Cancel Antisemitism
Viele Dinge sind unvereinbar mit den Werten der Linken: Rassismus, Antifeminismus oder Queerfeindlichkeit. Israelbezogener Antisemitismus hingegen bleibt salonfähig. Fortwährend muss man feststellen, dass Menschen, die den israelischen Staat und die Idee der Selbstbestimmung des jüdischen Volkes (aka Zionismus) zum Ursprung allen Übels dieser Welt erklären, selbst von etablierten Persönlichkeiten innerhalb der Linken, von Zeitschriften oder gar Universitäten und Museen, unkritisch eine Bühne geboten wird. Zumindest solange man sie nicht explizit darauf hinweist.
Wahrlich schön wäre es gewesen, eine Ausgabe des NOODNIK mit einem Kommentar einzuleiten, der in tiefenentspannter Manier über Dinge wie Shabbat-Dinner, Open Mic Sessions und Filmvorführungen mit Studierenden berichten kann. Ansonsten käme einem ja fast der Eindruck, die JöH beschäftige sich primär damit, antisemitische und nicht-antisemitische Idiot:innen darauf hinzuweisen, wo und wann diese in ihrer gedanklichen Gymnastik falsch abgebogen sind. Oder, um in der passenden Metapher zu bleiben, wo genau die Ausfallschritte ausfällig wurden. Jedoch scheint Corona irgendwie vorbei und Aerobic wieder im Trend zu sein, und damit ist die Ehre ganz unsererseits, diesen Menschen etwas auf die Sprünge (haha) zu helfen.
“Darf sie das?”
Zum Einstieg erst einmal ein Rätsel: Gesucht wird eine österreichische Podcasterin mit einer Obsession für einen ganz bestimmten Konflikt im Nahen Osten (kleiner Tipp: es sind nicht die Golfkriege). Dabei scheut sie sich in ihrem “Aktivismus” nicht davor, Beiträge antisemitischer, gewaltverherrlichender Seiten mit ihren über 20.000 Followern zu teilen. Wem an diesem Punkt immer noch unklar ist, wen ich hier meine, sollte sich zutiefst glücklich schätzen. Erst ein paar Monate ist es her, dass die JöH im Zuge einer von BDS Austria organisierten Demonstration, anlässlich der “Israeli Apartheid Week”, als “Nachfahren von Progromdeutschen” bezeichnet wurde. Das Wissen um solche Aussagen haben wir nicht nur dadurch, dass wir selbst dort anwesend waren, sondern auch weil dies von den Mitorganisator:innen (“Dar Al Janub”) stolz auf Facebook gepostet wurde. Es erstaunt uns, im schlechtesten Sinne, wie man meinen kann, dass es eine gute Idee sei diese Rede zu veröffentlichen, geschweige denn, solch einen Satz überhaupt erst auszusprechen. Naja, die Antisemitismus-Meldestelle dankt – das war einfach.
Die oben genannte Bloggerin war selbstverständlich auch auf der Demonstration anwesend, als Teilnehmerin, wobei sie auf jegliche Distanzierung von solchen Aussagen verzichtete. Stattdessen teilte sie lieber Beiträge, auf denen Davidsterne zu sehen sind, Mal angedeutet hinter einem Haufen voller Geld, ein ander Mal explizit auf der Brust des deutschen Bundesadlers. Im selben Posting wird zudem behauptet, “Deutschland” wäre “feindselig gegenüber jeglichen palästinensischen Aktivitäten”, aufgrund von “Schuldgefühlen bezüglich des Holocausts”. Welche anderen Gründe könnte es nur dafür geben, Demonstrationen zu verbieten, auf denen Journalist:innen als “scheiß Juden” beschimpft werden oder Jüdinnen und Juden durch Rufe wie “Khaybar Khaybar ya yahud, jaish Mohammed sa yaoud”, in Anlehnung an einen antijüdischen Feldzug Mohammeds, mit der Rückkehr dessen Heeres und dementsprechend mit dem Tod gedroht wird? Gegen solche Kollektivschuld-Gefühle weiß sich Nicole jedoch couragiert zu wehren und kann dadurch kurzerhand den jüdischen Staat als das größte Übel unter allen ausmachen, sozusagen als den “Juden unter den Staaten”. Der historische Kontext, die existenzielle Bedrohung, Vernichtungsfantasien seitens der umliegenden Staaten oder gar die Schoa spielen für ihre Überlegungen keine Rolle. Verständlicherweise, es sind seither ganze 77 Jahre vergangen, quasi eine Ewigkeit für Antisemit:innen, die sabbernd auf das freie Ausleben ihrer Ressentiments warten. Es gibt also eine relativ simple Antwort auf die Frage, welche zugleich den Titel ihres Podcasts ziert: Nein. Nein, sie darf nicht.
