Make JöH a Threat Again
Was haben Hitlergrüße und an Jüdinnen und Juden gerichtete Fegefeuer-Fantasien gemeinsam? Sie alle lassen sich im Jahr 2022 auch in Teilen des linken Spektrums finden. Bei der JöH ist vieles neu, der Dauerbeschuss mit Offenen Briefen bleibt derselbe.
Was macht die JöH eigentlich, wenn sie in die Sommerpause geht? Die Menge an unbeantworteten E-Mails spricht sicherlich ihre eigene Sprache. Trotzdem ruht die JöH nicht, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Nach monatelangen Vorbereitungen und einem zweijährigen, durch die Pandemie bedingten Verzug, stand unserer Israelreise in diesem Jahr nichts mehr im Weg. Innerhalb von zwei Wochen begegneten wir, gemeinsam mit den Spitzenfunktionär:innen studentischer Fraktionen und anderer aktivistischer Bündnisse, den unterschiedlichsten Menschen an gänzlich gegensätzlichen Orten. Jerusalem, Jericho, Tel-Aviv. Äthiopische Jüdinnen und Juden, christliche und muslimische Palästinenser:innen und Bedouinen. Optimismus, Pessimismus, Antisemitismus, anti-muslimischer Rassismus. Von Kibbutz bis PLO. Israel als unabdingbarer Herzschrittmacher eines ganzen Volkes, wahrlich nicht ohne Probleme. Dass es kompliziert ist, stellte wahrscheinlich einen der wenigen immanenten Schlüsse dar, die zu ziehen waren.
Ganz im Sinne des “Antisemitismus ohne Juden” blieb trotz räumlicher Entfernung der “heimische” Antisemitismus selbstverständlich nicht aus. So zierte ein Bild mit der Aufschrift “Y’all think it’s hot today, wait til you go to hell for supporting Israel” gemeinsam mit einem Bild aller Teilnehmenden unserer Reise die Instagram-Story einer altbekannten “linken” Podcasterin. Aber Nicole Schöndorfer hatte tatsächlich recht, es war ein wirklich heißer Tag, wenngleich von der Hölle weit und breit nichts zu sehen war. Zeitgleich veranstaltete die Klein-Gruppierung “Palästina Solidarität Österreich” eine Kundgebung am Platz der Menschenrechte, bei der ein Redner wiederholt die Hand zum Hitlergruß hob. Verständlicherweise wirken die NS-Vergleiche, Bezeichnungen Israels als Apartheids- und Terrorstaat und Flyer mit Sprüchen wie “Kindermörder Israel”, “Israel bombardiert…Amerika, Europa finanziert” noch absurder. Naja, Österreich ist eben ein Land, in dem Traditionalismus groß geschrieben wird – Judenhass ist gewissermaßen die Mutter aller abendländischen Traditionen. Also irgendwie neu, aber andererseits auch alles beim Alten. Entgegen der allzu menschlichen Fixierung auf Negativität sei noch festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit des Feedbacks zu unserer Israel Bildungsreise sehr positiv ausfiel. Das Hölle-Schmoren bleibt uns, wie es scheint, erst einmal erspart.
Den aufmerksamen NOODNIK Leser:innen sollte bereits bewusst sein, dass Antisemtismus wahrlich kein Privileg des rechten politischen Spektrums ist. Der letzte Absatz verdeutlicht diesen Umstand eigentlich zur Genüge, jedoch kamen wir auch in diesem Sommer nicht um einen Offenen Brief herum. Dar-Al-Janub, eine BDS- und Hamas-nahe Organisation, versuchte nämlich erneut, eine Veranstaltung an der Universität Wien abzuhalten. Zum Glück benötigte es nicht mehr als einen freundlichen Hinweis, damit jener Organisation, die am 9. November 2003 eine Gedenkkundgebung mit Holocaust-Überlebenden angriff unter dem Deckmantel der “Israelkritik”, die Benutzung universitärer Veranstaltungsräume verweigert wurden.
