Hannah Arendt jenseits der Banalität

Hannah Arendt jenseits der Banalität

Eine Sammlung von Eindrücken

Hannah Arendt steht in einem Satz selten alleine, sie teilt ihn sich meist ungewollt mit Bezeichnungen wie politische Theoretikerin oder Antisemitin. Die zwei Extreme sollen unabhängig voneinander die Polarität der Meinungen zu Arendt repräsentieren. Sie war eine unter vielen, die 1940 die Flucht ergreifen und ein Leben im Exil aufbauen mussten. In der Zeitgeschichte repräsentiert ihr Leben den inneren Konflikt in der Entscheidung zwischen Assimilation und Ausgrenzung, die sie als Jüdin unerlässlich treffen musste. Fern von ihrem Namen als Gesprächsthema oder Streitpunkt, war Hannah Arendts Leben ihr Werk. Man könnte sie nicht besser beschreiben, als in der Widerspiegelung ihrer Arbeiten.

1906 beginnt ihr Leben in Hannover, dort sammelt sie die ersten Eindrücke, den Wortklang der Sprache. In all ihren Wortspielen und Sprichwörtern sind Sprachen Bausteine der Denkweise, ein unbeabsichtigtes Erbgut, das Temperament, kulturelle Auffassung und Identität prägt. Arendts einzige Muttersprache ist Deutsch. Sie wächst in einer säkularen jüdischen Familie auf und liest mit vierzehn Jahren Jaspers und Kant. Naheliegend war das Studium der Philosophie. Als Kind war sie standfest und vorlaut, sie nahm, nach einem Streit mit ihrem Lehrer, die Suspendierung aus der Schule in Kauf.

1929 beendet sie das Studium mit der Dissertation „Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin in der Romantik.“

In der Biografie untersucht Arendt im Leben der jüdischen Schriftstellerin Rahel Varnhagen die Uneinigkeit der Assimilation, die Zwickmühle zwischen Paria (Außenseiterin) und Parvenu (Scheinheilige). Varnhagen strebt wiederkehrend nach Zugehörigkeit und Ansehen in den elitären Kreisen, in denen sie sich bewegt. Selbstbetrug und Maskerade wurden Ausdruck der Anpassung. Diese Form von internalisiertem Antisemitismus analysiert Arendt anhand Varnhagens Schriften. Arendt thematisiert dadurch die innere Uneinigkeit des Jüdischseins in der Gesellschaft. Die Publikation erfolgt jedoch erst 1957 und damit wird Rahel Varnhagen 30 Jahre lang immer wieder von Arendt aufgefasst und neben all den politischen Aktivitäten in ihrem Hinterkopf herum getragen. Zu ihrem Werk sagt sie Jahre später: „Die Juden sind doch alle heimlich der Meinung, ich sei antisemitisch, sehen nicht, wie gerne ich die Rahel hatte, als ich über sie schrieb, verstehen nicht, dass man doch ganz freundlich die Wahrheit sagen kann, auch sich selbst zum Beispiel.“ Es erscheint jetzt klarer, dass sie versuchte, eigene innere Unstimmigkeiten der jüdischen Identität in ihrer Arbeit aufzulösen. Eine Mutmaßung in der Beantwortung der Frage nach ihrer jüdischen Identität.

Man lernt sie in ihrer Schreibweise kennen und beginnt sie zu verstehen – die Worte sind schnippisch, die Art provokant, ironisch, unverfroren.

Das Leben der Staatenlosen

Die Nationalsozialisten kommen an die Macht, Arendt wird politisch tätig und hilft Flüchtlingen in Berlin zur Weiterreise. Sie wird verhaftet. 1933 beginnt das Exil in Paris, sie fordert aktiven Widerstand gegen das NS-Regime. Dabei zerbrechen alte Freundschaften. 1937 wird ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, das Leben der Staatenlosen beginnt. 1940 wird sie ins südfranzösische Camp de Gurs deportiert. 1941 kommt sie über Lissabon nach New York. Dort soll sie im Exil ihr restliches Leben verbringen. Sie schreibt hier für das jüdische Magazin Aufbau.