“Liebes Tagebuch…”
Wenn Nicole Schöndorfer eine Pause vom Teilen antisemitischer Postings braucht, arbeitet sie an journalistischen Projekten mit. So plante etwa die linke Zeitschrift “Tagebuch” einen Podcast mit ihr, Kerem Schamberger, Lukas Oberndorfer und Natascha Strobl, also mit Expert:innen zu Themen wie Rechtsextremismus. Das Projekt sollte sich “analytisch allen Herrschaftsverhältnissen widmen und zugleich Konturen einer solidarischen Zukunft zeichnen”. Dabei brauchte man nicht lange für die Erkenntnis, es sei vielleicht nicht die beste Idee, einen solchen Podcast mit Personen durchzuführen, welche Gefängnisausbrüche des Islamischen Djihad in Palästina mit den Worten “this prison break is glorious” im wahrsten Sinne des Wortes glorifizieren oder sich mit PFLP-Terrorist:innen solidarisieren (looking at you, Kerem <3). Dumm nur, dass man zu dieser Einsicht erst nach dem freundlichen Hinweis der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen gelangte, der in Form eines offenen Briefs erfolgte. Es ist ermüdend, abermals festzustellen, dass sonst so kritisch-denkende Vertreter:innen der politischen Linken, Kooperationen mit jenen eingehen, die kein Problem mit Antisemitismus haben.
Der Podcast wurde letztendlich abgesagt – da war jemand einsichtig, könnte man meinen. Doch wenig später veröffentlichte der Herausgeber der Zeitschrift, namentlich Samuel Stuhlpfarrer, einen Beitrag, in dem er zu den Umständen Stellung nahm. Wer jetzt der rationalen Intuition folgend denkt, Stuhlpfarrer habe zumindest an einer einzigen Stelle die konkreten Vorwürfe gegen die Hosts des Podcasts abgehandelt, geschweige denn erwähnt, den:die müssen wir schweren Herzens enttäuschen: In seinem Text “Die Enge des Raums” philosophiert Stuhlpfarrer endlos über Menschen, die sich für die “Sache der Palästinenser” einsetzen, über seine innige Freundschaft zu einem antizionistischen Juden, der meinte, Juden sollten “in ihren jeweiligen Ländern für die Befreiung des Volkes kämpfen” und letzendlich darüber, wie “eingeengt” er sich fühlt bezüglich der angeblichen “Deutungshoheit” bezüglich Antisemitismus, die er mit dem Verweis auf gefühlte zwei Dutzend antizionistischer Jüdinnen und Juden sowie auf die JDA-Antisemitismusdefinition für seine Ansichten beanspruchen möchte.
Liebes Tagebuch,
wir für unseren Teil freuen uns, dass der Raum, in dem Menschen, die mit Aussagen wie “Palestinians don’t have to feel sorry for the deaths of their oppressors” ihre Einverständnis mit Terroranschlägen gegenüber der israelischen Zivilbevölkerung erklären, als “eng” empfunden wird. Jedoch möchten wir Samuel das Gefühl der Einengung nehmen, weshalb wir ihm als kleine Anerkennung etwas mehr Raum auf der letzten Seite des NOODNIK zur Verfügung gestellt haben.
