Sexuelle Befreiung jetzt!
Ein Plädoyer für eine feministische Prostitutionskritik
Derzeit scheint es gerade (auch) in queerfeministischen und postmodernen Kreisen en vogue zu sein, inhaltliche Positionen zu teilen, die sonst eher von (Neo-)Liberalen oder gar dem österreichischen Staat vertreten werden. Am deutlichsten zeigt sich das beim Thema der Prostitution, beziehungsweise der sogenannten „Sexarbeit“.
In Wien spitzte sich die Debatte zu, als zum Internationalen Frauentag 2022 stadtweit Plakate mit dem prostitutionsverharmlosenden Slogan „Sexarbeit ist Carearbeit“ auftauchten. Im Juni veranstaltete das autonome Frauenreferat der ÖH Uni Wien sogar eine selbsternannte „Orientierungsberatung“ für jene, „die mit dem Gedanken spielen, mit Sexarbeit anzufangen“. Im Ankündigungstext hieß es, dass Prostituierte „sich selber (!) gute und sichere Arbeitsbedingungen schaffen“ sollten und lediglich „die richtigen Fragen“ gestellt werden müssten, „um schlechte Erfahrungen […] zu vermeiden“. Grundlegende Kritik an Prostitution, Freiern und Patriarchat sucht man hier vergebens.
Warum es alles andere als feministisch ist, sogenannte „Sexarbeit“ als Job wie jeden anderen abzutun oder es unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung in die Verantwortung der Frauen zu legen, sich selbst vor traumatisierender Gewalterfahrung zu schützen, ist eigentlich schnell erklärt.
Keine Care-Arbeit, sondern sexuelle Ausbeutung
Care-Arbeit, also gesellschaftlich notwendige Arbeiten wie Haushalt, Erziehung oder Pflege, wird zwar überwiegend von Frauen verrichtet, die Arbeitskraft ist jedoch nicht abhängig vom Geschlecht – während in der Prostitution Geschlecht Basis und notwendige Bedingung ist: In erster Linie werden weibliche Körper verkapitalisiert (laut BMI liegt in Österreich der Frauenanteil der legalen Prostitution bei 97 Prozent und die meisten der von den Behörden als Männer registrierten Prostituierten werden unter Cross-Dressing geführt). Männer kaufen sich zeitweise Zugang zum Körper einer Frau, deren Sexualität zur Warenform erklärt, männlichen Kaufbedürfnissen und der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen wird und sich dem aktuellen Markt anzupassen hat, um den Wünschen des Freiers zu entsprechen.
In der Prostitution wird eine gesellschaftliche Norm reproduziert, die die Erfüllung der Sexualität des Mannes über weibliche Sexualität stellt. Zustimmung wird erkauft und der Freier kann sich dabei ganz auf seine Bedürfnisbefriedigung konzentrieren und die der Prostituierten ignorieren.
Prostitution reproduziert und profitiert von Rassismus
95 Prozent der Prostituierten in Österreich sind Migrantinnen und sprechen kaum Deutsch. Die meisten von ihnen kommen aus südosteuropäischen Ländern, wie Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Die Geisteswissenschaftlerin Huschke Mau, die selbst Prostituierte war, nennt in ihrem neu erschienenen Buch „Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen“ eine Umfrage unter Freiern: 30 Prozent gaben an, osteuropäische Frauen zu bevorzugen, 16 Prozent Asiatinnen, 12 Prozent Frauen aus Zentral- und Südamerika und 5 Prozent Afrikanerinnen. Das tun sie nicht aus „Weltoffenheit“, sondern weil sie die Frauen und ihre Körper rassifizieren und mit deren Herkunft bestimmte Eigenschaften verbinden. Prostitution erlaubt es Freiern und Zuhältern, arme und armutsgefährdete migrantische Frauen in neokolonialer Manier auf rassistische Klischees zu reduzieren und sexuell auszubeuten. Zudem stellt Prostitution in Österreich oft den einzigen Weg für migrierte/geflüchtete Frauen dar, Geld zu verdienen.
