Die österreichische Vergangenheitspolitik – mehr zum Lachen als jedes Kabarett
Die österreichische Vergangenheitspolitik lässt sehr zu wünschen übrig. Von der bis heute mangelhaften Aufarbeitung der Geschichte über die Statue Karl Luegers bis zu Politiker:innen, die sich antisemitischer Verschwörungsmythen bedienen. Es wird niemals langweilig. Die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen haben alle Hände voll zu tun.
Der Mann, dessen Statue seit Jahrzehnten umstritten ist: Dr. Karl Lueger. Im 19. Jahrhundert ein Pionier des Hochquellwassers, der Stadtbahnlinien und ein Bürgermeister des Volkes.
„Wer a Jud ist, bestimme immer noch ich!“, sagte der Mann, der den Antisemitismus salonfähig machte. Ein Vorbild Adolf Hitlers, über viele Seiten in Mein Kampf zitiert. Und noch heute steht eine Statue zu seinen Ehren inmitten des ersten Wiener Gemeindebezirks. 27 Meter hoch, voll mit Taubenscheiße und verziert mit „Schande“-Graffiti. Das Ebenbild eines wahrhaftigen Wiener Bürgermeisters.
Unzählige Protestaktionen, Kunstinstallationen und Interventionen wurden beim Dr.-Karl-Lueger-Platz unternommen, um ihn endlich „vom Sockel zu hauen“. Auch wir haben an Aktionen wie der “Schandwache” im Herbst 2020 teilgenommen, eine Petition gestartet, Kunstinstallationen organisiert, an unzähligen Podiumsdiskussionen teilgenommen und der Debatte einen ganzen Schwerpunkt im ersten NOODNIK gewidmet. Wir werden damit nicht aufhören.
Kaputtes Geschichtsbild, antisemitische Töne
Wir sehen, was für ein kaputtes Geschichtsbild Karl Lueger der ÖVP hinterließ. Politiker:innen dieser damals “christlich-sozial” genannten Volkspartei, die in der Zwischenkriegszeit den Austrofaschismus hervorbrachte und das Porträt ihres “Kanzlerdiktators” (Was ist das eigentlich?) Dollfuß bis 2017 im Parlamentsklub hängen hatte, sind regelmäßig in den Medien, weil sie sich antisemitischer Töne bedienen: Der neue Innenminister Gerhard Karner behauptete, die SPÖ habe mit “Herren aus Amerika und Israel gegen das Land gearbeitet” und sei ein “Klimavergifter”. ÖVP-Außenminister Schallenberg sagte in einem ZIB2 Interview zum Ukraine-Krieg: “Wir haben doch 1938 am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn man alleine gelassen wird” – und wärmte damit den Opfermythos wieder auf.
Karner hat sich zwar für seine Aussage entschuldigt, nachdem wir einen Offenen Brief mit unzähligen Unterzeichner:innen wie Elfriede Jelinek oder Michael Köhlmeier veröffentlicht hatten, das von ihm betriebene Dollfuß-Museum steht aber nach wie vor.
Fast hätten wir noch unseren Nationalratspräsidenten Sobotka vergessen, der Ende Februar mit fragwürdigen historischen Vergleichen auffiel: Auf die Frage, ob er bereit sei, Kriegsvertriebene aus der Ukraine aufzunehmen, antwortete er: “Die Ukrainer müssen in der Ukraine bleiben und letztlich ihr Land verteidigen. Was wäre gewesen, wenn alle Österreicher nach 1945 geflohen wären?” Demnach wurde unser Österreich also 1945 nicht befreit.
Testpflicht: Eine Shoah?
Anfang Jänner brachten wir eine Klage mit der Forderung nach Strafanzeige gegen FPÖ-Chef Kickl wegen Wiederbetätigung ein. Was hatte der Anführer der Schwurbler:innen und Corona-Maßnahmen-Gegner:innen zuvor gesagt? Als er im ZIB2 Interview damit konfrontiert wurde, dass sich bei den “CoronaDemonstrationen” Menschen mit Jüdinnen und Juden verglichen, “Judensterne” trugen und die Corona-Maßnahmen in eine Reihe mit der systematischen Vernichtung von Jüdinnen und Juden im 3. Reich stellten, sagte Kickl, “[…] dass der Nationalsozialismus nicht mit einem Weltkrieg begonnen hat, und nicht mit irgendwelchen Vernichtungslagern, sondern er hat damit begonnen, dass man Menschen systematisch ausgegrenzt hat. Er hat damit begonnen, dass man zum Beispiel Kinder, weil sie jüdischer Abstammung gewesen sind, nicht in die Schule gelassen hat.”
Mit diesem Vergleich der Testpflicht an Schulen mit der systematischen Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und späteren Ermordung jüdischer Kinder durch die Nazis relativierte Kickl die Verbrechen der Nazis und die Shoah. Wir haben seine Aussage nicht unbeantwortet gelassen. Ob die Justiz entsprechend handelt, wird sich zeigen.
Wir bekamen auf die Klage keine Reaktion von FPÖChef Kickl, dafür wurden wir überschwemmt mit Hass-Emails seiner schwurbelnden Anhänger:innen. In einer Telegram-Gruppe namens Österreich steht auf mit rund 7.000 Mitgliedern wurde das Impressum der JöH mit der Aufforderung “Die jüdische Hochschülerschaft, gesponsert von wem? Vom Bundeskanzleramt (!) klagt Kickl an. Bitte alle hinschreiben.” verbreitet. Seitenlange E-Mails mit antisemitischer Rhetorik, ein großer Wirrwarr aus Holocaustverharmlosung, Jesus-Zitaten und Beleidigungen. Antworten zur “Fanpost” gibt es auf Seite 37-38 zu lesen – Kopfschütteln garantiert!
