Performativer Aktivismus

Wieso „besser irgendwas tun“ hier nicht so gut passt

Wer in den letzten Jahren noch unter vierzig war, hat sicherlich die unglaubliche Kraft der Sozialen Medien miterlebt, wahrscheinlich sogar dabei mitgewirkt. Schon in den frühen 2010er Jahren konnte man diese Kraft erkennen. Facebook spielte beispielsweise schon bei der Mobilisierung der Ägyptischen Revolution 2011 eine Kernrolle. Circa zehn Jahre später blicken wir auf eine Soziale Medien-Landschaft, die so vielfältig ist, wie es vor einem Jahrzehnt kaum vorstellbar gewesen wäre – und das nicht nur im besten Sinne. Somit komme ich zum eigentlichen Thema dieses Betrages, „Performativer Aktivismus“ oder, wie man woke sein kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Was ist Performativer Aktivismus?

Der Begriff kommt selbstverständlich aus dem Englischen (Performative Activism) und erfuhr über die Jahre einen Bedeutungswandel. Vor der Prominenz von Instagram und Co. verstand man unter dem Begriff das Inkludieren performativer Kunst in politisches Handeln. Wie beispielsweise vom Künstler:innenkollektiv „Liberate Tate“, das in den frühen 2010er-Jahren als Reaktion auf eine Partnerschaft zwischen dem „Tate Modern“-Museum und dem Mineralölunternehmen „BP“ einige Liter Öl vor den Eingang des Museums verschüttete und dieser Aktion viele weitere folgen ließen.

Handelte es sich bei dem heute so viralen Begriff um Ereignisse wie dieses, müsste ich keinen Artikel schreiben. Leider ist dem nicht so.

Unter Performativem Aktivismus versteht man heute eine Form von „Aktivismus“ (man beachte die fetten Anführungszeichen), bei der die Anreicherung von Popularität und Anerkennung, und eben nicht die Sache selbst, im Mittelpunkt steht. Meist ist dieses Phänomen auf jeglichen Sozialen Medien sichtbar und lässt sich schwer von „echtem“ Aktivismus unterscheiden. Hierfür einige Beispiele, um den Begriff näher kennenzulernen:

Blackout Tuesday

Am 2. Juni 2020 war das gesamte Internet überfüllt mit inhaltslosen, schwarzfarbenen Beiträgen. Brianna Agyemang und Jamila Thomas, zwei schwarze Musikproduzentinnen, etablierten eine Webseite mit dem Aufruf, an diesem einen Dienstag jegliche Form von Werbung und Handel auf Sozialen Medien zu pausieren und somit ein Zeichen gegen die Überlastung Schwarzer Menschen zu dieser Zeit zu setzen. Die Aktion erlangte binnen weniger Tage internationale Bekanntheit – Millionen von Menschen beteiligten sich, indem sie ein restlos schwarzes Bild auf die Seiten ihrer Sozialen Medien hochluden.

Die eigentlich aussagekräftige und bedeutsame Aktion wurde von den Massen an un- bis halb-politischen Social Media-User:innen schlicht ruiniert. Da solche Postings sehr häufig mit denselben Hashtags versehrt wurden, gingen viele inhaltlich deutlich relevantere Beiträge zur Ermordung Schwarzer Menschen in den USA im Meer von schwarzen Bildschirmen unter. Der Umgang mit dieser Aktion sabotierte dadurch unmittelbar die Arbeit von aufrichtigen Aktivist:innen, die mit Hilfe von Instagram und Co. Aufklärungs- und Mobilisierungarbeit leisten. Dabei hätten einige wenige Minuten Recherche zur Intention und dem Umgang mit dieser Kampagne vor dem Hochladen gereicht. Ebenso hätte man das schwarze Rechteck auch ohne den zweiten Hashtag
posten können. Was wäre daran so schlimm?

