Sind meine Sneaker antisemitisch?

Sind meine Sneaker antisemitisch?

„Gold Digger“ Kanye West und der Hass auf „Juden“

Mit 22 Grammys, zwölf Video Music Awards und fünf BET Awards ist Kanye West einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Künstler aller Zeiten. Hits wie „Gold Digger“, „Stronger“ und „Heartless“ sowie Kollaborationen mit Künstler:innen wie Alicia Keys oder Jay-Z machen den auch als „Ye“ oder „Yeezy“ bekannten Musiker für ein Millionenpublikum weltweit zugänglich. Seit seinem Hit-Album „808s & Heartbreak“ hat er neue Maßstäbe gesetzt, an denen sich Hip-Hop bis heute misst. Nicht nur musikalisch, sondern auch im Modebereich konnte sich Ye mit seiner Eigenmarke „Yeezy“ und der Zusammenarbeit mit Adidas fest in der Jugendkultur etablieren. Mit einem geschätzten Wert von 1,8 Milliarden US-Dollar ist er zu einem der erfolgreichsten Prominenten weltweit aufgestiegen. Zweifellos wird Kanye West als einer der prominentesten Hip-Hop-Künstler, die je gelebt haben, in die Geschichte eingehen. Und ja, mich hat er auch gefesselt: Ich besitze ein Paar seiner „Yeezys 500“-Schuhe und habe das Album „Ye (I hate being bipolar, it’s awesome)“ seit Veröffentlichung in Dauerschleife gehört. Als bekennender Kanye-Fan enttäuscht es mich daher umso mehr, dass einer meiner Lieblingskünstler Antisemitismus vor einem Millionenpublikum propagiert – und das schon seit einem Jahrzehnt.

Antisemitische Äußerungen von Kanye West

Kanye hat nicht erst seit letztem Jahr eine regelrechte Hetzkampagne gegen die jüdische Bevölkerung gestartet. Sein erstes antisemitisches Statement brachte Kanye West bereits vor 10 Jahren in einem Interview: „Black people don’t have the same level of connections as Jewish people.“ Ab da ging seine antisemitische Laufbahn – wie seine Karriere auch – steil bergauf. Ye brachte im Verlauf der Jahre immer wieder antisemitische Parolen, in denen er jüdische Geschäftsmänner als Strippenzieher in Hollywood darstellte und sich somit der klassischen antisemitischen Vorurteile bediente. 2022 drehte er nicht nur mit seiner Idee durch, sein Album „Donda 2“ exklusiv auf seinem eigens herausgebrachten Musikwiedergabegerät „Stem Player“ für 200 US-Dollar zu verkaufen, sondern auch mit seinen antisemitischen Äußerungen: Am Siebten Oktober beschuldigte er Rap-Legende P. Diddy infolge einer Auseinandersetzung, durch jüdische Personen in seiner Meinung kontrolliert zu werden. Am achten Oktober tweetete Kanye West: „I’m a bit sleepy tonight but when I wake up I‘m going death con 3 on Jewish People.“ „Death con 3“ bezeichnet einen Begriff des US-Militärs, welcher im übertragenen Sinn eine Kriegserklärung gegenüber der jüdischen Bevölkerung darstellt. In Interviews mit Tucker Carlson, The Shop und Drink Champs äußert sich Kanye derart antisemitisch, dass diese zeitweise oder zur Gänze aufgrund von Antisemitismus aus dem Internet entfernt werden mussten. Am 24. Oktober veröffentlichte Lex Friedman ein Interview mit Kanye West, in dem dieser den Holocaust damit relativierte, dass er Planned Parenthood mit dem Holocaust gleichsetzte, nur dass Planned Parenthood weiterhin anhalteund mehr Menschen ermorde als der Holocaust im 2. Weltkrieg. (Planned Parenthood ist eine Organisation, welche Aufklärungsarbeit leistet und konkrete Möglichkeiten für Abtreibung oder Alternativen aufzeigt, sich darüber hinaus aber ebenfalls mit Themen wie sexuell übertragbaren Krankheiten, sexueller Orientierung und Gesundheit im allgemeinen auseinandersetzt). In seinem darauffolgenden Interview mit Alex Jones, einer der präsentesten Figuren der US-amerikanischen Alt-Right-Szene, erklärte Kanye stolz seine Liebe zu Hitler und betonte, dass dieser auch gute Dinge für die Menschheit getan hätte. Jedes einzelne antisemitische oder rechtsextreme Statement von Ye aufzuzählen, würde diesen Rahmen sprengen. Anhand der gezeigten Beispiele sollte aber erkennbar sein: Kanye ist verblendet – nicht künstlerisch gesehen, sondern in seiner  menschenverachtenden Denkweise.

