Islamismus und „die“ Linke
Nach wie vor ist das Thema Islamismus in bedeutenden Teilen der linken Bewegung ein vernachlässigter und mitunter ein blinder Fleck. Auch wenn es in den letzten Jahren durchaus positive Entwicklungen gegeben hat, so fehlt in der Breite weiterhin ein Bewusstsein für das Problem. Eine Konsequenz dessen ist, dass Linke nur selten einen öffentlichen Standpunkt zum Islamismus vertreten und somit Rechten das Feld überlassen, die das Thema wiederkehrend für rassistische Stimmungsmache instrumentalisieren. Wie lässt es sich erklären, dass nach den islamistischen Anschlägen auf Charlie Hebdo, das Bataclan, den Breitscheidplatz, der Enthauptung Samuel Patys oder den Massakern in Nizza und Wien immer noch darüber diskutiert wird, ob „die“ Linke eine Islamismus-Kritik benötigt? Eine Linke, die scheinbar vergisst, dass neben Minderheiten wie den Êzîd:innen oder Alevit:innen, es vor allem Muslim:innen selbst sind, die am stärksten vom Islamismus bedroht sind. Insbesondere die Menschen, die in Gottesstaaten wie dem Iran oder Saudi Arabien leben, wissen nur zu gut, was es bedeutet, wenn der Islamismus als Staatsideologie herrscht; ein System fernab der Menschenrechte, Freiheit und Selbstbestimmung. Religiöser Totalitarismus und, wie im Falle des Iran, klerikaler Faschismus.
Das große Schweigen
Welche Antwort haben Linke auf die Fragen der Menschen, die aus diesen Ländern flüchten und auch bei uns auf islamistische Strukturen treffen? Welche Konzepte bestehen, um dahingehend Aufklärung zu betreiben? In der Praxis mangelt es vielen linken Gruppen bereits an einer Definition des Islamismus-Begriffes. Linke Gruppen, die immer häufiger von Netzwerken wie marx21 unterwandert werden, welche die Islamisten der Hamas als potentielle Verbündete im antiimperialistischen Kampf verkaufen. Wo man im ersten Augenblick von einem Missverständnis ausgeht, zeigt sich schnell, dass derartige Vorstöße kein Zufall sind. Denn marx21 und ihre Schwesterorganisation in Österreich, Linkswende, stehen seit Jahren stramm an der Seite der reaktionärsten Stimmen der muslimischen Gemeinden. So war die Linkswende 2016, in Reaktion auf den versuchten Militärputsch in der Türkei, gemeinsam mit der Union Internationaler Demokraten (damals noch UETD, Union Europäisch-Türkischer Demokraten) auf der Straße. Die UID gilt als langer Arm der türkischen Regierungspartei AKP. Ein Schulterschluss, der vor allem liberale Muslim:innen und Kritiker:innen des rechten Regimes in der Türkei vor den Kopf stößt.
Linke Schlüsselfiguren auf reaktionärem Kuschelkurs
Während die Linkswende in Österreich keine größere Bedeutung hat, ist der Einfluss von marx21 auf DIE LINKE in Deutschland nicht zu unterschätzen. Die Vorsitzende der Partei, Janine Wissler, kam ursprünglich, ebenso wie der Landessprecher der Partei in NRW, Jules El-Khatib, aus Reihen des Netzwerkes. Christine Buchholz, die neun Jahre religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag war, ist Gründerin von marx21. Auch die Geschäftsführerin von „Aufstehen gegen Rassismus“, Irmgard Wurdack, kann diesem Umfeld zugerechnet werden. Ein Umfeld, das nicht nur auf Kuschelkurs mit reaktionären Kräften geht, sondern auch seit jeher Stimmung gegen den einzigen jüdischen Staat macht. Und auch hier sind sich die Linkswende und marx21 einig in ihren dämonisierenden und mit doppelten Standards belegten Publikationen über Israel.
Antisemitimus, Islamismus und eine Aktivistin gegen Antirassismus
Eine ganz ähnliche Rhetorik wird auch in der Türkei durch die islamistische Millî Görüş-Bewegung bemüht. Dass ihr Gründer, Necmettin Erbakan, ein glühender Antisemit war, scheint bis heute kein Grund für die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in Deutschland zu sein, diesem nicht mehr zu huldigen. Auch die IGMG wird zum Teil dem legalistischen Islamismus zugerechnet. In diesen Reihen soll die bekannte Autorin Kübra Gümüşay laut Sprachwissenschaftlerin Reyhan Şahin „jahrelangen Aktivismus“ betrieben haben; ein Vorwurf, der bis heute offen im Raum steht und meines Wissens nie widerlegt wurde. Gümüşay genießt Bewunderung und Rückhalt in bedeutenden Teilen linker Strukturen und sitzt regelmäßig auf Podien antirassistischer Events; auch noch, nachdem publik wurde, dass sie in der Erstauflage ihres Buches „Sprache und Sein“ den Islamisten Necip Fazıl Kısakürek – eine Ikone der Millî Görüş-Bewegung – als Lesestoff für deutsche Schulen empfohlen hatte; einen Ideologen, der zu Lebzeiten rassistische Vernichtungsfantasien gegen Minderheiten in der Türkei propagierte. Nach öffentlicher Kritik der Journalistin Canan Topçu strich Gümüşay Kısaküreks Empfehlung aus dem Buch und gab an, nichts von dessen Rassismus gewusst zu haben. Dass Kısaküreks Arbeit als „durchzogen von der Abwertung Andersdenkender und Minderheiten“ beschrieben wird, u.a. von Millî Görüş-Aussteiger Engin Karahan, stieß in bedeutenden Teilen der Linken keine kritische Debatte an. Doch gerade da hätte sie geführt werden müssen. Dort hätte geklärt werden können, ob Gümüşay einst wirklich in Kreisen der Millî Görüş aktiv gewesen war und wie sie heute zu dieser steht. Man stelle sich vor, der Vorwurf des Aktivismus in Reihen Rechts-Evangelikaler hätte im Raum gestanden. Völlig zu Recht wäre man nach so einem Vorwurf nicht wieder zur Tagesordnung übergegangen. Beim Islamismus scheinen andere Regeln zu gelten.
Kurt Schmalle