Hannah Lessing – Die Frau, die Nazis prügelte

Hannah Lessing – Die Frau, die Nazis prügelte

Das erste Mal, als ich von Hannah Lessing hörte, war in einem ORF-Beitrag mit dem Titel “Das vererbte Trauma der Shoah”. Drei Vorstandsmitglieder der JöH und Hannah Lessing wurden interviewt. Als sie im Beitrag davon erzählte, dass sie in ihrer Zeit des Studierendenaktivismus, in der damaligen JöH, „Nazis prügelte“, war ich begeistert von ihr. Ich googelte sie, sah mir ihre Karrierelaufbahn an und beschloss, dass ich ein Portrait von ihr machen muss.

Hannah ist Wiener Jüdin, geboren 1963. Ihr Vater war jüdisch, ihre Mutter nicht. 1973 erfolgte der Übertritt zum Judentum Hannah, ihre Schwester, ihr Bruder und ihre Mutter. Acht Jahre später bestand sie das Baccalauréat am Lycée und ging daraufhin für ein Jahr nach Israel.

1981 trat sie der damaligen JöH, der Vereinigung Jüdischer Hochschüler in Österreich (VJHÖ), bei. Die VJHÖ wurde 1947 in Wien gegründet. Der Aktivismus, den sie damals betrieben, fokussierte sich fast ausschließlich auf den Kampf gegen Antisemitismus. Erinnerungspolitik gab es bis zur Waldheim Affäre kaum. Untereinander, in der VJHÖ, wurden zwar die Familiengeschichten, die Geschehnisse während der Shoah und in den Konzentrationslagern ausgetauscht, doch nach außen hin war dies kaum der Fall. Österreich war ja damals noch das “Opferland” Nazi-Deutschlands.

Was die Tätigkeiten der VJHÖ waren? Sie prügelten sich mit Nazis. Der VJHÖ setzte sich vor Vereinslokale der Burschenschaften, um gegen diese zu protestieren, und hier und da kam es zu Schlägereien, erzählt sie. Sie hat da eben auch mitgemischt. Gruppenabende, wo gepokert wurde, zu Weihnachten gemeinsam Parties veranstaltet und Diskussionsgruppen geführt wurden, wo man über zukünftige Pläne sprach – das war ihre Zeit bei der VJHÖ.

Den intersektionalen Kampf als jüdische Frau zu führen, aktiv gegen Antisemitismus aufzustehen und im wahrsten Sinn des Wortes dagegen zu kämpfen, gehörte für sie zusammen. Sie war und ist noch immer sehr goschert und laut, lässt sich nichts gefallen, sagt sie. Andere Frauen in der VJHÖ, “besser behütet von ihren Familien”, waren im Gegensatz zu ihr weniger angriffslustig. Als Frau aktiv zu sein im Kampf gegen Antisemitismus im Kampf gegen Burschenschaften war für sie eine Selbstverständlichkeit.

Gemeinsam mit jüdischen Aktivist:innen fertigten sie Schilder an, mit gut Glück trieben sie noch ein Megaphon von irgendwo auf und gingen demonstrieren. Die Möglichkeiten, öffentlich zu mobilisieren und Aktionen auf Social Media zu veröffentlichen, hatten sie damals nicht. Es gab ja noch kein Internet. Es war anders als in der JöH, wie sie heute existiert, sie hätte sich das damals so nie vorstellen können. Die neuen Problematiken, auf die wir heute stoßen, unter anderem mit Social Media, der ständigen Verantwortung, auf alles reagieren zu müssen, das hatten sie damals nicht. Sie war etwa zwei bis drei Jahre in der VJHÖ aktiv, bevor sie nach Paris zog und ihr Studium dort beendete.

Als sie in den 90er Jahren von Paris in ihre Heimat Wien zurückkehrte, arbeitete sie bei einer Bank, wo ihr schnell auffiel, dass das nicht ihre wahre Berufung war. 1995 bekam sie ihren Job beim österreichischen Nationalfonds. Sie hatte ein Team mit fast ausschließlich Frauen, weshalb sie einerseits als “schmoozing around with old people” belächelt wurden, andererseits brachte das auch Vorteile. Sie hatte durch ihre Familiengeschichte nicht nur einen anderen Zugang zur Erinnerungskultur, sondern auch zu den Betroffenen. Sie will den Männern die Empathie nicht absprechen, doch macht es trotzdem manchmal einen Unterschied, ob man mit einer Frau über solche Themen redet oder mit einem Mann, sagt Hannah.

Ihre Arbeit beim Nationalfonds brachte persönliche Probleme mit sich ihr Vater war strikt dagegen, dass sie dort arbeitet. Er verstand nie, warum sie ausgerechnet bei solch einer Institution arbeiten wollte. Mit der Zeit verstand sie auch seine Gründe. Er hatte Österreich als einziger Sohn einer Witwe 1939 verlassen, floh nach Israel und ließ seine Mutter zurück. “[…] und ich hab immer Angst gehabt, dass jede Frage, die ich stellen könnte, von ihm missverstanden wird. In der Art ‚Warum hast du deine Mutter nicht geschützt?‘ Er wäre auch ins KZ gegangen, wenn er nicht mit 16 weggegangen wäre. Aber sie hat er nicht schützen können.” Sie wurde im KZ ermordet. Hannahs Familiengeschichte, sowie die Tausender anderer, rührte mich in unserem Gespräch zu Tränen.

Sie erzählte auch von Widerstandskämpfer:innen, Frauen wie Irma Schwager, die “Mädelsarbeit” leistete. Aufgabe    dieser Frauen war es, deutsche Soldaten durch Gespräche von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen. Wenn ein Grundvertrauen geschaffen wurde, konnte man vorsichtig mit Nazi-Kritik anfangen und später dann Flugblätter der Résistance zeigen. Viele Frauen, die ihre Geschichten Hannah erzählten, meinten, nicht wichtig gewesen zu sein. Doch Hannah nennt sie “ganz großartige, kleine Frauen und sowas von stark und mutig. […] Ich bin goschert, laut und frech, aber ob ich den Mut gehabt hätte… Ich kann‘s dir nicht sagen. Frauen haben eine ganz, ganz große Rolle gespielt”.

Hannah erzählt von Käthe Sasso, einer weiteren Widerstandskämpferin. Sie war in der Widerstandsgruppe Gustav Adolf Neustadl, deren Ziel es vor allem war, die Witwen hingerichteter Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln zu versorgen und Flugblätter gegen den Faschismus zu verteilen. Sasso wurde 1942 von der Gestapo inhaftiert, entkam knapp dem Todesurteil, wurde ins KZ Ravensbrück deportiert und musste ‘45 den Todesmarsch Richtung KZ Bergen-Belsen antreten. Sie floh in der ersten Nacht mit ihrer Freundin Mizzi Bosch aus der Gruppe und schaffte es, nach Wien zurückzukehren.

Hannah hat bis heute noch Kontakt mit Sasso. Ihre Arbeit mit Frauen, die sich selber niemals als Heldinnen bezeichnen würden, und es trotzdem waren, ihre Familiengeschichte, ihre Karrierelaufbahn, ihre Tätigkeit und ihre Chuzpe sind für mich als junge jüdische Aktivistin eine große Inspiration, den Kampf gegen Antisemitismus weiterzuführen.

VICTORIA BOROCHOV

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s