Kanyes Einfluss auf sein Millionenpublikum, welches die gesamte Mainstream-Hörer:innenschaft umfasst, verläuft auf unterschiedlichen Kommunikationswegen: Durch seine Musik, auf Social Media und in der Mode. Speziell seine Modemarke „Yeezy“ soll ihn zum Milliardär gemacht haben. Diese Modemarke versucht sich nach außen hin vor allem jüngeren Generationen mit Innovationen und zeitgerechten Designs zu präsentieren. Neben Kleidung steht dabei vor allem der „Yeezy“-Schuh von Kanye im Fokus, der ab knapp 230 Euro verkauft wird und die 1000-Euro-Grenze gerne überschreitet. Jugendliche sind nicht nur bereit, diesen Preis zu zahlen, sondern stehen teils stundenlang vor einem Sneaker-Store, um ein Paar Schuhe zu ergattern – ein wahrhafter Run auf ein überteuertes, „knappes“ Gut. Dabei steht eine Identifikationsfigur unangefochten im Mittelpunkt des Marketings: Kanye West selbst. Jugendliche kaufen den Schuh hauptsächlich, weil er unter der Regie von Kanye West produziert wurde und sie eine stärkere Identifikation mit dem Rapper anstreben. Sie sind also bereit, hunderte Euro für seine Modemarke auszugeben – nur, um ihm ein Stück näher zu sein. Damit wird deutlich, wie unglaublich einflussreich seine Meinung in allen Belangen ist. Immerhin gibt es diese kostenlos auf fast allen Social-Media-Plattformen, sie ist nie ausverkauft. Wie empfänglich Kanye Wests Zielgruppe für seine antisemitischen Äußerungen ist, zeigen vor allem die durch ihn direkt hervorgerufenen antisemitischen Straftaten in den USA. In einem Artikel der Jüdischen Allgemeinen wird berichtet, dass mindestens 30 judenfeindliche Angriffe in den USA als direkte Folge seiner antisemitischen Äußerungen verzeichnet werden. Vandalismus, Online-Hashtags wie „YeIsRight“ und ein auf einer Autobahnbrücke angebrachtes Banner mit der Aufschrift „Kanye is right about the Jews“ verdeutlichen die bestätigten Fälle antisemitischer Vorfälle. In welchem Ausmaß antisemitisches Gedankengut allein durch Kanyes direkten Einfluss in unserer Gesellschaft Fuß fassen wird, bleibt abzuwarten.

