Von Internet Foren undgekränkter Männlichkeit

Von Internet Foren und
gekränkter Männlichkeit

Veronika Kracher ist Incel- und Alt-Right Expertin und Rechtsextremismusforscherin. In Ihrem Buch “Incels” geht es um die Geschichte, Sprache und Ideologie dieser Bewegung.

NOODNIK: Wie bist du denn zur Incel bzw. Alt-Right Forschung gekommen?

Veronika Kracher: Purer Selbsthass. [lacht] Ich bin als Publizistin und Autorin tätig und arbeite seit Anfang letzten Jahres im Research und Monitoring Projekt der Amadeu Antonio Stiftung. In beiden Fällen forsche ich zur Online-Radikalisierung und welche Rollen gerade gekränkte weiße Männlichkeit, Anti-Feminismus und Queerfeindlichkeit in Bezug auf diese haben. Mein Buch Incels habe ich im November 2020 publiziert. Im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit der Alt-Right, der neuen Rechten und den Geschlechterbildern, welche dort vorherrschen, bin ich auf die Incel Community gestoßen und habe angefangen, mich mit dieser zu beschäftigen. Nach dem Anschlag in Toronto habe ich meine Forschung zur Alt-Right dann vertieft.

Im deutschsprachigen Raum wurde die Incel-Community im Rahmen des Anschlags von Halle genauer beleuchtet, wodurch meine Arbeit mehr Aufmerksamkeit bekommen hat. Das ganze sehe ich aber durchaus sehr ambivalent. Einerseits hören dir endlich mal Leute zu, doch zuvor mussten halt zwei Menschen sterben.

N: Du hast nun öfters die Alt-Right erwähnt. Was ist sie denn und woher stammt sie?

VK: Die Alt-Right, also Alternative Right, ist eine Entwicklung der radikalen Rechten, die sich in den USA, aber auch in Europa unter dem Namen der neuen Rechten, in den letzten 10 Jahren gebildet hat. Diese versucht primär mit Kulturpolitik und Kulturkämpfen eine Hegemonie zu erreichen. Der white supremacist Richard Spencer, der als Vater der Alt-Right begriffen werden kann, sowie andere Vertreter der Alt-Right artikulieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, die von dem sogenannten Kulturmarxismus dominiert wird. Kulturmarxismus steht hier für die Vertreter:innen der Frankfurter Schule, die nach der Flucht in die USA, laut der Ideologie der Alt-Right, dort die Universitäten, die Kulturlandschaft und die gesamte politische Entwicklung unter den Nagel gerissen haben. Daraufhin sollen sie die Menschen zu Protesten gegen den Vietnamkrieg, für den Feminismus oder der Bürgerrechtsbewegung angestiftet haben. Hier haben wir eine ganz starke Verbindung zwischen Antifeminismus, Antikommunismus und Antisemitismus. Diese kulturmarxistische Entwicklung soll zu einer Degeneration westlicher Werte und der westlichen weißen Gesellschaft führen, in dem Frauen zum Feminismus oder Männer in die Homosexualität verführt werden. Dem muss laut der Alt-Right Ideologie eben entgegnet werden durch das Erlangen einer Veränderung gesellschaftlicher Werte und der Bildung einer neuen gesellschaftlichen Hegemonie. Die Alt-Right und auch die Neue Rechte agieren weniger mit stumpfen Nazi-Aufmärschen und pöbligen Rechtsrock CDs oder Rock against communism Konzerten, sondern versuchen sich als metapolitische intellektuelle Player zu verkaufen. Sie behaupten, selbst eine Gegenhegemonie zur kommunistischen Herrschaft zu bilden. Es zeichnet sich ganz stark die Inszenierung als Rebell gegen eine imaginäre kulturmarxistische Bedrohung aus. Diese Inszenierung als konter-kultureller, intellektueller und optisch ansprechender Underground, der aufgrund von Memes, YouTube-Videos und dergleichen agiert, zeichnet die Alt-Right aus.

N: Was ist denn überhaupt ein Incel?

