Den Kern aller Herrschaft
bekämpfen: Die Feministische
Revolution im Iran
Schon die feministische Revolution in Rojava lehrte uns, dass die Befreiung der Gesellschaft und die Befreiung vom Patriarchat nicht voneinander getrennt werden können. Feminismus muss der Kern eines jeden emanzipatorischen Kampfes sein. Allein der Umstand, dass sich Frauen in Iran die Straße zurücknehmen, hat die Sprengkraft, das große Ganze infrage zu stellen.
Es begann mit dem staatlichen Femizid der Sittenpolizei an der kurdischen Frau Jîna Mahsa Amini und wurde zu einer revolutionären Bewegung, die weit über die bestehenden Verhältnisse im Iran hinausweist. Der Mord an Jîna war für große Teile der Bevölkerung Ausdruck dessen, was seit der Machtergreifung der Mullahs im Jahr 1979 den Kern ihres klerikal-faschistischen Regimes darstellt: die gewaltsame Entrechtung der Frau und die Unterdrückung der Kurd:innen. Nicht ohne Grund ist der feministische Ausruf Jin Jiyan Azadî (Frau Leben Freiheit“) zur tragenden Parole der Proteste geworden. Die Parole entstammt der kurdischen Freiheitsbewegung und hat eine hochgradig politische Bedeutung, die das System als Ganzes infrage stellt und Feminismus als zentrale Komponente des Kampfes gegen Herrschaft versteht.
Fast zwei Monate später sind die Menschen im Iran immer noch auf der Straße – sie verlangen ein Ende des Regimes, eine Alternative dazu gibt es für sie nicht. Das System ist nicht reformierbar und auch hinter vermeintlich moderaten Kräften versteckt sich derselbe patriarchale Herrschaftsanspruch. Genau aus diesem Grund lautet ihre zweite zentrale Parole „Tod der Islamischen Republik“. Das Versprechen der Islamischen Revolution von 1979 war es, soziale Widersprüche totalitär in einer Gemeinschaft der Gläubigen, der sogenannten
Ummah, zu befrieden. Da diese Widersprüche jedoch real nicht versöhnt werden können, müssen sie auf innere und äußere Feindbilder projiziert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Todesstrafe für queere Menschen, durch die Hunderte ihr Leben verloren haben, sowie die massive Entrechtung der Frau zu verstehen. Auch der Antisemitismus des iranischen Regimes, die eliminatorischen Bedrohungen gegen den einzigen jüdischen Staat, dessen Vernichtung sogar als staatliches Ziel definiert worden ist, sind untrennbar mit der herrschenden Ideologie verbunden. Ein weiterer Bestandteil davon ist nicht nur die vehemente Leugnung der Shoah, sondern auch der ideologische Beitrag zur internationalen Verbreitung von antisemitischen Verschwörungserzählungen, wie anhand der 2006 im Iran stattgefundenen „Holocaustleugnungskonferenz“ zu beobachten war. Oft versteckt sich diese Rhetorik auch hinter einem vermeintlichen Antiimperialismus, der sich am Feindbild des „Westens” als die Wurzel allen Übels bedient – wie kürzlich, als Ayatollah Khamenei, das religiöse Oberhaupt Irans, Israel und die USA als die Drahtzieher der aktuellen Proteste benannte.
Zusätzlich ist die wirtschaftliche Situation im Iran katastrophal, die Gewinne aus dem milliardenschweren Ölgeschäft kommen nicht den Menschen zugute, sondern wandern in die Taschen des Regimes oder werden in die Finanzierung von internationalem Terrorismus gesteckt. Ob Hamas und Islamischer Dschihad in Gaza, die Hisbollah im Libanon oder das Assad-Regime in Syrien: Alle werden finanziell vom iranischen Regime unterstützt und können als dessen verlängerter Arm beschrieben werden.
In den letzten Jahren war es jedoch die ökonomische Lage, die massenhaft Menschen auf die Straße trieb und zu Streiks in zentralen Sektoren führte. Die Proteste 2019 wurden brutal niedergeschlagen, 1500 Menschen wurden dabei ermordet. Auch jetzt hat das Regime die volle Bandbreite an Brutalität der staatlichen Repressionsmittel noch nicht ausgeschöpft. Im Iran ist es lebensgefährlich, auf die Straße zu gehen. Es ist daher ein politisches Symbol sondergleichen, wenn sich in allen Teilen des Landes tausende Menschen über Herkunfts- und Klassenwidersprüche hinweg öffentlich versammeln, um zusammen für ein besseres Leben zu kämpfen. Über vierzehntausend, überwiegend junge Menschen, wurden bereits inhaftiert, viele von ihnen könnten nun sogar zum Tode verurteilt werden. Es sind vor allem die anhaltende internationale Medienöffentlichkeit und die weltweiten Solidaritätsaktionen, die das Regime noch davon abhalten, die aktuelle Revolution in Blut zu ertränken. Deshalb ist es wichtig, weiterhin auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen, auch solange Länder wie Deutschland zentrale Handelspartner des Irans sind. Der Höhepunkt der Proteste ist noch lange nicht erreicht und die mutigen Menschen lassen sich nicht einschüchtern. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Sie sind entschlossen, das Regime zu stürzen. Der Unterschied zu den Protesten der vergangenen Jahre ist die gesellschaftliche Breite, die aktuell erreicht wird und die Ausdehnung auf immer mehr Regionen im Land. Hier sind es vor allem die kurdischen und belutschischen Gebiete, die schon zeitweise ganze Städte unter die Kontrolle der Bevölkerung bringen konnten und den iranischen Repressionsapparat vertrieben haben. Die Unterdrückung der Kurd:innen, welche schon zu monarchistischen Zeiten zentraler Teil des Systems war, spitzte sich mit der Revolution von 1979 nur weiter zu. Die Islamische Republik erklärte alle kurdischen Organisierungen zu antiislamischer Verschwörung, Widerstand dagegen wurde meist blutig niedergeschlagen. Genau diese vielschichtige Erfahrung von Unterdrückung war schlussendlich der Funke, der anhand des Mordes an Jîna Amini entzündet wurde und Proteste im ganzen Land entflammte. Wie es die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim zusammenfassend konstatiert hat, kamen also „ethnische Unterdrückung, geschlechtliche Unterdrückung, religiöse Unterdrückung und nicht zuletzt eine extreme wirtschaftliche Ausbeutung, im Fall Kurdistans oder Belutschistans auch kolonial-wirtschaftliche Ausbeutung (…) zusammen.“
All das verbindet die aktuellen Proteste in Iran, in Kurdistan, aber auch in Afghanistan: In ihren feministischen Kämpfen ist die Überwindung des gesamten herrschenden Systems angelegt. Eine befreite Gesellschaft ist für die Menschen keine ferne Utopie, sondern eine bedingungslose Notwendigkeit.
Lori Şahan