Was ist ein Hetero-Conquest?
Mit dieser Frage wurden wir zum ersten Mal vor etwa einem Monat konfrontiert und seitdem schwirrt sie in unseren Köpfen herum. Was genau meint Dr.in Walaa Alqaisiya, wenn sie in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt von “Hetero-Conquest” spricht? Keine Ahnung. Die JöH kann zweifellos von sich behaupten: Wir stehen entschieden gegen jeden Hetero-Conquest. Was auch immer das sein mag. Allerdings ließ bereits der Beschreibungstext des Vortrags Alqaisiyas, welcher unter dem Titel “Queering Aesthetics: Unsettling the Zionist Sensual Regime” im Mumok hätte stattfinden sollen, nichts Gutes vermuten. Dort ist nämlich von einer “zionistischen Struktur mit dem Ziel der Eliminierung der indigenen Bevölkerung” die Rede, womit eindeutig ein Völkermord unterstellt wird, eine klare Diffamierung des Jüdischen Staates. Überdies wird Israel nach dem Vorbild des Iran derart das Existenzrecht abgesprochen, dass dessen Name nicht genannt, sondern nur von “Zionistischem Regime” oder “Struktur” gesprochen wird. Die Idee einer jüdischen Selbstbestimmung wird somit per se zum Feindbild. Man kann sich ausmalen, wie ein solcher Vortrag ausgesehen hätte. Letztlich wurde von den Organisator:innen der Akademie für Bildende Künste und der Museumsdirektion die Problematik dieser und anderer Behauptungen festgestellt und die Veranstaltung abgesagt, was jedoch erneut erst nach dem freundlichen Hinweis unsererseits geschah. Entweder lesen Kunstuniversitäten die Beschreibungen ihrer eigenen Veranstaltungen nicht, oder sie sind ohne externe Hinweise blind gegenüber israelbezogenem Antisemitismus. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Fehlende Entschlossenheit
Das Einschreiten der JöH bleibt natürlich nicht ohne Gegenwehr. Die “Opfer” unseres allmächtigen Cancel-Hammers konfrontieren uns mit der Anschuldigung, wir seien “rechte Zionisten” und würden jegliche Kritik am israelischen Staat mundtot machen wollen. Von dem Unterschied zwischen Kritik und Ressentiments möchten sie dabei nichts wissen. Es bleibt zudem die Frage, wie wir gleichzeitig als rechte Zionisten und als linke Jagdgesellschaft bezeichnet werden können, je nachdem ob wir gerade in Frage stellen dass Israel einen „Hetero-Conquest“ betreibt, oder wir keine Lust haben mit Martin Sellner eine Melange im Cafe Stein zu trinken.
Doch wie kann es überhaupt zu diesem Punkt kommen? Warum liegt es an den Jüdischen österreichischen Hochschüler:inenn, linke Zeitschriften auf problematische Äußerungen ihrer Mitarbeiter:innen hinzuweisen? Oder die Beschreibungen von Veranstaltungen renommierter Kunstuniversitäten nachzulesen? Warum lassen sich selbst nach Absage des Tagebuch-Podcasts keine Stellungnahmen zu den tatsächlich geäußerten Kritikpunkten finden? Sind Verherrlichung von Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung nicht zu verurteilen? Dabei wissen die Verantwortlichen meist genauestens um die Problematik Bescheid. Man möchte sich jedoch nicht auf die Füße treten und schon gar nicht treten lassen.
Letztendlich bleibt die Tatsache, dass in einer Linken, in der Platz für Antisemitismus ist, kein Platz für Jüdinnen und Juden bleibt. Dann ist der Raum sehr eng. Man könnte quasi sagen, uns ergeht es wie Samuel Stuhlpfarrer (Zwinker-Smiley).
ALON ISHAY