VK: Incel ist die Kurzform von involuntary celibate (also unfreiwillig im Zölibat lebende). Die Bewegung wurde Mitte der 90er Jahre von einer queeren Frau gegründet, als Selbsthilfegruppe für Menschen, die gerne eine Beziehung führen würden, aber keine:n Partner:in finden und stand zu dem Zeitpunkt auch Personen jeglichen Geschlechts und jeglicher sexuellen Orientierung offen. Ab Mitte der 2000er Jahre fand jedoch eine Radikalisierung in eine misogyne und meist rechte Community statt. Maßgeblich daran beteiligt waren das Imageboard 4chan, spezifisch männliche Incel-Foren und auch die Pick-up Artist Community.

Incels sind Anhänger der sogenannten black pill Ideologie, die ein Derivat der antifeministischen, antisemitischen und verschwörungsideologischen red pill Ideologie ist. Die red pill Ideologie suggeriert, dass wir nicht in einem patriarchalen Kapitalismus leben, sondern in einem „Feminat“, in dem Männer systematisch unterdrückt werden und der Kulturmarxismus die Zügel der Gesellschaftsentwicklung fest in der Hand hat. Incels tragen das Ganze noch ein bisschen weiter und sagen, es werden primär unattraktive Männer unterdrückt und Schuld trägt der Feminismus. Incels glauben, dass Sex und eine Beziehung, die sie jedoch auch nur herrschaftsförmig denken können, der Schlüssel zu einem guten Leben sind. Frauen hingegen schlafen laut der Incel-Ideologie nur mit unglaublich attraktiven Männern, die sogenannten „Chads“, und verdammen demzufolge unattraktive Männer zu einem Leben in Sexlosigkeit und deswegen Unglück. Damit legitimieren Incels ihren Frauenhass. Incels beschäftigen sich obsessiv mit dem eigenen Äußeren, halten sich für unglaublich unattraktiv und übertragen somit den eigenen Selbsthass und die eigene Unsicherheit auf Frauen. Incels sprechen Frauen also von vornherein ab, ihnen, also den Incels, überhaupt Interesse oder Zuneigung entgegenbringen zu können, da sie eben ihre eigene Unsicherheit auf Frauen projizieren.

N: In Bezug auf die Alt-Right wird immer wieder der Begriff der “Alt-Right Pipeline” erwähnt, als einer der Wege, wie vor allem junge, weiße Männer in die rechtsextreme Szene radikalisiert werden. Was ist die Alt-Right Pipeline und wo fängt diese an?

VK: Die Alt-Right Pipeline ist sozusagen die Internet-Schnellstraße in die Alt-Right. Diese führt von scheinbar harmlosen YouTube Videos zu Internetforen wie 4chan oder Reddit, unmittelbar in die offenen Arme, faschistoider oder gleich offen neonazistischer Gruppen. Es fängt aber schon viel früher an, als auf YouTube oder 4chan. Nämlich bei gekränkter Männlichkeit. Alle diese Alt-Right Vertreter von denen wir hier sprechen, gehen mit der Idee an ihr Publikum, welches heterosexuell, weiß und männlich intendiert ist, „Ihr habt ja gar nicht diese gesellschaftliche Hegemonie, ihr seid unterdrückt, ihr werdet permanent in eurer Identität angegriffen, inzwischen ist man ja schon ein Vergewaltiger, wenn man nur ein Mann ist“ heran. Dieses Gefühl gekränkter Männlichkeit als Einstiegspunkt zu benutzen, funktioniert eben wegen patriarchalem Anspruchsdenken so gut. Cis-geschlechtliche Jungen und Männer wachsen ja aufgrund ihres Phallus mit dem Gefühl gesellschaftlicher Vorherrschaft auf. Ihnen steht aufgrund ihres Phallus etwas zu: Gesellschaftliche Anerkennung, Sex, öffentlicher Raum etc. Das manifestiert sich dann natürlich in Gedanken wie: „Wenn Frauen sich den öffentlichen Raum oder Gehör einfordern, all das, wofür der Feminismus steht, wollen sie mir was wegnehmen“. Diese gekränkte Männlichkeit wird nicht nur von Vertreter:innen der Alt-Right und der Neuen Rechten, sondern auch von bürgerlich Konservativen ganz direkt angesprochen. Antifeminismus zum Beispiel, ist ein stark verbindendes Element zwischen der extremen und der bürgerlichen Rechten.

