Die kämpfende Frau im Nahen Osten

Die kämpfende Frau im Nahen Osten

Frauen mit der Waffe in der Hand sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit, sie sind der Albtraum des Patriarchats. Denn mit dieser Selbstermächtigung verändert sich auch ihre Stellung in der Gesellschaft. Anhand der kämpfenden Frauen in Israel und Kurdistan lässt sich dies verdeutlichen.

Die Befreiung der Frau als Maßstab aller Freiheit

„Jin, Jiyan, Azadî“ (Deutsch: „Frau, Leben, Freiheit“) lautet eine zentrale Parole der kurdischen Freiheitsbewegung. In deren Zentrum steht die Befreiung der Frau als zentrales Mittel der gesellschaftlichen Demokratisierung gegen patriarchale Herrschaft und jede Form von Unterdrückung. Diese bewahrheitete sich im Kampf gegen die jihadistischen Terrorgruppen des IS, als kurdische Frauen an vorderster Front gegen eine der extremsten Zuspitzungen patriarchaler Gewalt kämpften. Auch historisch ist das Motiv der kämpfenden Frau, trotz der stark patriarchalen Gesellschaftsstruktur, tief in der kurdischen Kultur verankert. Eine der bedeutendsten Figuren ist die kurdisch-alevitische Frau Zarîfe Xanim, die sich während des Genozids an den Alevit:innen in Dersim 1937/38 dem türkischen Staat widersetzte.

Die Bedeutung der kämpfenden Frau weist außerdem auf das Verständnis, dass die Unterdrückung der Frau der Grundbaustein aller anderen Formen von Unterdrückung ist, hin. Die Frau wird als “die erste Kolonie” verstanden, ihre Befreiung wird damit zum Maßstab für jede freie Gesellschaft. Genau jenes Verständnis offenbart sich unter anderem in den autonomen Frauenverteidigungseinheiten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, bekannt als Rojava. Dort versucht die kurdische Gesellschaft, in Zusammenarbeit mit êzidischen, armenischen, turkmenischen und anderen Minderheiten, ein vom institutionellen Patriarchat befreites feministisch-ökologisches Autonomiegebiet zu errichten. Dieses soll in demokratischer Selbstverwaltung jenseits von Nationalstaat und zentralisierter Herrschaft existieren.

In den verschiedenen Rätestrukturen, die auf basisdemokratischer Grundlage die Gesellschaft von unten nach oben hin organisieren sollen, werden alle Funktionen paritätisch besetzt. Verwaltungsstrukturen ohne Frauen existieren dort nicht. Es gibt keinen Ort in Rojava, an dem Frauen nicht aktiv vertreten sind. Sie sind überall präsent. Diese zunehmende Sichtbarkeit der Frau in wichtigen Positionen in der Selbstverteidigung oder Selbstverwaltung, in der Familie, Bildung, Wirtschaft oder im öffentlichen Raum, verändert auch viel im Weltbild junger Menschen. Sie führt zu einem zunehmenden Selbstbewusstsein kurdischer Frauen, sowie zu vermehrter gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Kampf gegen das Patriarchat.

Das Projekt der Frauenbefreiung in Rojava ist auch seit jeher mit Angriffen konfrontiert: sei es der türkische Nationalstaat, der arabische Nationalismus oder der Islamismus. All diese reaktionären Bewegungen und Regime führen einen permanenten Krieg gegen die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen und andere Minderheiten in der Region, sowie jegliche Form der Emanzipation. Doch der Kampf, den die kurdischen Frauen führen, ist keineswegs ein isolierter. Es ist ein Kampf für die Befreiung von Unterdrückung und patriarchaler Gewalt, den es universell zu führen gilt. Rojava zeigt uns, dass es möglich ist.