Doch jener abstoßende Umgang mit der Vergangenheit zeigt sich nicht nur bei Politiker:innen, sondern sitzt tief verankert in unserer Bevölkerung. Als Präsidentin Sashi Turkof bei Ö1 eingeladen war, um gemeinsam mit Andreas Peham über die Kickl-Klage und den Antisemitismus in Österreich zu sprechen, fragte eine Anruferin sie, “warum sich Jüdinnen und Juden im 2. Bezirk so provokant anziehen”. Sie sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, die das Ausmaß des Problems erahnen lässt.
Wie man sieht, gibt es also noch viel Bedarf an Aufklärung. Deswegen stellen wir seit dem Frühjahr einen Antisemitismus-Workshop auf die Beine. 12 Jüdische Student:innen werden von Expert:innen ausgebildet, um Peer-to-Peer-Workshops über Antisemitismus in studierendenpolitischen Kreisen anzubieten.
Antisemitismus verkleidet als “linke” Solidarität
Dort gibt es leider auch antisemitische Einstellungen. Bemerkbar hat sich das beim Hanau-Gedenken im Februar gemacht, als die Migrantifa Wien erneut darauf verzichtete, die JöH einzuladen, welche die demokratisch gewählte Repräsentantin aller jüdischen Student:innen ist, und stattdessen die Splittergruppe “Judeobolschewienerinnen” einlud. Diese hatten sich bereits öffentlich mit der antisemitischen Organisation Boycott, Divestment and Sanctions against Israel (BDS) solidarisiert. Als ob das noch nicht genüge, missbrauchte die Vertreterin dieser Gruppe an dem Gedenktag, bei dem es eigentlich darum gehen sollte, der neun ermordeten Menschen zu gedenken und sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus auszusprechen, die Bühne, um ihre fragwürdige Positionierung zu israelbezogenem Antisemitismus kundzutun. Sie kritisierte, dass die Demonstrationen in Wien “in Solidarität mit Palästinenser:innen” als antisemitisch bewertet wurden. Aussagen wie “Schiebts euch den Holocaust in den Arsch!”, Intifada-Parolen, Schilder mit “The Nazis are still around, they call themselves Zionists now!!!” und Aufrufe zu antisemitischen Massakern sind nicht antisemitisch? Auweia, da haperts wohl noch.
Die antisemitische BDS-Austria organisiert jährlich die “Israeli Apartheid Week” in Wien, so auch Ende März 2022. Dort rottete sich eine Handvoll obskuranter BDS-Anhänger:innen am Platz der Menschenrechte zusammen. Unter dem unmissverständlichen Banner “From The River To The Sea, Palestine Will Be Free” – das meint die Auslöschung Israels – verbreiteten sie ihre als Menschenrechtsarbeit getarnte Ideologie des Hasses. Die JöH veranstaltete in unmittelbarer Nähe eine Gegenkundgebung, verteilte Getränke der Marke SodaStream, Datteln aus Israel und spielte laute Musik aus dem gelobten Land. Auf der BDS-Kundgebung wurde eine Rede der antisemitischen Gruppe Dar Al Janub gehalten, eine Mini-Organisation, die personell quasi deckungsgleich mit BDS ist. In der Rede bezeichneten sie uns, die JöH, als “Nachfahren der Pogromdeutschen”, machten uns für Anschläge auf Moscheen verantwortlich und drohten mit Gewalt. Mitten auf der Antisemit:innenDemonstration: Eine linke Bloggerin, die fast 21.000 Follower auf Instagram hat und noch immer in den linken Strukturen Wiens akzeptiert wird.
Dieser Fall zeigt, warum ein studentischer Peer-to-PeerWorkshop zu israelbezogenem, linkem und verschwörungsideologischem Antisemitismus dringend von Nöten ist.
Eine weitere große Thematik, mit der sich die JöH beschäftigt, ist der Ukraine-Krieg. Die Invasion Putins mit dem Zweck der vermeintlichen “Entnazifizierung” der Ukraine ist unfassbar schrecklich und bedrückend. Dass Millionen Menschen vor einem Krieg fliehen müssen, Shoah-Überlebende die Traumata und die Schrecken des Krieges wieder durchleben müssen, ist für uns alle ein tiefsitzender Schock. Die Ukrainer:innen auf der Flucht brauchen Spenden, Lebensmittel zum Überleben, Unterkünfte und unsere vollste Solidarität. Daher haben wir gemeinsam mit der Jüdischen Studierenden Union Deutschlands (JSUD) und der ÖH Uni Wien eine Spendenaktion gestartet und insgesamt 15 Tonnen Hilfsgüter an die slowakisch-ukrainische Grenze geschickt. Wir sind allen dankbar, die gespendet haben, die mitgeholfen haben, Spenden zu sortieren und zu verpacken und allen, die mit Sprintern quer durch Europa gefahren sind, um sicherzugehen, dass die Spenden dort ankommen.
Es ist also immer einiges los bei uns in der JöH. Ob offene Briefe und Klagen gegen die Spitzen der Politik, der unermüdliche Kampf gegen Antisemitismus oder die Hilfeaktion für die Ukraine. Das ist unser Beitrag zum jüdischen Widerstand. Doch was genau meint das alles? Die Antwort auf diese Frage findet sich im NOODNIKSchwerpunkt “Jüdischer Widerstand und Resilienz”.
VICTORIA BOROCHOV