N: In Brief an einen Incel schreibst du eher sarkastisch und machst relativ deutlich wieso die Kommunikation mit einem Incel nicht, bzw. kaum möglich ist. Inwiefern ist Kommunikation mit einem Incel möglich? Was sind die Grenzen der Entradikalisierungs- und Bildungsarbeit und wo beginnt die Relativierung?

VK: Ich denke, dass es primär wichtig ist, sich weniger auf die Täter, und mehr auf die Opfer zu fokussieren. Es ist auch ein Problem von dieser Ausstiegskonzeption. Der Fokus wird auf die Täter gelegt und es wird versucht, sie zu verstehen, anstatt den Fokus auf die Opfer zu legen, bzw. was die Handlungen der Täter mit den Opfern dieser Taten machen. Das vermittelt gesellschaftlich, dass das Leid von Marginalisierten nicht den gleichen Stellenwert hat. Es sind in der Regel Frauen, Queers, Jüdinnen und Juden und People of Color, die von Incels angegriffen werden. Es ist natürlich wichtig zu verstehen, wie Menschenfeinde zu Menschenfeinden werden. Allerdings wird die Erkenntnis ignoriert und verschwiegen, dass diese Menschenfeindlichkeit so gut funktioniert, weil sie in der kapitalistischen Gesamtgesellschaft angelegt und omnipräsent ist.

Des Weiteren kann man einen Incel erst in einem Gespräch erreichen, wenn bereits ein Ausstiegswille vorhanden ist. Natürlich kommt bei Antifeministen der massive misogyne Affekt dazu, dass sie einer Frau nicht zuhören, weil sie dazu tatsächlich emotional und psychologisch nicht in der Lage und derart von Hass zerfressen sind.

Bei einer Diskussion mit Tätern wird sehr oft verschwiegen, dass diese Menschenfeindlichkeit eine gesellschaftlich verankerte Grundlage hat, die radikal kritisiert und überwunden werden muss. Und ich glaube, gerade in Bezug auf die Manosphere (ein Überbegriff misogyner Subkulturen, welche die Pick-up Artist Community, Incels oder Volcels, also Voluntary celibate, beinhaltet) passiert so etwas ganz wenig. Denn, wenn wir über misogyne Gewalt sprechen, müssen wir auch über gekränkte Männlichkeit sprechen. Diese gekränkte Männlichkeit ist einfach bei jedem Mann vorhanden.

Sich diesen radikalen Diskussionen zu stellen, will halt niemand, da wir in systematisch vergeschlechtlichten, ausbeuterischen Verhältnissen leben, von denen jeder Mann profitiert und diese deswegen unangetastet bleiben.

N: Jetzt ist Andrew Tate, ebenfalls ein Akteur der Misogynie wie kaum ein anderer verbreitet, letztens wieder ein größeres Thema gewesen. Mit seiner Weltanschauung sollte er doch genau in der intellektuellen Sphäre der Incels sein. Was halten die Incels von Andrew Tate?

VK: Also Incels finden Andrew Tate richtig scheiße. Sie haben absurderweise recht, wenn sie sagen, dass Andrew Tates Vermögen und Reichweite daher stammt, dass er naiven und leicht zu beeindruckenden Teenagern suggeriert, dass, wenn sie seinen Aussagen und seinem Lifestyle folgen, sie eben zu „Chads“ werden können.

Andrew Tate ist gerade für Jugendliche so ansprechend, weil sich in der Identitätsbildung der Adoleszenz viele Jugendliche an hegemonialen Geschlechterrollen und -vorstellungen orientieren. Das liegt u.a. auch daran, dass Jungen beim Abweichen aus diesen männlichen Geschlechterrollen massiv sanktioniert werden. Andrew Tate entspricht dem Idealbild hegemonialer Männlichkeit und sagt, er bringe für nur 50 Dollar im Monat einem bei, so zu werden wie er. Da sind wir beim gesamtgesellschaftlichen Problem, dass die Performance von Männlichkeit, der sie nacheifern, auf der Gewalt gegen Frauen aufgebaut ist.

