunächst einmal dem Schmerz des Gegenübers zuzuhören, ohne ihn sofort rechtfertigen und rational erklären zu wollen.

Vor allem wollen wir aber einen Raum schaffen, in dem wir einander unsere jeweiligen Lebensrealitäten zugänglich machen. Der Begegnungsort dafür soll das wirkliche Leben sein, so authentisch und offen wie möglich, in dem das Individuum im Vordergrund steht und an erster Stelle sich selber und nicht das Judentum oder den Islam repräsentiert.

Kurz gefasst: Wir wollen einen Safe Space kreieren. Doch damit wir Veränderung außerhalb unserer Bubble erzielen können, ist es unabdingbar, dass wir diesen Safe Space auch ab und zu verlassen und unsere Gedanken und Erfahrungen in die Mitte der Gesellschaft und unsere Communities bringen.

SOPHIE ORENTLIKHER

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