Die israelische Armee als Plattform der Emanzipation der Frau

Die israelische Armee ist auf Frauen angewiesen und das nicht nur wegen der obligatorischen Dienstpflicht, die 1949 eingeführt wurde. Bereits während des Unabhängigkeitskrieges 1948 kämpften Frauen an vorderster Front und trugen somit zum Erhalt des Staates Israels bei. Drei Jahre später wurde Yael Rom die erste Absolventin des Pilotenkurses der israelischen Luftwaffe. Aufgrund gesellschaftlicher Bedenken, bei Kriegsgefangenschaft vergewaltigt zu werden, wurden Frauen Kämpfer:innenpositionen, einschließlich des Berufs der Pilotin, untersagt. Diese Entscheidung spaltete die Gesellschaft, denn es schien als hätte man das Vergewaltigungsproblem als Vorwand genommen, um Frauen aus gewissen Aufgabenbereichen des Militärs auszuschließen. Das Thema wurde in allen Sphären der Gesellschaft diskutiert und es kristallisierte sich die Meinung heraus, dass Frauen physisch wie psychisch nicht dafür geeignet wären, Kämpferinnen zu sein, in anderen unterstützenden Einheiten jedoch mehr als gebraucht werden. Somit dienten Frauen in Israel für knapp 50 Jahre in der israelischen Armee zwar nicht als Kämpferinnen, dafür aber in allen möglichen Positionen, sogar als Offizierinnen. Bis Alice Miller im Jahre 1994 einen historischen Meilenstein legte, der die israelische Gesellschaft von Grund auf veränderte.

Alice Miller, die schon immer eine Leidenschaft für die Luft- und Raumfahrttechnik hatte und Kampfpilotin werden wollte, versuchte, sich vor ihrem Eintritt in die israelische Armee für den Pilotenkurs anzumelden. Jegliche Versuche scheiterten. Sie entschloss sich dazu, das Militär zu verklagen, da ihr das Recht, sich für den renommierten Pilotenkurs einzuschreiben, verwehrt wurde. Der Prozess reichte bis zum Obersten Gerichtshof in Israel, welcher feststellte, dass das Verbot der Zulassung weiblicher Rekrutinnen zum Pilotenkurs verfassungswidrig ist. Miller bekam nun die Gelegenheit, am Pilotenkurs teilzunehmen, konnte diesen jedoch aufgrund medizinischer Probleme nicht bis zum Ende abschließen. Nichtsdestotrotz löste sie große Veränderungen sowohl in der Armee als auch in der Gesellschaft aus und legte den Grundstein für viele weitere Erfolge zahlreicher Frauen im Militär. Nur fünf Jahre später wurde Sheri Rahat nach fast fünf Jahrzehnten die erste Absolventin des Pilotenkurses als F-16 Kampfnavigatorin. Seit Millers historischer Berufung haben über 38 Frauen diesen erfolgreich absolviert. Diese Zahl mag vielleicht nicht beeindruckend klingen, doch ist sie es in Anbetracht dessen, dass nur 5 Prozent aller Antretenden diesen auch bestehen. Er ist einer der renommiertesten Kurse der Armee.

Millers Appell stellte Israels Demokratie, die Frage der Gleichstellung und Chancengleichheit von Männern und Frauen auf die Probe. Seit der Gerichtsentscheidung wurde die Struktur des Militärs von Grund auf überdacht und die Rolle der Frau in der Armee wurde aktiv erweitert. Das israelische Militär fördert offen die Gleichstellung der Frau und bezeichnet dies als einen seiner wichtigsten Werte. Mittlerweile stehen mehr als 90 Prozent der Positionen in der Armee für Frauen offen, mit der Hoffnung, dass die Zahlen weiterhin steigen. Der Militärdienst in Israel stellt eine einzigartige Plattform dar, die junge Frauen und Männer dazu auffordert, ihre eigenen Werte und Gesellschaftsvorstellungen zu hinterfragen. Da klassische Rollenbilder in der Armee ansatzweise aufgebrochen werden, ist das ein Schritt, welcher hoffentlich die Emanzipation der Frau in der israelischen Gesellschaft voranbringt.

Lori Şahan & Noa Kosman

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