Besonders in Zeiten, in denen Zuhälter und Menschenhändler über schutzbedürftige flüchtende Osteuropäerinnen regelrecht herfallen, wirkt die Relativierung der Prostitution als gesellschaftlich notwendige Care-Arbeit wie eine Werbeaktion für Frauenhandel und Ausbeutung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts.
Das Problem sind Freier, Zuhälter und Menschenhändler
Oft wird behauptet, Prostitutionskritik würde sich indirekt gegen die Prostituierten selbst wenden oder aus moralischen Gründen erfolgen, also wird Frauen vorgehalten, wechselnde (männliche) Sexualpartner zu haben, wie es die katholische Kirche tut. Die Einteilung von Frauen in „Hure oder Heilige“ wird heute tatsächlich noch gesamtgesellschaftlich vertreten.
Doch bei einer materialistisch-feministischen Prostitutionskritik geht es um weit mehr als die Auflösung des Hurenstigmas, nämlich um eine fundamentale Kritik an ungleichen Geschlechterverhältnissen, die sich auch im System der Prostitution zeigen.
Wer glaubt, Freier seien eine kleine Minderheit unter Männern, irrt: Eine Marketagent-Umfrage aus 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass über 42 Prozent der österreichischen Männer schon einmal Freier waren, über 25 Prozent mehrmals oder regelmäßig. In Deutschland gehen laut Schätzung des Bundesfamilienministeriums täglich 1,2 Millionen Männer zu Prostituierten. Freiertum ist unabhängig von Alter, Bildungshintergrund und Beruf. Freier sind allgegenwärtig und es eint sie ein misogynes Frauenbild und verzerrtes Verhältnis zu Sexualität und sexuellem Konsens.
Rückbesinnung auf eine (marxistisch-)feministische Befreiungsbewegung
Die Marxistin und Feministin Alexandra Kollontai schrieb bereits 1921: „Ein Mann, der sich Gefälligkeiten von einer Frau kauft, sieht in ihr weder eine Genossin noch eine Person mit gleichen Rechten. Er betrachtet sie als abhängig von ihm, als eine niedere Kreatur, die kaum Wert für den Staat der Arbeiter hat. Die Verachtung, die er für die Prostituierte hat, wirkt auf seine Einstellung allen Frauen gegenüber.“
Diese Gesellschaftsdiagnose hat bis heute kaum an Gültigkeit verloren. Umso wütender macht es, wenn selbst Feminist:innen beginnen, dem Wort von Freiern und Zuhältern nachzureden. Damit werden patriarchale Vorstellungen befördert, in denen Frauenkörper und weibliche Sexualität einzig und allein der Befriedigung von Männern dienen soll.
Wer sich politisch nicht nur einer verschwindend geringen Minderheit innerhalb der Prostitution widmen möchte, sondern dem dahinterstehenden Frauenhass, wird mit der linken Beschönigung der sexuellen Ausbeutung abertausender Frauen ein Problem haben. Das Ganze spiegelt einen Feminismus wider, dem es nicht mehr um Verändern, Streiten und Kämpfen geht, sondern lediglich um die Akzeptanz aller Zustände, in denen Frauen eine Rolle spielen.
Ein gutes Leben für alle bedeutet auch sexuelle Befreiung für alle, also eine Gesellschaft, in der (keine) Lust auf Sex auch für Frauen gelten kann. Wenn Männern Konsens nicht egal sein soll, darf er auch nicht käuflich sein. Ein Feminismus, der nicht da endet, wo er vermeintlich älteste Privilegien von Männern antastet, sollte in einer ernstzunehmenden Linken Mindestvoraussetzung sein.
Milena Steinmetzer, Tessa Lodr,
Berit Bentert, Isolde Vogel,
Anna Montini, Anna Kumnig, Laila Stan