Die Erfahrung der Staatenlosen in ihrem Essay Wir Flüchtlinge zusammenfassend: „Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind.“ Sie schafft es in ein paar Worten, alles Unausgesprochene aufzudecken, von dem persönlichen Erlebnis bis zur gesellschaftlichen Problematik der Identitätsfrage.

Manchmal steht ihre ganze Art sowie Humor im Weg der Aussage. Davor schreibt sie an Seiten, die von Ironie, Hohn, Satire, ja fast Trotz, zu überquellen drohen. Einige Anmerkungen Arendts zum Rechtssystem der Staatsangehörigkeit waren ihrer Zeit weit voraus und wurden doch durch ihren ganzen Witz zu teils überschattet.

Banalität als Trotz und Schutz

1961, Eichmann in Jerusalem.

„Hannah Arendt stellte gleichwohl eine unentbehrliche Herausforderung an die Forschung dar, das Binnenklima des NS-Systems näher zu analysieren und die eigentümliche Diffusität herauszuarbeiten, unter der sich einzigartige Verbrechen wie die Endlösung vollziehen konnten, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Dies ist ihr in der Schilderung der Mentalität, aus der heraus Eichmann handelte, in bis heute gültiger Weise gelungen.“ (Hans Mommsen – Hannah Arendt und der Prozess gegen Adolf Eichmann)

Hannah Arendts Analysen waren keineswegs falsch, sondern fehl am Platz. Sie scheute nicht davor zurück, Tabus anzusprechen, die dann der Grundstein weiterer Arbeiten waren. Dabei nahmen die Kritikpunkte an Durchführung, Rahmenbedingungen und Politik des Prozesses zu viel Platz ein, auch wenn sie ihre Berechtigung hatten.

Sie sah den Prozess nicht als historisches Symbol, sondern als geschichtliche Aufklärung, durch die offene Fragen beantwortet werden würden – auch jene, die sich niemand zu fragen traute. Der Banalität des Bösen stellte sie Kants Begriff des Radikalen des Bösen gegenüber. Sie wunderte sich zutiefst und war fast erschrocken über die Einfältigkeit Eichmanns. In einem Interview sagte sie, das Böse hat eine Tiefe, doch Eichmann war so oberflächlich nichtssagend, man drohte abzurutschen. Da stellt man sich die Frage: was, wenn das schon alles ist? Ein Mann, der Großes von sich erhoffte, fast eine eigentümliche Meinung darüber hatte, was alles bevorstehen müsse, aber sein ganzes Leben als Taugenichts verbrachte, um sich dann das Gegenteil beweisen zu wollen. Da kam die Allgemeinheit, die ihn für seine Taten krönte, und so verloren sich das Böse und Gute in Zahlen, Ziffern und der Dynamik alltäglicher Machtspiele.

Arendt kam zaghaft zur erschreckenden Einsicht, dass die Blindheit der Bürokratie zusammen mit persönlicher Eitelkeit, einen Menschen zur abgrundtiefen Grausamkeit fähig machten.

Ihre Kritiker:innen hängten sich an ihrer Art und Weise auf, an Formulierungen. Doch die Berichte erfüllten ihren Zweck, es wurde diskutiert, es wurde gestritten, es wurde darüber auf aller Welt geredet. Es wurde nicht vergessen.

Der letzte Eindruck

Eine Skizze mit stumpfen Bleistift. Sie sieht mich mit ihren wachen offenen Augen an. Kein Anzeichen eines Lachens, kein Dutt Hochmut, einfach nur selbstbestimmt und sturköpfig. Keine Anforderung der Idealisierung, geschweige denn Heroik. Beständig, nicht ausweichend. Sie ist achtsam, widersprüchlich, sinnlos zusammenhängend, unsympathisch. Mutig als integraler Bestandteil ihres Seins, sie muss keine Angst überwinden, um zu sagen, was sie denkt.

Laura Stieven

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