Traumata sind kein Wettbewerb
documenta15: Kunst liebt Skandal aber diesen dann doch nicht
Die zu den bedeutendsten in der zeitgenössischen Kunst zählende Ausstellungsreihe documenta hat in ihrer 15. Ausgabe mit einem riesigen Banner, auf dem unter anderem antisemitische Karikaturen von Juden abgebildet sind, einen Antisemitismusdiskurs ausgelöst, der international große Aufmerksamkeit erhielt. Von den Nazi-Gründern der documenta und dem sexy gekleideten Antizionismus in der Welt der Kunst-Skandale wird hier berichtet.
Mit dem Blick nach vorne und in die Ferne, entschied die künstlerische Leitung der deutschen Kunstaustellung documenta, das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa als Kurator:innen zu beauftragen. Man sieht sich selbst als wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst und mit 40 Millionen Euro deutschem Steuergeld budgetiert, kann man sich das auch leisten.
In diesem Jahr sollte die Schau sich durch Werke und Objekte von anderen Ausstellungen absetzen, die das kapitalistische System Kunstmarkt ignorieren und den Fokus auf Kunst legen, die ihre Wertigkeit und Bedeutung aus ihrem Kontext und politischem Aktivismus beziehen. Anstelle von technisch-handwerklicher Exzellenz und eurozentristischem Geniekult, würde es interessante Diskurse über Macht und Hierarchien, Autorität, Globalisierung, Post-Kolonialismus, Autor:innenschaft und Kollektivität, Objektwert und Zukunft anregen.
In den deutschen und internationalen Medien und Feuilletons schafften sie stattdessen hauptsächlich einen Diskurs, den niemand in der künstlerischen Leitung vorhergesehen haben wollte: Den Antisemitismus-Diskurs.
Unter den rund 1500 Werken, die gezeigt wurden, begann der diesjährige documenta Skandal mit Taring Padi’s People‘s Justice (2002), genauer genommen wegen der in dem überdimensionalen Banner enthaltenen stereotypen antisemitischen Darstellungen, und wurde als Konsequenz erst teilverhüllt, und kurz darauf komplett aus der Ausstellung entfernt.
Was aber großteils verhüllt bleibt und in den vielen Artikeln kaum Zuwendung findet, ist die Geschichte der documenta Ausstellungsreihe selbst, die eine typische Post-Nationalsozialistische Nachkriegsgeschichte ist, wie man sie in Österreich auch sehr gut kennt, und auch am liebsten verschweigt.
Die documenta entstand 1955 als Zusatz zur weniger experimentell angelegten deutschen Bundesgartenschau in dem vom Krieg zu 70 Prozent zerstörtem Kassel und wollte Deutschland endlich wieder – nach kurzer „Unterbrechung“ – als weltoffenes und modernes Kultur- statt Barbaren – Land positionieren. Es sollte Anschluss bieten an die Entwicklungen der modernen Kunst, die zu NS-Zeiten als „entartet“ galten.
Problem hierbei war nur, dass diese zukunftsorientierten Gründer:innen der sogenannten Weltkunstschau doch eher Gestrige waren. Genau genommen waren es preisgekrönte Nazis, Parteimitglieder und S.A.-Männer, die hier für „Anschluss“ an die Moderne kämpften.
Sie hatten es bestimmt nicht leicht, sich ein modernes Flair aus dem gebrain-draintem, ethnisch gesäuberten Arsch West-Deutschlands zu ziehen, aber dank dem Kaltem Krieg unterstützte sie sogar die CIA mit freshen Jackson Pollocks und Mark Rothkos.
Nach Werken von deutsch-jüdischen Künstlern:innen, ob ermordet, emigriert oder geflüchtet, sucht man hier vergebens (Gendern auch nicht angebracht).
Künstler:innen glauben gerne daran, nur mit Feder, Pinsel und Papier bewaffnet an der Frontlinie des humanistischen Freiheitskampfes zu stehen und gesellschaftliche und intellektuelle Entwicklungen zu formen und zu verbreiten, manchmal tun sie dies tatsächlich.
