Lasho Drom und Shalom!

Lasho Drom und Shalom!

Zwischen Jahadut und Romanipe

Gadže. So nennen Romnja und Roma Menschen, die nicht ihrer Volksgruppe angehören. Jüdinnen und Juden sind von diesem Begriff allerdings ausgenommen. Die enge Verbundenheit war es wohl, die Rom:nja dazu veranlasste, für Jüdinnen und Juden ein neues Wort zu finden: Bibolde – jene, die sich nicht abwenden.

Für manche sind es Gemeinsamkeiten in Reinheitsgeboten oder Traditionen. Für andere ihr ähnliches Aussehen oder Analogien in der Musik. Manche führen es auf die gemeinsame Verfolgungsgeschichte und den Holocaust zurück. Eines aber ist klar: Jüdinnen und Juden, Romnja und Roma leben in Europa seit Jahrhunderten Seite an Seite, Tür an Tür. Die ungarische Volkszählung 2011 ergab, dass jüdische Rom:nja zahlenmäßig direkt auf jüdische Ungar:innen folgen. Ehen zwischen Jahadut und Romanipe sind in Mitteleuropa keine Seltenheit. In meiner Familie ist das nicht anders.

Mazel tov und sastipe

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten sich im ehemaligen jüdischen Ghetto in Budapest sowohl die Überlebenden aus den Reihen der Jüdinnen und Juden als auch jene der Romnja und Roma angesiedelt. In der Nachkriegszeit lebte so auch ein Großteil meiner Familie dort, zwischen der Königsgasse und der Tabakstraße im 7. Bezirk, wo aus Nachbarskindern nicht selten Liebespaare wurden. Jene Jüdinnen und Juden in meiner Familie, die nicht in Auschwitz ermordet wurden, entschlossen, als Resultat der Schoa, nicht mehr jüdisch sein zu wollen. Und so kam es, dass man auf ihren Hochzeiten plötzlich keinen Klezmer mehr spielte, sondern die Musik der Rom:nja. Eine Musik, die ohnehin seit Jahrhunderten im engen Zusammenspiel mit jüdischen Melodien geschmiedet wurde. Sie zeigt, dass die Gemeinsamkeiten weit hinter die Zeilen der Notenblätter führen.

Ich bin in einer Rom:nja-Familie aufgewachsen. Als einziges Erbe jener Jüdinnen und Juden, die es in der Familie meiner Mutter einst gegeben hatte, war lediglich mein Vorname geblieben. Schon meine Urgroßeltern zündeten Freitagabends keine Kerzen mehr. Shabbes feierte ich zum ersten Mal in Krakau. Allerdings nicht mit meiner Familie, sondern mit jüdischen Aktivist:innen. Mit einer Delegation der EUJS (European Union of Jewish Students), die sich bei der Gedenkveranstaltung Dikh He Na Bister – Look And Don’t Forget eintausend jungen Rom:nja aus ganz Europa anschloss und am 70. Jahrestag der sogenannten Z/geunernacht von Auschwitz an die Opfer des Porajmos erinnerte.

Mein erstes Shabbesfest war also viel mehr als ein Ritual oder ein Gebet. Es zeigte mir die Notwendigkeit der Solidarität zwischen diesen beiden Communities, die seit Generationen zwischen europäischem Antisemitismus und Antiziganismus leben müssen und dabei auch unermüdlich um ihre Jahadut und ihre Romanipe kämpfen. Verbundenheit, Symbiosen und Zusammenhalt zwischen Rom:nja und Bibolde sind keine Erfindung meiner Generation. Unsere Geschichten existieren nebeneinander seit vielen Jahrhunderten und werden wohl noch lange Zeit bestehen bleiben. Unabhängig davon, ob wir sie von links nach rechts oder von rechts nach links schreiben werden.

SAMUEL MAGO

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