Dauerfeuer mit Offenen Briefen
Bemerkenswert an der abgesagten Dar-Al-Janub Veranstaltung war, dass diese gemeinsam mit der Kommunistischen Jugend Österreich – Wien (KJÖ) organisiert wurde. Anstatt auf die Absage mit kritischer Reflexion zu reagieren, führte die KJÖ einen Rassismusvorwurf-Präventivschlag gegen uns und die ÖH Uni Wien aus. Uns war es dementsprechend wichtig, den Vorfall in der öffentlichen Diskussion richtigzustellen und die Kollaboration mit einer antisemitischen Organisation seitens der Kommunistischen Jugend zu kritisieren, also verfassten wir einen Offenen Brief. Dieser richtete sich neben der KJÖ auch an den Kommunistischen StudentInnenverband – Kommunistische Jugend Österreich (KSV-KJÖ), den wir ob ihrem israelbezogenen Antisemitismus nie auf unsere Veranstaltungen einladen. In unserem Schreiben forderten wir, dass sich die genannten, angeblich linken Organisationen von Dar-Al-Janub, BDS und Antisemitismus distanzieren und sich mit ihrem offensichtlichen Antisemitimus-Problem auseinandersetzen. Ihre Antwort ließ zu wünschen übrig, sie ignorierten die Antisemitismusvorwürfe mit Verweis auf ihre Solidarität mit dem “palästinensischen Volk” und warfen sowohl uns als auch der ÖH ein weiteres Mal Rassismus vor.
Offene Briefe zum Thema Antisemitismus werden auch seitens der Stadt Wien gekonnt ignoriert, so wie es sich mit dem Brief der Shoah-Überlebenden betreffend der Karl-Lueger-Statue zutrug. In diesem wurde mit klaren Worten die Entfernung des Ehrendenkmals sowie die Umbenennung des Platzes gefordert. Nicht nur blieb eine Reaktion seitens der Stadt aus, auch auf Pressekonferenzen wurde klar gemacht, dass der Bronze-Koloss nicht angefasst und der Platz nicht neu benannt wird. Damit überraschte auch die im September vorgestellte temporäre Installation der Stadt Wien nicht wirklich. Diese thematisiert mit ihren bunten Gestängen nämlich in keinster Weise den Antisemitismus Luegers, um den es eigentlich gehen sollte. Anstatt den ehrenden Charakter der Lueger-Statue zu brechen, beschenkte ihn die Stadt Wien mit umso mehr Aufmerksamkeiten – indem sie alle Büsten, Orte und jedwede Ehrungen, die es in Wien in seinem Namen noch gibt, als Holz-Silhouetten vor seine Füße legte, bunt bemalte und schiefstellen ließ. Da erkennt ein:e Tourist:in natürlich sofort, dass es sich hier um einen Ort handelt, der sich mit Antisemitismus auseinandersetzen sollte.
Nicht.
Selbstverständlich wollten wir das nicht unkommentiert lassen. Bewaffnet mit Protestschildern, welche die Aufschrift “ANTISEMITISMUS THEMATISIEREN NICHT BUNT DEKORIEREN” trugen, stellten wir uns inmitten der Pressekonferenz der MA 7 Kultur am Lueger-Platz und brachten unsere Kritik somit ins Zentrum der Eröffnung (eine etwas gewitztere Kritik unserer Kunst-Taskforce RABBIT findet sich auf Seite 45). Voller Stolz können wir hinterher sagen, dass unser Protest in beinahe jeder Berichterstattung zur Eröffnung erwähnt wurde.
Sometimes Party always Antifa
Wenn wir nicht gerade im Alleingang Antisemitismus in der mehr als merkwürdigen Alpenrepublik bekämpfen, feiern wir auch mal die größte Billa-Parkplatz-Campusparty aller Zeiten. So tanzten wir am 11. Juni im Rahmen einer Pride-Day-Kundgebung mit tausenden Leuten beim BALAGAN (hebräisch für Chaos) am Campus im Hof 1, auf dem man zur freundlichen Information unserer Kolleg:innen der ÖH Uni Wien auch ohne Zustimmung der Universität eine politische Kundgebung anmelden kann. Ein unvergesslicher Abend mit einem wunderbaren Open-Air-Kino des Filmclub Tacheles.
Auch zu Beginn des Wintersemesters wollten wir feiern, um uns von den Sommerferien zu erholen und luden gemeinsam mit unseren Freund:innen der wunderbaren Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja (HÖR) zum Tanz beim ebenso fantastischen Klub slowenischer Studentinnen und Studenten in Wien (KSŠŠD) ein. Gemeinsam hält es sich gleich besser aus in Österreich, vor allem, wenn es große Mengen Börek gibt.
Ende Oktober mussten wir uns schließlich schweren Herzens vom alten JöH-Vorstand verabschieden, der uns glücklicherweise in voller Zahl in der NOODNIK Redaktion erhalten bleibt. Unser neues Board wird mit voller Kraft die politische Arbeit der JöH fortführen und dabei ebenso kompromisslos für jüdische Studierende einstehen, wie es den Antisemitismus bekämpfen wird. In den Magistraten der Stadt Wien macht bereits das Gerücht die Runde, dass unbekannte jüdische Aktivist:innen mit einem Kraftfahrzeug im Dezember noch den Lueger vom Sockel stürzen. Wir wünschen viel Erfolg!
Victoria Borochov