NOODNIKIT zwischen Wien und Frankfurt

NOODNIKIT zwischen Wien und Frankfurt

Warum wir am International Women‘s Day über unsere Wegbereiterinnen sprechen sollten

Am 8. März ist der Internationale Weltfrauentag. Der Umgang mit diesem Datum repräsentiert viele der Gleichzeitigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, wenn sich die Frage stellt, welche Aufgaben feministische Bewegungen im Jahr 2022 haben oder ob wir sie überhaupt noch brauchen. Ich würde diese Frage selbstverständlich mit “Ja” beantworten. Ein Blick in die Ursprünge dieses Tages hilft uns vielleicht auch zu verstehen, warum wir sie uns auch häufiger in jüdischen Räumen stellen sollten, warum ganz unabhängig von der religiösen Ausrichtung dieser Räume manche sich dagegen wehren und wie wir mehr Bewusstsein dafür schaffen können, dass solche Fragen diese Räume eher bereichern als sie zu gefährden.

Blumen oder Kampftag?

In den vergangenen Jahren haben sich um das Datum des 8. März vor allem zwei Entwicklungen abgezeichnet. Einerseits wurde das Datum immer stärker als symbolischer, entpolitisierter Tag genutzt, um Weiblichkeit zu feiern, Frauen etwas Gutes zu tun, oder schlichtweg Frauen als Zielgruppe zu kommerzialisieren. Aus dieser Perspektive soll dieser Tag Frauen eine Ehre für die Rollen erweisen, die sie erfüllen. Sie geht vor allem davon aus, dass die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in den zentralen Punkten bereits erreicht ist. Schauen wir auf die ursprünglichen Forderungen der Frauenbewegung in ihrer ersten Welle, so könnte man dies vielleicht auch bestätigen: Bis auf wenige Ausnahmen dürfen Frauen in Ländern, in denen es ein allgemeines Wahlrecht gibt, auch wählen. In demokratischen Staaten haben Frauen Zugang zum Arbeitsmarkt, sie sind nicht mehr gesellschaftlich gezwungen zu heiraten oder gesetzlich von ihrem Ehemann abhängig. Wird der Kampf für Gleichberechtigung an diesen Bedingungen gemessen, könnte durchaus davon ausgegangen werden: Gleichberechtigung erreicht. Oder nicht?

Andererseits hat sich das Datum in den vergangenen Jahren in den USA zum Beispiel durch die Trump-Ära ausgelöst, aber auch in anderen Ländern – verstärkt wieder zum politischen Kampftag etabliert. Den Demonstrant:innen geht es um geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung, um die Unsichtbarkeit der Ausbeutung von Frauen und um die Verankerung einer ganzheitlichen Betrachtung, die mit einbezieht, dass strukturelle Ungerechtigkeiten kein isoliertes Phänomen sind, sondern sich auch auf andere gesellschaftliche Bereiche auswirken und mit ihnen zusammengedacht werden müssen. Außerdem fragen die Bewegungen danach, wer eigentlich von diesen strukturellen Barrieren betroffen ist und wer von der Aufrechterhaltung dieser profitiert, wie unterschiedliche Diskriminierungsmechanismen zusammenwirken, für wen diese Bewegungen kämpfen und wer in ihnen Raum und Gehör findet. Gleichberechtigung ist als Begriff nicht ausreichend, um die Forderungen zusammenzufassen. Es geht um Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Befreiung.

Die Welle schwappt in jüdische Räume (zurück)

Auch im deutschsprachigen Raum ist der Feminismus der so genannten Dritten Welle vertreten. Die Politisierung, die unter jungen Erwachsenen in jüdischen Communities in den vergangenen Jahren wieder verstärkt stattgefunden hat, trägt auch genau diese Themen in jüdische Räume hinein. Für viele jüdische Aktivist:innen ist die Frage danach, ob es in jüdischen Communities Raum für die oben genannten Themen gibt, essentiell für ihre eigene Zugehörigkeit. Das ist zwar nicht ganz neu, aber der Aushandlungsprozess bildet sich auf einer neuen und, man könnte auch sagen, auf einer breitflächigeren Ebene ab. Aber wer sind eigentlich die Personen, die dafür das Fundament gelegt haben? Kennen wir ihre Namen? Wo hat der Zusammenhang zwischen der Frauenrechtsbewegung und der jüdischen Community begonnen? In meinem täglichen Schaffen ist für mich eine Biografie besonders zentral. Es ist eine Geschichte zwischen Wien und Frankfurt, zwischen Wohlstand und Existenzminimum, zwischen Entmündigung und Wirkmacht bis in die Gegenwart.

Find your Role Model NOODNIKIT

Bertha Pappenheim wurde nicht mit ihrem eigenen Namen berühmt. Unter dem Pseudonym Anna O. das ihr von Josef Breuer und Sigmund Freud gegeben worden war, ging sie als erste dokumentierte “Hysterikerin” in die Geschichte der Psychoanalyse ein. Die zahlreichen Publikationen zu Sozialer Arbeit veröffentlichte sie zunächst als Paul Berthold. Ihre Impulse, die jüdische Sozialarbeit zu zentralisieren, zeugten von einem Weitblick, der sich noch als überlebensentscheidend herausstellen sollte, in die Shoah hinein und weit darüber hinaus. Doch natürlich wurde sie von ihren männlichen Zeitgenossen zunächst vehement bekämpft. Nichtsdestotrotz ging sie durch die Bordelle des Frankfurter Bahnhofsviertels und machte Mädchen und Frauen aus Osteuropa ausfindig, die dem Menschenhandel und der Zwangsprostitution zum Opfer gefallen waren oder ihren Körper verkauften, weil sie, infolge der erheblichen wirtschaftlichen Notlage, jeglicher Lebensgrundlage entzogen waren. Bertha Pappenheim ist schließlich als die Sozialpionierin der Stadt Frankfurt bekannt geworden, die sie war – doch als jüdische Figur wurde sie fast vergessen.

Jedes Jahr am 8. März frage ich mich, was eigentlich wäre, wenn es diese Frauen nicht gegeben hätte, die Frauen, die uns den Weg freigeräumt haben, die Frauen, an deren Namen wir uns nicht erinnern. Es gibt sie überall in der Geschichte, die erste Rabbinerin Regina Jonas, jüdische Frauen im Widerstand gegen die Nazis, jüdische Frauen in der Wissenschaft, um nur einige Bereiche zu nennen. Und die Frauenrechtsaktivistin Theresa Malkiel, die zu den unbekannteren Initiatorinnen des Frauentages zählt und ein weiteres gutes Beispiel für all diejenigen ist, die uns den Weg bereitet haben, ohne dass wir von ihnen wissen. Was wir ohne sie wären, wissen wir nicht, was wir dank ihnen sind, häufig auch nicht. Aber wir können zumindest heute von ihnen lernen, was wir werden können.

LAURA CAZÉS

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