“Ich mag Heimat überhaupt nicht” – Ruth Beckermann im Interview
Der Filmclub Tacheles hat in den letzten zwei Monaten die Filmreihe Beckermann zum Werk der Regisseurin Ruth Beckermann an der Universität Wien organisiert. Ruth Beckermann wurde 1952 in Wien geboren, wo sie in einer jüdischen Familie aufwuchs und bis heute lebt und arbeitet. Beckermann studierte Publizistik und Kunstgeschichte in Wien und promovierte 1977 zur Dr.in phil. Seit den 1980er Jahren arbeitet sie als Autorin und Filmemacherin. Ihre letzten beiden Werke “Waldheims Walzer” (2018) und “Mutzenbacher” (2022) wurden bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin erstaufgeführt und ausgezeichnet. Der Schwerpunkt von Filmclub und Filmreihe liegt auf den Themen Judentum, Erinnerungskultur und Antisemitismus in Österreich. Entlang dessen wurden fünf Filme der Regisseurin ausgewählt und vorgeführt. Der NOODNIK war dabei und hat ein Gespräch mit der Filmemacherin geführt.
NOODNIK: Für uns junge Jüdinnen und Juden, teils Nachkommen von Schoa-Überlebenden, ist deine Arbeit sehr wertvoll, da du mit Filmen wie Jenseits
des Krieges oder Waldheims Walzer eine Brücke zu Geschehnissen des vorherigen Jahrhunderts baust, zu denen wir durch deinen persönlichen Blick einen ganz einzigartigen Zugang finden. Aus diesem Grund ist es für uns sehr interessant, mehr über die Anfänge deiner Arbeit zu erfahren. Wie hat deine Auseinandersetzung mit dem österreichischen Judentum und seiner Geschichte begonnen?
Ruth Beckermann: Das ist natürlich für meine Generation sehr spezifisch und anders als für eure. Viele der Generation meiner Eltern hatten nicht vor, in Wien zu bleiben. Mein Vater ist, so wie viele andere, die in Osteuropa überlebt haben, in Wien gestrandet, als Displaced Person. Meine Mutter war in Palästina und wollte nie zurück nach Wien, obwohl sie Wienerin war. Es gab also einen Widerspruch. Meine Mutter wollte eigentlich nicht hier sein, mein Vater hat Wien geliebt. Für meinen Vater, der aus Czernowitz kam, war der Kaiser, die Sissi und die Schönheit dieser Wiener Stadt mit ihrer Eleganz sehr wichtig. Und er wollte eigentlich nie weg von hier und schon gar nicht nach Israel. Und in diesem Widerspruch was Wien betrifft, in dieser Ambivalenz meiner Eltern, bin ich aufgewachsen. Meine Mutter hat mir vor allem mitgegeben, dass ich weggehen soll. Ich bin auch immer wieder weggegangen, doch immer wieder nach Wien zurückgekommen. Ich glaube, dass für meine Kreativität und die Wahl meiner Themen diese so genaue Kenntnis der Stadt wichtig war. Die Kenntnis aller Nuancen. Ich kann nur in Wien sofort verstehen, aus welchem Bezirk eine:r kommt. Sofort verstehen, wenn eine:r auch nur irgendetwas Antisemitisches oder Rassistisches andeutet. Auch nur aus den Blicken. Diese tiefe Kenntnis ist wichtig, um gute Arbeit zu machen. Vor allem, wenn es um sehr persönliche Themen geht. Dies konnte ich nur hier machen und es wurde für mich zunehmend wichtiger, mich mit Wien auseinanderzusetzen.
Ich bin dann Teil der linken Bewegungen hier geworden, nach der Arena Besetzung hat es mich richtig hineingezogen zum ersten Mal. Also raus aus diesem etwas exterritorialen Dasein in dieser winzigen jüdischen Gemeinde, die sehr verschlossen war bis zur Waldheim Affäre. Es hat mich hineingezogen in diese Linke und es hat mir unglaublich gefallen, dass es dort egal ist, welche Herkunft wir haben oder welches Gender. Wir wollten eine Utopie verwirklichen.
Als 1982 während des Libanonkriegs meine Freund:innen und Genoss:innen durch die Stadt zogen mit Sprüchen wie „Nazis raus aus dem Libanon“, war das ein ziemlicher Schock. Ich war immer sehr kritisch, was die israelische Politik betrifft. Aber dieser Vergleich in den Straßen von Wien war mir zu viel. Da hat die Entfernung von vielen meiner linken Freund:innen begonnen, wobei viele von ihnen natürlich auch jüdisch waren.
Wir haben Anfang der 80er Jahre eine Gruppe bei dem Psychoanalytiker Josef Shaked gehabt. Eine Großgruppe, wo junge Jüdinnen und Juden im Kreis gesessen sind und zum ersten Mal wirklich über ihre Gefühle hier gesprochen haben. Davor hast du mit niemandem darüber gesprochen. Die Eltern haben auch nicht darüber gesprochen. Es war sehr tabuisiert, in der Öffentlichkeit als Jüdin oder Jude aufzutreten. Erst in den 80er Jahren hat es begonnen, dass wir miteinander geredet haben über unsere Gefühle in Wien zu sein. So hat es eigentlich begonnen, dass ich mich mit jüdischen Themen auseinandergesetzt habe.
N: Für uns Jüdinnen und Juden, die in Wien leben, ist unsere Geschichte noch immer sehr wichtig. Da kommen oft Fragen zu Identität und Zugehörigkeit auf. “Heimat” ist ein Begriff, der in deinen Filmen viel behandelt wird, zum Beispiel in homemad(e). Wie würdest du deine Beziehung zur “Heimat” in Österreich beschreiben?