Was daran so schlimm ist

Dieser zweite Hashtag ist leider nicht die einzige Problematik dieses Themas. Hauptsächlich gefährlich sind die Oberflächlichkeit dieser Form von Aktivismus, die Intention und der Zugang zu ihr. Soziale Medien werden von Anfang an nicht nur als Mittel politischer Agenden, sondern als ein Ort der Selbstdarstellung genutzt, Urlaubsfotos, Blogs, der Kaffee in der Früh, usw. Vermischen sich nun diese beiden Aspekte, passiert Performativer Aktivismus. Denn wenn einmal ein Thema wie die Ermordung von George Floyd, der jährliche Pride-Monat Juni oder die Krise im Sudan 2019 viral gehen, ist es plötzlich cool, politisch zu sein. Wäre das der Auslöser dafür, dass mehr Menschen in politische Diskurse treten, Geld spenden oder sich sensibilisieren, wäre das Ganze ja nicht allzu schlimm. Leider passiert oft das Gegenteil, Soziale Medien erleichterten die Selbstinszenierung im politischen Bereich in so einem Ausmaß, dass es leichter geworden ist, ein gutes Gewissen zu behalten, ohne wirklich etwas dafür zu tun. Ändere ich jetzt mein Profilbild für einen Monat zu den Farben der heißesten Sache oder reposte ich einmal im Jahr etwas zu irgendeinem Jahrestag, kann ich nachts endlich wieder gut schlafen, ohne einen echten Finger in der echten Welt für echte Menschen, die echte Probleme haben, rühren zu müssen.

Somit entsteht ein extrem problematischer und gefährlicher Zugang zu Aktivismus im Internet. Ein Zugang, der es Menschen erlaubt, auf respektloseste Weise den Aktivismus oder sogar das Leid anderer für ihr eigenes soziales Kapital auszunutzen. Ein weiteres Beispiel ist die Influencerin Kris Schatzel. Diese lud 2020 ein Foto von sich auf einem Black Lives Matter-Protest in Los Angeles hoch, auf dem sie wortwörtlich im Mittelpunkt des Fotos steht.

Nicht nur setzte sie sich nicht für diese Agenda ein, sondern sie sabotierte die Arbeit der Demonstrierenden, indem sie den Fokus auf sich selbst richtete.

Streitigkeiten

Es gibt keine klare Definition von Performativem Aktivismus, keine offizielle Grenze, wann „echter“ Aktivismus aufhört und performativer beginnt. Wichtig ist hierbei anzumerken, dass Aktivismus auf Sozialen Medien nicht per se schlecht ist, im Gegenteil. Sie können als wunderbares Mittel fürs Sammeln von Geld dienen, Bewusstsein für jegliche Themen schaffen und/oder die Mobilisierung von Demonstrationen befördern. Die Hauptsache ist, dass den schönen Grafiken und neuen Profilbildern Taten folgen.

Wenn man einigen der oben genannten Kriterien nachgeht, könnte man auch der JöH Performativen Aktivismus vorwerfen. Offene Briefe und bunte Instagram-Beiträge? Und Tatsache: Oft kam es schon zu solchen Anschuldigungen. Dem ersten Anschein nach sind solche Vorwürfe auch legitim. Antisemitismus gibt es schließlich auch noch, nachdem auf Instagram darauf aufmerksam gemacht wird. Der erste Anschein ist jedoch genau das, worum es in diesem Artikel geht. Denn ähnlich wie der Performative Aktivismus selbst ist es unschwer, leichtfertig mit diesem Vorwurf herumzuwerfen. Es gilt, wie bei jeder Aktivität auf Sozialen Medien, einige Minuten Recherche zu investieren, bevor es zu Anschuldigungen kommt. Alle Menschen, die sich ein wenig mit der JöH auseinandergesetzt haben, wissen sofort, dass hinter ihrer Online-Präsenz viel mehr steckt als nur das.

Wie kann ich Performativen Aktivismus vermeiden?

Dieser Artikel soll kein Ratgeber sein, also spare ich mir das ganze „nachlesen, zuhören,…“. Ich möchte jedoch mit folgenden Worten abschließen: Ganz egal, was und wieviel du hochlädst, belasse es nicht dabei! Mache mehr! Steh auf, leg das Handy weg und beeinflusse dein echtes Umfeld!

IMMANUEL TURKOF

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s