Eine unbändige lautlose Stimme

Eine unbändige lautlose Stimme

Magen David tragen aus Protest

Für mich war es weder selbstverständlich, mich offen als Jüdin zu erkennen zu geben, noch religiöse Symbole komplett in meinen Alltag zu integrieren, aber ich habe es dennoch getan. Was mich dazu gebracht hat, hat seinen Ursprung weder in meinem Glauben noch in meiner Erziehung – aber seht selbst.

Beginnen wir vielleicht am Anfang, nämlich mit meiner Person und dem, was mich ausmacht. Mein Name ist Valérie und offensichtlich ist das kein jüdischer Name. Warum ich das erwähne, ist ganz einfach: ich war immer glücklich, mir mein Jüdisch-Sein selbst aussuchen zu dürfen. Ich konnte bis auf einige, wenige Ausnahmen immer entscheiden, wann und wer mich jüdisch liest. Musste mir kaum Sorgen machen, aufgrund meiner Religion angefeindet zu werden. Ein richtiges Privileg. Vielleicht fragt ihr euch, warum das wichtig ist, dieses „Als nicht-jüdisch gelesen werden“, warum es bis vor einigen Jahren so eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat. Die Antwort ist, um möglichen Gefahren oder Nachteilen aus dem Weg zu gehen. Ich habe mich weder sonderlich über meinen Glauben noch über meine Gemeinde identifiziert, obwohl sie mir immer schon wichtig waren. Wo dieser Wunsch herkam, kann ich nicht genau sagen, aber das Trauma, das meine Großeltern durch die Shoah erlebt haben, wird dabei wohl eine große Rolle gespielt haben und das Aufwachsen in einer Täter:innengesellschaft womöglich auch. Meistens war meine Religion kaum ein Thema. Jede:r wusste, dass ich Jüdin bin, aber niemand schien sich groß dafür zu interessieren, nicht einmal ich selber. Meine Religion spielte sich nicht im öffentlichen Raum ab, sondern nur in mir.

Der Auftakt meines Stolzes

Doch irgendwann fing diese Fassade, die ich mir geschaffen hatte, zu bröckeln an. Mir wurde es zunehmend wichtiger, nicht immer nur als „offensichtlich“ österreichisches Mädchen gesehen zu werden. Ich wollte nicht mehr, dass ein so großer Teil meiner Identität untergeht, nur weil mich die Gesellschaft anders wahrnimmt. Angesichts des weltweit wachsenden Antisemitismus, sah ich mich dazu verpflichtet, mich offen als Jüdin zu erkennen zu geben, um die Stigmata zu brechen, um für mein Volk aufzustehen und um einen gewissen Widerstand zu leisten. Dabei sollte mein Widerstand speziell sein – lautlos, subtil, aber dennoch tiefgreifend. Ich entschied mich dazu, einen Magen David zu tragen. (Magen David heißt wortwörtlich übersetzt “Schutz von (König) David” und ist ein Synonym für den Davidstern, welcher als Symbol für das Judentum steht.) Für manche von euch wird das vielleicht banal klingen, für mich jedoch war das einer der bedrohendsten und gleichzeitig einer der empowerndsten Momente meines Lebens. Ich bin in einer säkularen Familie aufgewachsen, in einer Familie, in der niemand Magen David oder Kippa trug, niemand Hebräisch sprach und zudem, zwar in der ganzen Wohnung Mesusot hingen, nicht jedoch draußen an der Eingangstür. All dies, damit sich unser Judentum in Sicherheit wiegen konnte.

Das Aufleben des Unsichtbaren

Doch das reichte mir nicht mehr. Je älter ich wurde und je höher der Stellenwert von Politik und Antisemitismus in meinem Leben wurde, desto größer wurde gleichzeitig der Drang danach, aufzustehen – auch wenn anfänglich nur lautlos und mit kleinen Schritten. Ich wollte sichtbar machen, was ich all die Jahre unsichtbar gemacht hatte. Ich wollte es vor allem für diejenigen sichtbar machen, denen es sauer aufstieß, ein Mädchen mit einem Magen David zu sehen. Ich wollte ihnen das Gefühl geben, sie ertappt zu haben. Nicht mehr schweigend untergehen, sondern unangenehm auffallen, in den Augen derer, die mich und mein Volk sowieso ächteten. Zu einer Zeit, in der mein politisches Engagement sich in Grenzen hielt, der Hashomer Hatzair nicht mehr allzu präsent in meinem Leben war und ich keinen wirklichen Bezug zur JöH hatte, entschied ich mich dazu, mich auf diese Art zu wehren. Ich entschied mich dazu, meine jüdische Identität nicht mehr anderen Leuten zu überlassen. Ich nahm es selbst in die Hand, ließ mich auf unangenehme, vielleicht auch gefährliche Situationen ein, aber ich entschied mich für ein selbstbestimmtes jüdisches Leben. Ich erntete Kritik, Unverständnis und Sorge von Familie und Verwandten, gewann jedoch ein riesiges Stück Identität zurück, welches mir den Rücken stärkte, mich innerlich befreite und mir Kraft gab, für den Antisemitismus, der mir noch wiederfahren sollte.

Eine Seelenregung für die Ewigkeit

Mein Magen David hat mir das Gefühl der Ohnmacht genommen und mir eine lautlose Stimme mit Nachhall gegeben. Eine unbändige Stimme, die ab diesem Tag beschlossen hatte, nie wieder zu verstummen und über alle Dächer hinaus zu ertönen. Ich trage ihn aus Protest und das mit gewaltiger Überzeugung.

VALÉRIE THAU

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