N: Incels denken, die sogenannten “Chads” oder “Tyrones” nehmen ihnen die Frauen weg und machen Jüdinnen und Juden dafür verantwortlich. Wie passt der Antisemitismus hier rein? Also wie hängen Besitzanspruchsdenken, Misogynie und Antisemitismus zusammen?

VK: Ich würde sagen, vieles liegt daran, dass Jüdinnen und Juden, die ohnehin designiertes gesellschaftliches Feindbild sind, auch als Verkörperung der Moderne, die quasi Schuld daran ist, dass du keine Frauen mehr abbekommst, gesehen werden und als treibende Kraft hinter dem Feminismus betrachtet werden. Die gleiche Logik gibt es in Bezug auf die Pornoindustrie, also die Neuauflage des antisemitischen Narrativs „Juden als Zuhälter“. Da wird eben dann gesagt, dass Jüdinnen und Juden neben den Medien auch die Pornoindustrie kontrollieren, um eben sexlose Männer pornoabhängig zu machen, an den PC zu fesseln und damit davon abzuhalten, in die Incel-Rebellion zu gehen. Auch der No-Nut-November zum Beispiel, also die Internet “Challenge”, den November nicht zu masturbieren, wird ganz massiv von der Alt-Right unterstützt, weil diese Vorstellung von “Juden kontrollieren die Pornoindustrie, um Männer zu schwächen” so anschlussfähig ist.

N: Ist hier dann auch die so genannte pathische Projektion relevant?
(Anm.: Pathische Projektion bezeichnet einen unbewussten wahnhaften Prozess des (hassenden) Subjektes, jegliche inneren und äußeren (gesellschaftlichen) Konflikte auf ein Hassobjekt zu projizieren und die Unfähigkeit zur Reflexion dessen.)

VK: Ja. Es gibt übrigens einen empfehlenswerten Text von Rolf Pohl, Der antisemitische Wahn. Es geht da eigentlich um Antisemitismus, aber meiner Ansicht nach sagt Rolf Pohl auch, dass sich das gut auf das paranoide Verfolgungsgefühl des Incels gegenüber Frauen anwenden lässt, und warum deshalb dem störenden Objekt mit Vernichtung begegnet werden muss.

N: Warum besteht ein Tatendrang zu einem Anschlag?

VK: Bei Elliot Rodger, also dem Attentäter von Toronto, ist es ja eindeutig Rache. Er hat den Tag seines Anschlags als „Tag der Wiedergutmachung“ bezeichnet und schreibt in seinem Manifest wortwörtlich: “Ich werde Rache nehmen an allen Frauen, die mir Liebe und Sex entzogen haben”. Bei Elliot Rodger sehen wir, und das ist nicht nur bei Incel-Attentätern  so, sondern generell bei diesen Lonewolf-Attentätern, die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und gesellschaftlicher Realität. Das sind Leute, die sich selbst als supreme gentleman, oder wie Klaus Theweleit (in Männerphantasien) sagt, Vertreter eines übergeordneten Rechts begreifen.

Die Selbstwahrnehmung als faschistischer Held oder als supreme gentleman steht in einem permanenten Kontrast mit der Erfahrung, die sie haben. Die Kränkung in der narzisstischen Selbstüberhöhung, weil Frauen nicht mit ihnen schlafen. Diese Diskrepanz wird stellenweise unaushaltbar und ihr kann auch nur mit der Vernichtung des kränkenden Objekts begegnet werden. Das ist auch meine These, die Wiedergutmachung gekränkter Männlichkeit. Sex ist integraler Bestandteil der Performance hegemonialer Männlichkeit und Incels haben keinen Sex, aber sagen im Großen und Ganzen “Frauen schlafen nicht mit mir, deswegen „entmännlichen“ sie mich”. Und bei Elliot Rodger ist es dieser massive Moment der narzisstischen Kränkung, die er auf 140 Seiten artikuliert, und deswegen das Gefühl, dass ihm seine Männlichkeit entwendet wird und der Gewaltakt ist dann sozusagen die Wiederherstellung dieser Männlichkeit durch das Racheüben an allen, die ihm Unrecht getan haben.

Interview:
Ariel Simulevski & Aaron Kumnig

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