RB: Ich mag “Heimat” überhaupt nicht. Den Begriff “Heimat” gibt es auch nur im Deutschen, das englische “Home” bedeutet etwas ganz anderes. “Home” ist meine Wohnung oder meine Straße und hat nicht diese mythische Konnotation von etwas Völkischem. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sagt “Österreich ist meine Heimat”, aber ich würde das eigentlich so nicht sagen. Ich habe 1980 das Buch „Unzugehörig“ geschrieben über dieses Thema, das für meine Generation sehr wichtig war. Da habe ich über dieses Gefühl der Unzugehörigkeit geschrieben. Heute habe ich dieses Gefühl nur mehr selten, weil es inzwischen eine breite Diskussion über die Schoa und den Krieg und die Rolle der Österreicher gibt, aber es kommt doch immer wieder hoch.
N: Wann zum Beispiel?
RB: In gewissen Gesellschaften. Am Land zum Beispiel. Oder am Viktor-Adler-Markt. Ich weiß ganz genau, was für Leute dort herumsitzen. Ich weiß auch, dass sie die FPÖ wählen. Aber da kommt noch etwas dazu, wo ich mich wirklich nicht zugehörig fühle, dort wo die Leute sich so auf ein Packl hauen und sagen „Wir sind jetzt alle in unserer Heimat!“.
Es ist mir auch schon in meiner Arbeit passiert, dass bei einem Hearing vor einer Jury jemand gesagt hat: „Sie haben ja Kontakte nach Amerika!“. So, als hätte ich Kontakte zu allen Jüdinnen und Juden in Hollywood. Dann ist es wieder da, das Gefühl von Unzugehörigkeit. Da gehe ich dann sofort, oder sage etwas. Diese Momente kommen sehr unerwartet und manchmal auch von Leuten, von denen man es nicht denkt.
N: Wir schätzen deine Filme auch als politische Aktivist:innen sehr. Siehst du das Filmemachen und speziell auch deine Filme als etwas genuin Politisches? Und falls ja, wo hebt sich da das Kino von anderen Formen des politischen Aktivismus ab?
RB: Ich sehe meine Arbeit durchaus als politisch, aber ich sehe Kino nicht als Aktivismus in diesem Sinne. Wenn ich an Aktivismus denke, denke ich an Demos oder Petitionen. Filme hingegen sollten nachhaltig sein, heißt, hinausgehen über aktuelle Situationen. Ich freue mich, dass der Filmclub Filme von mir gezeigt hat, die 20 Jahre alt sind und älter. Das heißt, ich versuche in meiner Arbeit ein Produkt herzustellen, das auch bleibt, das man immer wieder anders sehen wird, je nach Generation und Land. Wenn ich jetzt ein Flugblatt schreibe oder einen Demo-Spot mache für TikTok, dann hat das natürlich eine ganz andere Funktion, nämlich eine tagesaktuelle. Das kann trotzdem Kunst sein, es kann sehr gut gemacht sein, aber es ist etwas ganz anderes als ein Kinofilm. Ein Film ist ein Abbild seiner Zeit, auch wenn es um ein historisches Thema geht. Ich habe den Waldheim-Film erst 2017/18 gemacht. Unmittelbar nach der Waldheim Affäre wäre es ein ganz anderen Film geworden, weil es dann natürlich noch frischer war, die Diskussion um Österreichs Vergangenheit erst begonnen hatte und ich da mittendrin gewesen wäre. Ich habe den Film also zu einem Zeitpunkt gemacht, als er für mich schon weit weg war und ich dadurch einen kontemplativeren und auch humorvollen Blick darauf werfen konnte.
N: Die JöH hat in den vergangenen zwei Jahren eine große Kampagne für die Entfernung der Karl-Lueger-Statue und die Umbenennung des Platzes organisiert. Karl Lueger wird mitten in Wien mit einem riesigen Denkmal und einem ebenso riesigen Platz geehrt. Diese Ehrung kann unserer Meinung nach nur beendet werden, wenn die Statue von dort entfernt und der Platz umbenannt wird. Wir wissen, dass du das ein bisschen anders siehst und finden deine Positionen sehr spannend. Könntest du sie für unsere Leser:innen ausführen?
RB: Das ist eine schwierige Debatte, ich habe keine hunderprozentig eindeutige Meinung.
Dass man den Platz umbenennt? Ja! Allerdings nicht so fad wie beim “Lueger-Ring”, “Universitätsring” finde ich ziemlich feige. Für mich gehört aber das Denkmal selbst zur Geschichte dieser Stadt. Ich habe ein gegenteiliges Gefühl zu eurem, glaube ich. Für mich wäre es ein Reinwaschen Wiens, wenn man den Lueger und auch den Weinheber und andere Ungustln wegnimmt. Wenn ich dann nichts weiß über Wiens Geschichte, gehe ich durch die Stadt und denke mir: “Es ist ja alles wunderbar und Stolpersteine gibt es auch!”
N: Und du denkst, dass ihm die Ehrung so genommen werden kann?
RB: Die Graffiti sind die ideale Ergänzung. Man kann ihn auch schief stellen oder meine Screens von „The Missing Image“ mit den Straßen waschenden Juden dazu stellen. Dann wird klar, wohin Luegers Antisemitismus führte.
Wenn ich alles wegnehme, was bleibt dann noch? Warum ist dann der Kaiser noch da? Überall? Den wollen wir ja auch nicht mehr haben. Und mir gefällt der Platz mit dieser Statue. Ich meine nicht von der Ästhetik. Für mich gehört das zu Wien. Ich möchte, dass man sich durchaus erinnert an die antisemitische Geschichte dieser Stadt. Und nicht nur an die jüdischen Opfer.
Interview: Sashi Turkof &
Adrian Jonas Haim