Umgang mit dem Problem „Ye“

Wie antisemitisch unsere Gesellschaft von West beeinflusst wird, ist schockierend. Erst als Kanye innerhalb kürzester Zeit und mit absoluter Überzeugung vor gigantischen Menschenmengen die Opfer der Shoah und die jüdische Bevölkerung mit menschenverachtenden und revisionistischsten Aussagen desavouierte, haben Institutionen wie Banken und Unternehmen die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Wie kann es sein, dass einer der bekanntesten Künstler seit zehn Jahren öffentlich Hassreden halten darf, ohne daraus Konsequenzen ziehen zu müssen? Massenhaft wurde der Slogan „He dropped Graduation tho!“ (dt.: „Er veröffentlichte aber das Album Graduation!“) unter Kanye Wests diskriminierenden Posts kommentiert, was humorvoll als Rechtfertigung dafür verwendet wird, dass alle Aussagen von „Crazy Kanye“ nicht so sehr ins Gewicht fallen. Dies geschieht womöglich deshalb, weil Fans die musikalischen Leistungen wesentlich größere Freude bereiten als das Entsetzen über seine menschenverachtende Meinung. Kanyes musikalischer Erfolg und sein Antisemitismus wiegen einander jedoch nicht gegenseitig auf. Vielmehr gibt ihm erst sein musikalischer Erfolg die Plattform, einen so gravierenden Einfluss auf unsere Gesellschaft auszuüben. Sollten wir ihn weiter ungehindert jeglichen Blödsinn predigen lassen, werden wir in Zukunft mit weit mehr als nur mit einem derart verabscheuungswürdigen Antisemiten konfrontiert sein.

Kann man Kanye noch hören?

Eins ist klar: Kanye West ist Antisemit. Was nun? Sollen wir ihn als Hörer boykottieren oder nicht? Beantwortet man die damit einhergehende Frage, ob die Kunst von der kunstschaffenden Person getrennt werden kann, ist die Antwort aus historischer Perspektive bereits beantwortet. Denn im Laufe der Zeit erinnert man sich meist nur an die positiven Errungenschaften einflussreicher Menschen, nicht jedoch an deren Schattenseiten. Aber im Vergleich zu Hip-Hop-Ikonen wie Tupac oder Biggie ist Kanye präsenter denn je. Und er hört nicht auf, Antisemitismus in der Gesellschaft zu verbreiten – und zwar seit einem Jahrzehnt. Da wir noch die Möglichkeit haben, seinen Einfluss zu begrenzen, müssen wir diese Gelegenheit auch nutzen – denn durch die Finanzierung seiner „Kunst“ wird der von ihm verbreitete Antisemitimus direkt unterstützt und damit an die Gesellschaft weitergegeben, was wiederum in antisemitischen Straftaten mündet. Wir alle haben die Verpflichtung, Propagandaminister Goebbels Junior zu canceln, weil andernfalls erneut Menschenleben in Gefahr sind. Wenn sich mir persönlich also die Frage stellt, ob ich auf einen Spotify-Künstler verzichten soll und damit  gleichzeitig schwere antisemitische Angriffe auf Freunde und Familie durch einen so einfachen Verzicht verhindern kann, kann ich diese nicht anders als mit einem großen „Ja“ beantworten. Was also konkret tun? Ihn nicht mehr durch Youtube, Spotify und Co unterstützen. Aber wenn man seine Musik dennoch unbedingt hören muss!? Dann bitte doch über andere Wege als jene, die seinen Antisemitismus direkt finanzieren.

Was wird sich ändern?

Firmen wie JP Morgan und Adidas haben offiziell die Partnerschaft mit Kanye beendet. Der Adidas-Deal hat Kanye West schätzungsweise rund 1 Milliarde Dollar gekostet. Trotzdem besitzt Ye immer noch ein riesiges Publikum, welches ihn in Massen feiert, sowie seine Kleidung und Alben ohne zögern bereit ist zu kaufen. Wegen der zögerlichen Reaktionen auf Kanye Wests Antisemitismus bleibt dennoch nur eine düstere Prognose: Die Messlatte für „antisemitischste Handlungen ohne weitreichende Konsequenzen“ ist noch nicht gesetzt. Noch lange nicht. Wie viele Anschläge, Hassnachrichten und Anfeindungen auf der Straße müssen noch geschehen, um einem Künstler keine Toleranzzeit von zehn Jahren zuzugestehen? Müssen zuvor erst Menschen sterben? So wie es jetzt aussieht, kann dies nicht ausgeschlossen werden, denn Politik und Staat haben bisher keine präventiven Maßnahmen gesetzt, um ein solches Verhalten erst gar nicht aufkommen zu lassen oder es umgehend zu unterbinden.

Andreas Pashchenko

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