Fragwürdige Vorbilder

Fragwürdige Vorbilder

Lange Zeit wurde der Aktivist Rudy Rochman für seinen hartnäckigen und mutigen Diskussionsstil von jungen Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt gefeiert. Doch seit neuestem steht er für seine Statements immer mehr in der Kritik. Seine antidemokratische Haltung und problematischen Zukunftsvorstellungen hätten jedoch schon früher auffallen müssen.

Vor nicht all zu langer Zeit ging ein Schock durch die jüdische Aktivist:innen-Bubble: Der Israel-Aktivist Rudy Rochman wurde während Dreharbeiten zu seiner Dokumentation über die nigerianische Igbo-Community von der dortigen Regierung entführt und für mehrere Wochen versteckt gehalten. In dieser Zeit bangten Aktivist:innen auf der ganzen Welt um Rudy Rochman. Wir warteten auf Nachrichten, checkten seinen Instagram Account und verbreiteten den Hashtag #freerudy. Schließlich war er einer von uns und kämpfte für unsere Interessen. Einige Jahre zuvor war er vor allem dadurch bekannt geworden, dass er an mehreren amerikanischen Universitäten für die Rechte von Jüdinnen und Juden und Israel einstand: Er scheute sich vor keiner Diskussion, egal wie konfrontativ und vergeblich sie schien. Rudy Rochman stellte sich den Debatten, stritt vor laufenden Kameras mit überzeugten Antisemit:innen und lieferte ein gutes Argument nach dem anderen.

Unglücklicherweise ist Rudy Rochman heute zu einem Sinnbild dafür geworden, wie wichtig es ist, seine Vorbilder immer wieder neu zu reflektieren und wenn nötig, sich auch von ihnen zu distanzieren. Denn die Entwicklung, die Rudy Rochman über die Jahre gemacht hat, ist alles andere als vorbildlich.

Selbst Schuld?

Ende vergangenen Jahres erschien Rochman im Podcast In Godfrey We Trust, der vom US-amerikanischen Comedian Godfrey gehostet wird. Darin legitimierte er die Bewegung der “Black Hebrew Israelites”, einer afroamerikanischen, religiösen Bewegung, die behauptete, von den biblischen Israelit:innen abzustammen. Einige Gruppen unter ihnen fallen vor allem durch die Verbreitung antisemitischer Codes und Verschwörungserzählungen auf. Unter anderem glauben Teile der Schwarzen Hebräer, dass Afroamerikaner:innen die “wahren Jüdinnen und Juden” seien und als Nachfolge der antiken Israelit:innen gelten. Diejenigen, die sich heute als Jüdinnen und Juden ausgeben, seien in Wirklichkeit weiße Europäer:innen, die das Judentum unrechtmäßig für sich beansprucht hätten. Diese krude Verschwörungserzählung gewann nicht zuletzt an Aufmerksamkeit, als Kanye West behauptete, Schwarze seien quasi auch “Jews”.

Rochman, von dem als jüdischem Aktivisten zu erwarten wäre, dass er die von dieser Bewegung ausgehende antisemitische Gefahr einordnen könnte, drehte den Spieß stattdessen um und beschuldigte implizit Jüdinnen und Juden, am Antisemitismus mancher Schwarzer Hebräer Schuld zu sein, da sie diese nicht als Jüdinnen und Juden anerkennen.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Rochman mit Aussagen, die einer Täter-Opfer-Umkehr nahekommen, auffällt. Vergangenes Jahr behauptete er in einem Video, Jüdinnen und Juden seien zur Zeit der Shoa wie Schafe in die Gaskammern gegangen, anstatt sich zu wehren. Einerseits bewies er damit ein mangelndes Geschichtsverständnis und untergrub zahlreiche jüdische Widerstandsaktionen. Andererseits stand hinter dieser Äußerung die Botschaft, dass Jüdinnen und Juden aufgrund ihrer fehlenden Widerständigkeit selbst Schuld an ihrer Vernichtung trugen.

Rechte Ideologie in progressivem Slang

Doch leider ist es nicht nur Rudy Rochmans fragwürdiges Geschichtsverständnis, das Sorge bereiten darf, sondern auch seine Zukunftsvorstellungen. Rochman hat sich mehrfach als Verfechter der Einstaatenlösung bekannt. In seiner Idealvorstellung leben Israelis und Palästinenser:innen in einem Israel zusammen, das die Westbank miteinschließt und der Größenordnung des biblischen Israels entspricht. Dabei sollte dieser Staat nach Rochmans Vorstellungen ein jüdischer Staat bleiben, auch wenn die Mehrheit seiner Bürger:innen  nicht jüdisch wäre. Die Vorstellung von einem Staat für Israelis und Palästinenser:innen ist nicht nur idealisiert, sondern auch politisch problematisch. Während
Israel seinen Hauptexistenzgrund, ein mehrheitlich jüdischer Staat zu sein, damit verlieren würde, würde es für Palästinenser:innen bedeuten, den Anspruch auf nationale Souveränität und Selbstbestimmung aufgeben zu müssen.

Darüber hinaus ist vor allem besorgniserregend, dass der vermeintliche Traum von einem Israel, das Judäa und Samaria miteinschließt, mehrheitlich von Israels religiös-fundamentalistischen, rechtsextremen Parteien propagiert wird. Bei Rochman wird diese Ideologie in progressive Sprachmuster verpackt und damit unterschwellig der breiten Masse zugänglich gemacht. Wer in dieser Richtung nachforscht, merkt schnell, dass es noch mehr Hinweise für
problematisches Gedankengut bei Rochman gibt: Das demokratische System Israels beschreibt er als „Überbleibsel der britischen Mandatszeit“. In seiner demokratiefeindlichen Zukunftsvorstellung imaginiert er Israel also als Theokratie, in der Selbstbestimmungsrechte für Minderheiten nicht gelten.

Vielleicht ist es somit an der Zeit, den Hashtag #freerudy zu #freerudyfromideology anzupassen, denn von gefährlichen Ideologien gibt es in seinen Videos mehr als genug. Auch wenn er vorgibt, für Jüdinnen und Juden zu kämpfen, muss seine zugrunde liegende Weltanschauung kritisch hinterfragt werden.

Hanna Veiler

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