Das Problem ist das wenig flexible System, in dem sie sich hierbei bewegen. Während Künstler:innen ihre Arbeiten ständig weiterentwickeln wollen, sind die Formate wie documenta konservativ gleichbleibend, ohne die eigene Struktur zu überdenken. Die intensive Forschung zur Offenlegung der NS-Vergangenheit der eigenen Gründungsgeschichte kam daher auch wenig überraschend nicht von der eigens ein Archiv betreibenden documenta selbst, sondern durch und dank dem Deutschen Historischen Museum in Berlin im Sommer 2021.
Die Geschäftsführung ließ sich von einem Mitglied von Ruangrupa zu dem Kongress dorthin begleiten. Dazu die bereits zurückgetretene Geschäftsführerin Dr.in Sabine Schormann im Interview mit dem Kunstmagazin Monopol:
“…Farid Rakun, der mit auf dem DHM-Kongress war, hat erzählt, dass es für ihn extrem wichtig war, zu erfahren, welche Last auf den Schultern der documenta liegt. Aber er hat auch gesagt, dass es noch andere Geschichten auf der Welt gibt, die es zu erzählen gilt, beispielsweise im Kolonialismus gelagert.”
Es überrascht nicht sonderlich, dass ein Künstlerkollektiv aus einem Land, das Israel nicht anerkennt, Antisemitismus als seine Plus eins auf die Party mitnimmt, stylish im schulterfreien sexy Kleid des Antizionismus. Und Germany freut sich, nimmt das bisschen Israel-Bashing in Kauf, ist ja keine lebensgefährliche Mohammed Karikatur oder so, und begrüßt beide herzlich, um auch endlich aktiv teilnehmen zu können am postkolonialistischen Diskurs, ja ihn anzuführen, zu dominieren!
Kunst liebt Underdogs. Also sofern diese zu keinen ökonomischen Nachteilen oder Komplikationen führen wie zum Beispiel Einsatz für türkische Kurd:innen, Uyghur:innen, Hong Kong, Taiwan, Frauen und LGBTQI und Menschenrechte in islamischen Fußball Worldcup Ländern…
Die Postkolonialismus Debatte ist super für Deutschland, dass sich hierbei keiner großen Mitschuld bewusst ist, und nebenbei kann man gemeinsam mit dem politisch aktionistischem Kuratorenteam das eigene einzigartig grausame Verbrechen der Shoah im globalen Kontext runterspielen.
“Die documenta ist dagegen fast eine Staatsangelegenheit” bemerken auch Reza Afisina und Farid Rakun von Ruangrupa, die sich am Ende aber doch auf deutschem Boden abspielt und daher eine eigene Stelle schaffen sollte, die zwischen den internationalen Kurator:innen und Künstler:innen und der Verantwortung, die Deutschland mit seiner Vergangenheit hat, vermittelt. Das Kuratorium der Ausstellung liegt bei der künstlerischen Leitung. Geschäftsführung, unabhängige Expert:innen und jüdische Gemeinde haben keinen Einfluss und das ist eigentlich auch gut so.
Niemand will, dass eine Ausstellung durch eine brutal-konservative Entität wie eine Religionsgemeinschaft kontrolliert wird. Allein die katholische Kirche hat schon lange genug diktiert, was zu zeigen erlaubt war, und was nicht. Die Frage ist, welchen Wert Formate wie documenta oder auch Biennale heute noch haben? Bleibt es nicht eine Präsentationsform, die in sich eurozentristisch und überholt ist?
Hat Europa es notwendig, händeringend weiter um Anerkennung seiner selbst als Wiege der (westlichen) Kultur zu gelten, um nicht nur mehr Freiluft-Museum zu werden?
Kontextualisierung kann hilfreich sein, aber ist nicht immer genug und kann auch wie eine billige Ausrede daherkommen. Aktuell in Wien beispielhaft zu erleben am Lueger-Denkmal, dessen fröhlich bunte Kontextualisierung durch geschmacklose, dumme Vervielfachung statt Hinweis auf die antisemitische Geschichte es zu einem wahren Schandmahl macht. Nur ein weiterer Beweis, dass Österreich weit davon entfernt ist, sich selber kontextualisieren zu können.
Judith Kratz